Ein Rundgang durch das Kneipenviertel der STIGA

Postkarte STIGA 1897

Ein großes Ereignis wie die STIGA verlangte von allen Beteiligten viel Ausdauer, Mut und Engagement. Hohe Besucherzahlen waren bei Gewerbeausstellungen keinesfalls garantiert, denn die Tagesbesuche der Berliner mit rund 50.000 unterschied sich beispielsweise von den 15.000 der Dresdner im gleichen Jahr. Einen verlässlichen Richtwert gab es zwar nicht, aber die Leipziger Veranstalter erwarteten auch nicht weniger Besucher. Zumindest war das die Erwartungshaltung. Aufgrund von guten Rahmenbedingungen, zurecht. Die Berliner beklagten das anhaltend schlechte Wetter zum Ende ihrer Ausstellung, das einen verheerenden Einfluss auf ihre Besucherzahlen hatte. Der Erfolg der Open-Air-Veranstaltung hing also maßgeblich vom Wetter ab. Keine Attraktion der Welt konnte das ändern, aber Einfluss auf das Wetter hatten die Leipziger ebenfalls nicht. Es galt, Kosten und Nutzen richtig abzuwägen. Das selbsterklärte Ziel war es, allen Besuchern einen attraktiven und bezahlbaren Aufenthalt zu bieten, um sie so zu motivieren, den Ausstellungspark mehrmals zu besuchen. Neben den Leistungsschauen und Gärtnerkunst, spielte die Verköstigung mit landestypischem Speis und Trank hierbei eine wichtige Rolle. Das große Gelände bot viel Spielraum, nicht nur für kostspielige Inszenierungen und noch nie dagewesene Effekte, sondern auch für Gastwirtschaften aller Art, und natürlich, für allerlei Folklore. Schließlich entstanden um den großen Teich herum im Herzen des Ausstellungsparks zwölf repräsentative landes- und ortstypische Gastwirtschaften in einem eigenen Kneipenviertel. Des Weiteren kamen je fünf weitere Wirtschaften in den Nachbauten des Thüringer Dorfs und Alt-Leipzigs in einem dem Namen und Gebiet der Ausstellung entsprechenden Form hinzu. In der letzten aber nicht minder wichtigen Gruppe waren dezentrale Ausschänke im Innern der Gebäude und auf dem Areal des Vergnügungsparks in einigen der dort untergebrachten Schaustellungen sowie automatisch betriebene Ausschankstätten vor der Haupt- und Maschinenhalle vorgesehen. Die dafür vorgesehenen Plätze wurden ausgeschrieben und die Verpachtung erfolgte, nicht wie bei früheren Ausstellungen an den Meistbietenden, sondern in Form einer niedrigen Pachtsumme mit einer zusätzlichen Umsatzpacht auf verkaufte Getränke. Aufgrund der Wetterabhängigkeit und den Unwägbarkeiten beschlossen die Verantwortlichen, das unternehmerische Risiko zwischen Pächter und Verpächter aufzuteilen. Aus der Sicht der Leipziger hatte dieses Prinzip, im Interesse der Pächter zu handeln, bei vorangegangenen Ausstellungen keinen hohen Stellenwert gehabt. Die Pächter waren aber beauflagt, ortsübliche Preise zu veranschlagen. Die Hoffnung war groß, damit den Besuchern einen bezahlbaren Aufenthalt zu gewährleisten. Gleichfalls verstärkte das den Wettbewerbsdruck mit anderen Lokalitäten in der nahegelegenen Innenstadt. Über allem stand, die Überlebensfähigkeit aller Gastwirtschaften. Aus diesem Grund wurde ihre Anzahl auf dem Gelände auf eine Höchstzahl begrenzt. Auch, wenn beispielsweise an Wochenenden die Zahl der Besucher so hoch sein würde, dass alle Lokale überfüllt seien. Der Fokus lag auf gute Leistungen, für den Erfolg waren alle Parteien gleichermaßen mitverantwortlich. [1]

Für den Besucher bot sich ein lohnender Rundgang durch das Kneipenviertel. Der dafür vorgesehene Eingang lag zwar hinter dem Teich im Süden, doch für den Blick der Gäste begann die Gastromeile bereits an der König-Albert-Allee. Dort stand die im Jugendstil errichtete Hauptgastwirtschaft an einem Ufer des großen Teichs. Am anderen Ufer gegenüber ragte hoch, der von vier Kuppeln gekrönte Bau des Wiener Cafés. An den schattigen Veranden und luftigen Terrassen beider Wirtschaften standen zwei kleinere Musikpavillons, von wo aus der Blick frei herumschweifen und sich das Auge am buntbewegten Treiben einer heiter gestimmten Menge erfreuen konnte. Daneben bot ein Nachbau der Wartburg, nicht nur einen Bergfried und andere originalgetreue Nachbildungen, sondern auch einen von zwei Gastwirtschaften der Kulmbacher Exportbrauerei. Diese betrieb unweit der Wartburg eine weitere Gastwirtschaft, die sich als terrassenförmige „Petzburg“ darstellte. Auf dem Gelände befanden sich bis zum Waldrand eine Vielzahl von verschiedenen Gastwirtschaften, die um einen großen Musikpavillon herum aufgereiht waren. Dazu gehörten die Bierstube von der Leipziger Bierbrauerei Riebeck & Co. AG, der Kapellenbau vom Nürnberger Bratwurstglöckle, das Brauhaus „Zum Pilsner“, der Hallenbau der Dampfbrauerei Zwenkau, die Bierhalle „Zum Feldschlösschen“, das Kaffee-Haus zum Rothenburger Erker, das Weinrestaurant in einer Burgruine „Zum Dürkheimer“ und die italienische Weinbar namens „Aqua sola“. [2] Hier wurde das Erlebte großgeschrieben und noch großartiger erlebt. Auf dem großen Teich war im Zentrum eine riesige Lichtfontäne installiert, deren imposante Wasserstrahlen von allen Seiten zu sehen waren. Neue Apparate mit vielen Scheinwerfern ermöglichten mehrfarbige Lichteffekte und die Erzeugung 40 m hoher Ringstrahlen. In den Abendstunden erstrahlten sie abwechselnd in allen Farben des Regenbogens. Eine noch größere und schönere Lichtfontäne gab es nie, weder in der Pariser- oder Berliner Ausstellung, noch bei anderen Weltausstellungen zuvor. [3] Ein regelmäßiges Farbspiel wie aus Tausend und einer Nacht boten weitere Illuminationen. Eine erste Illumination nach Eröffnung der STIGA zog tausende Gäste in ihren Bann. In mehrfachen Reihen umgaben die Bordkappen beider Teiche nicht weniger als 20.000 Kerzen. Mehrere tausend Girlanden von bunten Lampions säumten die Allee weitläufig und Lämpchen in grünen und gelben Gläsern ließen Blumenbeete sowie Rasenflächen farbenfroh erklimmen. Zeitzeugen beschrieben ein heiteres Vergnügen von zig Tausenden. Die Musik begleitete die festfrohe Menge bei ihrem abendlichen Spaziergang, überall ertönten Jubelrufe.

Doch das ist eine andere Geschichte.


[1] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung Sonderausgabe im Oktober 1896. Zur Verpflegungsfrage, S. 104 f.

[2] Vgl. Offizieller Führer der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897, S. 90-94.

[3] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung 29. August 1896. Von unserer Ausstellung S. 54.


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Autor/in

  • Mike Demmig

    studierte Verlagswirtschaft mit dem Schwerpunkt Kommunikation, Hobbyhistoriker und Veranstalter. Über ein Jahrzehnt ist er mitentscheidend beim Wiederaufbau des Leipziger Musikpavillons zu einem generationsübergreifenden Treffpunkt. In verschiedenen Engagements setzt er sich insbesondere für die Projekte ein, die einen lokalhistorischen Bezug haben. Ehrenamtliches Mitglied im Stadtbezirksbeirat Leipzig-Mitte, Mitinitiator, Förderer und Jury-Mitglied beim Gert-Triller-Preis für Musikkultur der Leipziger Notenspur e.V.

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