Zu den besonderen Vergnügungen, die einst dem kurfürstlichen Hof bei seinen Meßbesuchen in Leipzig wiederholt bereitet wurden, gehörte auch das Fischerstechen, eine Leipziger Lustbarkeit, die schon bei dem Leipziger Freischießen im Jahre 1559 vor dem Kurfürsten abgehalten und im 17. Jahrhundert in dem sogenannten „Gerberstechen“ weitergeführt wurde. In der Gestalt, wie es noch in den letzten Jahrzehnten abgehalten zu werden pflegte, stammt es aus dem Jahre 1714. Das erste fand am 12. Mai 1714, am Geburtstage des Kurfürsten, in Apels Garten auf der Pleiße statt, und eine Woche später erteilte der Kurfürst der Fischerinnung das „Privileg“, ein solches Fischerstechen alljährlich an seinem Geburtstage abzuhalten. Nach Augusts des Starken Tode wurde das Fischerstechen auf den Namenstag des neuen Landesherrn, den 3. August, verlegt, später einmal auf Bartholomäi, den Tag des Ratswechsels. Auch der Ort hat vielfach gewechselt. War der Hof zugegen, so wurden die Stechen stets in Apels Garten gehalten, außerdem war im vorigen Jahrhundert lange Zeit der Platz „an der Barfußmühle“ oder zwischen der Barfußmühle und dem „Hahnreibrückchen“ in Gebrauch. Unsere Generation entsinnt sich noch der interessanten Wasserspiele auf Schimmels Teich, an den Eiswerken der Leipziger Gastwirte (am heutigen Charlottenhof), auf dem Rohrteich bei Schönefeld, endlich auf das bis auf den heutigen Tag festgehaltene Wasserturnier auf dem Teiche des Kammerherrn von Frege in der Waldstraße, gegenüber dem „Mückenschlößchen“. Dort wurde auch gestern wieder dieses Wasserturnier, das 191. in seiner Reihe, ausgefochten, das traditionelle Aalringen abgehalten und eine lustige Wasserpantomime aufgeführt. Kurz nach 12 Uhr mittags — glühend heiß brannte die Augustsonne hernieder — sammelten im Restaurant Bremme am Frankfurter Torhause Meister und Gesellen der Leipziger Fischerinnung sich zum beginnenden festlichen Innungszug durch die Straßen der Stadt, die stattlichen weißen Gesellen mit den weißgrünen Schärpen, die kurzen Handruder und die vergoldeten Turnierstangen geschultert, voran die altehrwürdige Innungsfahne aus dem Jahre 1715 — fast nur noch ein Fetzen Seidenzeug —, und die neue, vom Obermeister Händel im Jahre 1883 gestiftete Fahne unter der Führung der Obermeister im betreßten Dreimaster. Sie halten fest, die Leipziger Fischer, an den Gerechtsamen, die ihnen der prachtliebende, festfrohe Kurfürst August der Starke verlieh, als sie bei seinem Aufenthalt in Leipzig ihm auf der Stelle, wo heute das Zentraltheater sich stolz erhebt, ein Wasserkampfspiel nach fremdländischem Vorbild zwar, aber mit einer guten Dosis altgermanischen Fischerhumors durchsetzt, aufführten. So marschierten die Fischer, an ihrer Spitze die Obermeister Carl Müller und Emil August Böse, nachdem die beiden schneeweiß gekleideten baumlangen Mohren, an deren haubitzenartigem, federbebuschtem Zylinder sinnige Myrtensträußchen befestigt waren, nochmals auf die Haltbarkeit ihres wetterbeständigen Anstrichs ganz gewissenhaft untersucht worden waren, mit den „Piken“ in den Händen, mit bunten, wappengeschmückten Handrudern und mit Turnierlanzen versehen, unter Tambourwirbel und Trompeterblasen der marschgewandten Kapelle Eyle durch die Straßen und über die Plätze der Stadt. Unterwegs wurden die üblichen Fahnensalute gegeben. Wie sich schon zu der Urgroßväter Zeiten gewaltige Scharen alter und junger Menschenkinder an den hervorragenden Schwimm- und Turnkünsten, den mannhaften Turnieren der Stechkähne untereinander, den Burlesken der Wasserclowns, dem Aalkampf und der großen Wasserpantomime ergötzten, so wanderten auch gestern wieder taufende fröhlicher Menschenkinder nach dem baumumgürteten Weiher an der Waldstraße, um ihre Lust an dem heiteren, bunten Treiben der Fischer im feuchten Element zu haben. Unter den geladenen Ehrengästen, die in besonderen, von den Obermeistern gesteuerten Festgondeln Platz genommen hatten, waren auch Wirkl. Geh. Rat Kreishauptmann Dr. v. Ehrenstein, Exzellenz, Generalmajor Pfeil und Oberst Hesselbarth zu bemerken. Nach dem lustigen Spiel der pudelnassen Wasserclowns maß sich, Stechkahn gegen Stechkahn, das lustige Volk der Fischer; es legte Lanze auf Lanze ein, bis die Besiegten ihr Unterliegen endlich durch ein nasses Bad bestätigt fanden. Dann folgte das Aalringen, bei dem die Fischer, groß und klein, sich um das Erhaschen der schlüpfrigen Beute mühten und unablässig den am Tau schwingenden glatten Fisch zu erwischen trachteten. Es war ein Jubel rings an den Ufern, als dies den Geschickteren glückte. Wie immer, so spielte sich auch am Schluß des Leipziger Fischerstechens auf dem schwimmenden Podium eine große Wasserpantomime ab, die den vielversprechenden Titel „Im internationalen Café zur friedlichen Wirtin“ oder „Eine verhängnisvolle Nacht“ führend, sämtliche Akteurs, freiwillig oder unfreiwillig, mit dem Wasser in Berührung brachte und dem russisch-japanischen Konflikt einfach dadurch zu einer befriedigenden Lösung verhalf, als der dem Japaner unbequeme Russe durch ein kaltes Bad friedlicheren Anschauungen zugänglich gemacht wurde. Damit schloß das fröhlich verlaufene heurige Fischerstechen. Seine Aktiven aber versammelten sich am Abend mit den Ihrigen im Hotel „Stadt Nürnberg“ zu Festmahl und zum „Willkommentrunk“, bei dem Obermeister, Meister, Gesellen, Meisterfrauen und Meistertöchter mit einem Trunk aus den schweren Silberpokalen Gesundheit ausbringen mußten. — m. Das Leipziger Fischerstechen, in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Handelszeitung. Frühausgabe vom 4. August 1905, S. 6.