Gespräch mit Experten – Dr. Maren Möhring zur Esskultur der STIGA

Prof. Dr. Maren Möhring, Sozial- und Kulturhistorikerin an der Universität Leipzig, widmet sich in einem wissenschaftlichen Artikel der Bedeutung von Speisen und Getränke bei Welt- und Kolonialausstellungen um 1900. Sie analysiert anhand der Berliner und Leipziger Gewerbeausstellungen deren Inszenierung und ihre Funktion als Ausstellungsobjekte. Hierbei beleuchtet sie auch die Rolle der Koch- und Essgewohnheiten der Nichteuropäer, die eigens für die Dauer dieser Ausstellungen ausgewählt wurden. Frau Prof. Dr. Möhring, Sie beschäftigen sich mit dem Thema „Esskultur auf den Welt- und Kolonialausstellungen um 1900“. Wie kamen Sie dazu, was hat Sie dazu bewogen, einen Forschungsbeitrag zu schreiben? Ich interessiere mich generell für die Bedeutung von Essen in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten: Welche Bedeutungen werden spezifischen Lebensmitteln und bestimmten Mahlzeiten zugeschrieben? Was erfahren wir über Gesellschaften, wenn wir ihre esskulturellen Konventionen betrachten? Gerade wenn es um die Inszenierung von anderen Kulturen geht, kommt dem Essen als Alltagsphänomen oft eine besondere Bedeutung zu. Was und wie gegessen wird, weckt Interesse und Neugier, aber oft auch Abwehr. Diese widersprüchlichen Emotionen scheinen mir für eine Analyse von Welt- und Kolonialausstellungen hoch relevant. Wie würden Sie sich selbst und ihre Forschung beschreiben? Ich bin Historikerin geworden, weil ich mich für gesellschaftliche Transformationsprozesse und für kulturellen Wandel interessiere. Wichtig ist mir eine genaue Analyse von Machtbeziehungen, um soziale Ungleichheiten, aber auch die Handlungsspielräume historischer Akteur:innen ausloten zu können. Das heißt auch, sich damit zu befassen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt eigentlich sagbar und denkbar war. Durch geschichtswissenschaftliche Untersuchungen lassen sich zum einen die Begrenzungen vergangener Diskurse aufzeigen, zum anderen aber auch nicht realisierte Möglichkeiten aufdecken, die unseren gegenwärtigen Horizont erweitern können. Ihr Beitrag beleuchtet die Rolle der Gastronomie auf Welt-, Gewerbe- und Kolonialausstellungen. Könnten Sie uns näher erläutern, wie diese Veranstaltungen die Wahrnehmung und den Konsum von Essen und Getränken beeinflusst haben? Welt- und Kolonialausstellungen lebten von der Präsentation einer Vielzahl technischer, aber auch kultureller Güter und Leistungen. Der visuelle Konsum steht bei einem Ausstellungsbesuch im Vordergrund. Die Gastronomie vor Ort aber bot die Möglichkeit, sich nicht nur über den Sehsinn, sondern auch riechend und schmeckend dem Gebotenen zu nähern. Mir scheint das Moment der Einverleibung vertrauter, aber eben auch unbekannter Speisen ein wichtiges Element der Ausstellungserfahrung gewesen zu sein. Welchen Stellenwert hatte die Verpflegung vor Ort? War das Essensangebot „nur“ ein Beiwerk? Einerseits gehörten die Speisen auf Weltausstellungen zum Rahmenprogramm, das (fast) jede Form von Vergnügungsevent begleitet. Andererseits aber wurden Lebensmittel, ihre Zubereitung und ihr Konsum auch als aussagekräftige Symbole einer bestimmten Kultur eingesetzt – der eigenen wie der ausgestellten ‚anderen‘ Kulturen. Ihr Beitrag betont die Inszenierung von „fremden Welten“ durch „landestypischen“ Speis und Trank. Wie würden Sie diese Form der Gastronomie beschreiben? Die Welt- und Kolonialausstellungen lassen sich als eine frühe Form der Erlebnisgastronomie verstehen, bei der es nicht nur um die einverleibten Speisen und Getränke ging, sondern auch um den kulturellen Kontext, den als landestypisch erachtete Speisen und Getränke transportierten. Es ging nicht nur um die Inszenierung besonders ‚exotischer‘ Genüsse, sondern auch regionale Traditionen wurden beschworen. Letztlich war es eine touristische Vorstellungswelt, die aufgerufen wurde – egal, ob indische oder Wiener Küche geboten wurde. Diese Vorstellungswelten materialisierten sich nicht nur in Form von Speisen und Getränken, sondern gewannen Gestalt auch durch teils aufwändig ausgestattete Lokale, die architektonisch, durch Bildschmuck, Alltagsgegenstände oder auch musikalische Untermalung auf die jeweilige Region verwiesen. Die Berliner Gewerbeausstellung von 1896 und die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung in Leipzig 1897 stehen im Mittelpunkt Ihrer Analyse. Was hat Sie dazu inspiriert, gerade diese Ausstellungen zu wählen? Als Historikerin interessiert mich immer auch die Geschichte vor Ort, und da ich in Leipzig lebe, war es naheliegend, mich intensiv mit der Sächsisch-Thüringischen Gewerbe-Ausstellung von 1897 zu befassen und diese mit anderen Ausstellungen in Beziehung zu setzen. Denn die einzelnen Elemente ähneln sich letztlich sehr – auch und gerade, was die kulinarische Dimension angeht. Haben die gastronomischen Angebote das Verständnis von Kultur und Identität beeinflusst? Könnten Sie uns näher erläutern, wie Essen und Gastronomie dazu beigetragen haben, bestimmte Stereotypen zwischen den Kulturen zu formen oder zu reflektieren? Ich würde grundsätzlich unterscheiden zwischen der Inszenierung von Esspraktiken der auf Welt- und Kolonialausstellungen präsentierten Menschen aus nicht-europäischen Regionen und dem kommerziellen Speiseangebot in den gastronomischen Einrichtungen am Ausstellungsort. Die Präsentation ‚fremder‘ Ernährungspraktiken befriedigte eine ethnologische und auch kolonial(rassistisch)e Neugier, weil sie versprach, nah an die ausgestellten Menschen heranzuzoomen und sie vermeintlich bei ihren Alltagsaktivitäten zu beobachten. Essen diente hier (auch) der Authentifizierung des Ausgestellten. Ähnlichkeiten, vor allem aber auch Differenzen zum Gezeigten dienten der eigenen Selbstvergewisserung. Inwieweit diese Inszenierungen als solche erkannt wurden, ist schwer zu sagen. In den direkt kommerziellen Etablissements auf den Weltausstellungen war der Inszenierungscharakter den Besucher:innen vermutlich bewusst(er). Hier mögen bestimmte stereotype Bilder einen eher spielerischen Charakter angenommen haben. Die gastronomischen Einrichtungen zählten klar zum Vergnügungssektor der Ausstellungen, während die Völkerschauelemente einen ethnologischen Anstrich besaßen und wissenschaftlich(er) daherkamen. Daher wurden stereotype Darstellungen wenig(er) hinterfragt. Zum Abschluss, welche Herausforderungen bieten sich Forschern, die sich mit diesem Thema befassen wollen? Eine der größten Herausforderungen ist – wie bei vielen geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen – die schwierige Quellenlage. Erlebnisberichte von Ausstellungsbesucher:innen oder gar Aufzeichnungen von ausgestellten Menschen sind rar; wir können also oft nur die in den Ausstellungsführern vorgegebenen Sichtweisen rekonstruieren. Was die Menschen vor Ort tatsächlich dachten und taten, lässt sich nur annäherungsweise bestimmen. Ich glaube jedoch, dass ein Augenmerk auf scheinbar nebensächliche Aspekte wie das Essen uns neue Erkenntnisse liefern und die Perspektiven auf die Weltausstellungen erweitern kann. Mehr erfahren Sie in meinem Forschungsbeitrag, den Sie in einem Open-Access-Dokument nachlesen können. Aktuelles: www.uni-leipzig.de/personenprofil/mitarbeiter/prof-dr-maren-moehring

125 Jahre STIGA in Leipzig – Ein Konsum-Spektakel für Millionen

Die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung zog 1897 im Herzen Leipzigs ein Millionenpublikum in ihren Bann. Wirtschaftlich war das Großevent ein Verlust. Doch aus heutiger Perspektive ist es Sinnbild für den gesellschaftlichen Wandel, der Leipzig und die Welt im 19. Jahrhundert erfasste. Die größte innenstadtnahe Parkanlage Leipzigs ist kein Landschaftsgarten oder Schlosspark – und das sieht man auch. Eine breite Allee durchzieht den Clara-Zetkin-Park, links und rechts gehen Rundwege ab, führen zu kleinen Pavillons oder eingefassten Teichen. Vor 125 Jahren befand sich hier das Ausstellungsgelände für ein Wirtschafts- und Volksfest mit Millionenpublikum: Die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA). Zu ihr heißt es in den Ratsakten der Stadt Leipzig: „Und wäre kein anderer Nutzen von der Ausstellung zu erwarten als diese herrliche Morgengabe ihres Parkes, die sie der Stadt darbringt, wahrlich es wäre schon groß und bedeutend genug.“ Mit den Ausmaßen und der Infrastruktur einer Kleinstadt setzt die STIGA ein Zeichen in einer vom jähen Wandel gekennzeichneten Zeit. Die Stadt Leipzig befand sich damals, als viertgrößte deutsche Stadt, im Umbruch von der Handels- zur Industriestadt und dehnte sich verstärkt auf umliegende Gemeinden aus, die Bevölkerungszahl stieg sprunghaft an, die Leipziger Messe wandelte sich von einer Waren- zu einer Mustermesse. Im Jahr des vierhundertjährigen Jubiläums der Leipziger Messe wird 1897 mit der STIGA die Werbetrommel geschlagen für die mitteldeutsche Region mit Leipzig als Zentrum und für die neue Form der Mustermesse. Dafür werden zuerst die vorgesehenen Wiesen zwischen Scheibenholz und Johannapark trockengelegt und an die städtische Infrastruktur sowie an die Eisen- und elektrische Straßenbahn angebunden. Reichstagserbauer Paul Wallot, Gabriel von Seidl und Hugo Licht wählen als Juroren mehrere Leipziger Architekten für die Bebauung aus. Sie errichten neun Ausstellungshallen sowie mehrere Themenbereiche. In vielem orientieren sie sich an der großen Berliner Gewerbeausstellung des Vorjahres und an den Weltausstellungen früherer Jahre. Zum Ausstellungsbetrieb gehören Verwaltungsbauten, Feuer-, Polizei- und Sanitätswachen sowie die Poststation. Wie auf der Weltausstellung in Chicago 1893 strahlt das Gelände samt einer 40 Meter hohen Ausstellungsfontäne abends im Schein tausender farbiger Glühbirnen. Der Strom dafür wird in einer „elektrischen Kraftzentrale“ produziert, die den Dampf ausgestellter Dampfmaschinen nutzt. Gastronomische Angebote auf dem gesamten Gelände summieren sich auf rund 10.000 Sitzplätze. Aufwendige Rekonstruktionen zeigten ein Altleipziger Messviertel, die Wartburg oder ein Tiroler Schloss. Für ein Thüringer Dorf wurden Gebäude aus Thüringen umgesetzt und sogar eine Kirche nebst Friedhof errichtet. Ganz in der Nähe steht ein weiteres architektonisches Highlight: Vor der Industriehalle wird die Turmhaube der gerade im Bau befindlichen Reformierten Kirche zu Leipzig präsentiert. Sie erzielt drei Jahre später auf der Weltausstellung in Paris 1900 einen Ersten Preis. Ein großer Anziehungspunkt im Unterhaltungsviertel ist der Fesselballon des französischen Ballonpioniers Louis Godard, der den Aufenthalt in der Messestadt auch für neue Weltrekorde nutzt. Eine nach dem Vorbild der Berliner Ausstellung von privaten Organisatoren initiierte Kolonialausstellung mit sogenannter Völkerschau offenbart rassistische Stereotype, koloniale Interessen sowie den nationalistischen Geist des Wilhelminischen Zeitalters und damit die problematischen Facetten der STIGA. Legitimation und Repräsentation bestehender Herrschaftsverhältnisse sind Grundmotive vieler Ausstellungen. Auf dem Gelände verteilte Herrscherstatuen, Symbole und inszenierte Festakte wie die Eröffnungszeremonie mit dem Schirmherren König Albert von Sachsen unterstreichen dies. Ein anderer Kritikpunkt wird schon von Zeitgenossen wie Georg Simmel oder Walter Benjamin diskutiert: die subtile Erziehung zum Konsumismus. In der damaligen breiten Öffentlichkeit wird allerdings zuvorderst der Beitrag solcher Ausstellungen zu technischer und ästhetischer Bildung unterstrichen. So finden anlässlich der STIGA zahlreiche Tagungen und Kongresse statt und in den Ausstellungshallen begleiten Ingenieure sachkundig die Vorstellung von Produktionsprozessen. Auch die kommunalen und landesstaatlichen Bildungseinrichtungen sind mit umfangreichen Ausstellungen vertreten. Darunter finden sich mit der „Königlich Sächsischen Baugewerkenschule zu Leipzig“ und der „Königlichen Kunstakademie und Kunstgewerbeschule zu Leipzig“ auch zwei Vorgängereinrichtungen der HTWK Leipzig. Zu den technischen Innovationen, die dem Publikum nahegebracht werden, gehören Anwendungen für Gas oder Elektrizität. In einem Pavillon des Würzburger Professors Wilhelm Conrad Röntgen können sich Ausstellungsgäste für einige Groschen die Hände durchleuchten lassen. Der elektrisch betriebene Fahrstuhl zur Aussichtsplattform der „Wartburg“ ist seit seiner ersten Präsentation durch Elisha Otis auf der New Yorker Weltausstellung 1854 keine wirkliche Neuheit mehr. Origineller sind da Grammophone, Kinematographen oder die neuartige Rotationsdruckpresse von König & Bauer, auf der die tägliche Ausstellungszeitung in zehntausend Exemplaren gedruckt wird. Überhaupt ist das Druck-, Buch- und Pressewesen stark präsentiert. Noch stärker sind allerdings das besonders in Leipzig und Chemnitz beheimatete Maschinen- und Transportwesen und die Textilbranche vertreten. Von den 3.027 Ausstellern kommen 1.416 Firmen aus Leipzig. Neunzig Prozent der Leipziger Firmen jener Zeit haben bis zu zehn Angestellte und so sind es zumeist klein- und mittelständische Unternehmen, denen durch die Form einer Kollektivausstellung die Teilnahme möglich ist. Viele von ihnen werden mit einer der begehrten und an fast die Hälfte der Unternehmen vergebenen Ausstellungsauszeichnungen belohnt. Als Insignien von Produktqualität und Glaubwürdigkeit finden sie sich zum Teil bis heute auf Produktverpackungen. Achten Sie beim nächsten Radeberger Biergenuss mal auf das Etikett. Ein „Jahrhundert der Ausstellungen“ – Der Schriftsteller Ernest Renan verglich die Ausstellungen einst mit den Olympischen Spielen. Tatsächlich schienen sich im 19. Jahrhundert Städte, Regionen und Staaten mit immer sensationelleren und kostspieligeren stellungen gegenseitig überbieten zu wollen. Zuerst waren sie jedoch ein reines Mittel der Gewerbeförderung, auf das auch der sächsische Staat ab 1824 neben der Förderung von Gewerbeschulen und „Vorbildersammlungen“ zurückgriff. Bis zur Mitte des Jahrhunderts blieb der Erfolg der Veranstaltungen im Hinblick auf Produktvielfalt, Aussteller- und Gästezahlen recht bescheiden – das galt selbst für die dritte deutsche Nationalausstellung 1850 in Leipzig. Erst als infolge der ersten Londoner Weltausstellung 1851 das „Ausstellungsfieber“ grassierte und engagierte Wirtschaftsbürger – zu denen neben Kaufleuten, Handwerkern und Fabrikanten auch Forschende oder Lehrende gehörten – mittels ihrer „Gewerbevereine“ die Veranstaltungen organisierten, nahm die Sache Fahrt auf. Unter Einbindung staatlicher und kommunaler Interessen trugen die entstehenden Handels- und Gewerbekammern aktiv dazu bei, dass aus provinziellen Leistungsschauen nun massentouristische Volksfeste und Kommunikationsplattformen wurden. Massenpresse und Massentourismus, bessere Verkehrsmittel und -verbindungen ließen gemeinsam mit ausgefeilten Marketingstrategien das 19. Jahrhundert tatsächlich zu einem „Jahrhundert der Ausstellungen“ werden. Zu den unzähligen Printprodukten der Veranstaltungen gehörten beispielsweise die offiziellen Ansichtspostkarten, von denen allein auf der STIGA 2,5 Millionen Stück verkauft wurden. Um … Weiterlesen

Gespräch mit Experten – Dr. Enrico Ruge-Hochmuth zur STIGA

Dr. Enrico Ruge-Hochmuth beschäftigt sich seit den 1990er Jahren mit den Themen der Industriekultur und speziell mit den Gewerbeausstellungen in Sachsen. Sein Buch gibt erstmals einen Gesamtüberblick über das sächsische Ausstellungswesen bis ins 20. Jahrhundert hinein und ordnet diese in einen regionalen, nationalen und internationalen Kontext ein. Herr Ruge-Hochmuth, Sie beschäftigen sich mit den Gewerbeausstellungen in Sachsen. Was erzählen Sie Jemandem, der nichts über die Gewerbeausstellungen weiß? Welche Bedeutung würden Sie der STIGA 1897 in Leipzig zusprechen? Ab dem frühen 19. Jahrhundert gab es Ausstellungen, die zu Volksfesten wurden. Sie verbanden Industrie und Kultur miteinander und prägen unser Konsumverhalten bis heute. Denn dort wurde diskutiert und ausgezeichnet, was „schön“ oder was „funktionell“ ist, die Gesellschaft für den Umgang mit Design sensibilisiert. Auch regionale Produktmarken, wie „Plauener Spitze“, „Bautzner Senf“ oder „Glashütter Uhren“ wurden durch diese Veranstaltungen nachhaltig verfestigt. Aber der Bildungsaspekt spielte auch eine Rolle, um Ängste vor der technisierten Welt abzubauen. Der Industriemensch tickt anders und sollte gut funktionieren. So konnte das Produkt und oft auch dessen Herstellungsweise direkt erfahren und manchmal auch in kulturelle Zusammenhänge eingebettet erlebt werden. Die während der Ausstellung täglich erscheinende Ausstellungszeitung druckte man beispielsweise vor den Augen der Besucher auf einer neuartigen Rotationsdruckmaschine. Heute tanzen Menschen nach dem Sound der Maschinen „Techno“ und betrachten maschinell hergestellte Massenprodukte als Kunstform, die zumeist trivial anmutenden Massenprodukte werden bis heute zum einzigartigen Kulturerlebnis stilisiert. Warum gab es so viele Preise? So viel Aufwand im Auf- und Abbau für einen Ausstellungszeitraum von sechs Monaten? Die Aussteller waren zumeist kleine und mittelständische Produzenten und Gewerbetreibende. Sie wollten neue Kunden und Ausstellungsmedaillen gewinnen. In vielen Kategorien wurden solche Preise vor Ort vergeben, um sie anschließend werbewirksam für den Verkauf einzusetzen. Schauen Sie mal auf eine Becks- oder Radeberger-Flasche, da finden Sie die Medaillen noch heute auf dem Etikett. Die Besucher aus dem näheren und weiteren Umland kamen freilich auch, weil ihnen Superlative und außerordentliche Erlebniswelten versprochen worden. So wurde das „Thüringer Dorf“ oder das „Alte Leipzig“ mit allem was so dazu gehört nachgebaut und von kostümierten Schaustellern bevölkert, im Ausstellungsteil „Deutsch-Ostafrika“ wurden sogar – auch damals war das umstritten – „echte Eingeborene“ zur Schau gestellt. Für die Besucher war das Reisen durch inszenierte Welten, die sie in der Realität kaum hätten machen können, ein Highlight. Gibt es Parallelen zum heutigen Streben nach überregionalem Prestige? Der urbane Wettstreit hat in den letzten einhundert Jahren nicht abgenommen. Leipzig will sich nach wie vor als Handels- und Kongressmetropole überregional vermarkten, sucht Wege und Möglichkeiten sich international zu profilieren. Trotz aller Virtualität existieren noch immer kleinere, thematisch sehr fokussierte Formate, die genauso direkt auf das Konsumverhalten abzielen. Die „Eventisierung“ spielt dabei nach wie vor eine große Rolle. Die Veranstaltungsgäste, da hat sich bis heute nichts geändert, wollen gut unterhalten werden. 2022 begeht Leipzig das 125-jährige Jubiläum der Gewerbeausstellung. Was steht für Sie hierbei im Vordergrund? Generell sollten wir Tradition und Zukunft miteinander verbinden, an etwas „Gedenken“ klingt immer so nach Friedhof. In der Auseinandersetzung mit dem Thema würde ich für ein aktiveres Fortschreiben plädieren. Die Ausstellungen waren damals ein Ort des öffentlichen Diskurses, beispielsweise über modernes Wohnen, innovatives Bauen, Freizeitgestaltung oder Hygiene. Wir sollten dies konsequent weiterführen und uns auch an den historischen Orten über unser Arbeits- und Freizeitverhalten, den Umgang mit Realität und Virtualität oder ähnlichen Themen auseinandersetzen. Insofern könnte die Entdeckung der heutigen Parkanlage, das ehemalige Ausstellungsgelände, einen spannenden Rundgang bergen, der den Bogen vom Gestern zum Morgen spannt. Mehr Informationen erfahren Sie in meinem Buch. Aktuelles: www.stiga-leipzig.de

Ein Rundgang durch das Kneipenviertel der STIGA

Ein großes Ereignis wie die STIGA erforderte von allen Beteiligten Ausdauer, Mut und Engagement. Hohe Besucherzahlen waren bei Gewerbeausstellungen keineswegs garantiert. Während beispielsweise die Berliner rund 50.000 Tagesbesucher verzeichneten, kamen die Dresdner im gleichen Jahr lediglich auf 15.000 Besucher. Es gab zwar keinen verlässlichen Richtwert, aber die Veranstalter in Leipzig erwarteten nicht weniger Besucher. Zumindest war das ihre Erwartungshaltung. Trotzdem hatten die Berliner mit anhaltend schlechtem Wetter zum Ende ihrer Ausstellung zu kämpfen, was sich verheerend auf ihre Besucherzahlen auswirkte. Der Erfolg einer Open-Air-Veranstaltung hing also maßgeblich vom Wetter ab. Keine Attraktion der Welt konnte das ändern, und auch die Leipziger hatten keinen Einfluss auf das Wetter. Es galt also, Kosten und Nutzen sorgfältig abzuwägen. Das erklärte Ziel war es, allen Besuchern einen attraktiven und bezahlbaren Aufenthalt zu bieten, um sie zu motivieren, den Ausstellungspark mehrmals zu besuchen. Neben den Leistungsschauen und gärtnerischen Kunstwerken spielte auch die Verköstigung mit landestypischen Speisen und Getränken eine wichtige Rolle. Das große Gelände bot viel Raum für Gastwirtschaften aller Art und vielfältige Folklore, nicht nur für kostspielige Inszenierungen und noch nie dagewesene Effekte. Rund um den großen Teich im Herzen des Ausstellungsparks entstanden zwölf repräsentative Gastwirtschaften im Stil verschiedener Länder und Regionen. Darüber hinaus wurden im Thüringer Dorf und in der Alt-Leipzig-Nachbildung weitere fünf Gastwirtschaften errichtet, die das Thema der Ausstellung widerspiegelten. Zusätzlich waren dezentrale Ausschänke in den Gebäuden und auf dem Vergnügungsparkgelände vorgesehen. Die Vergabe der Pacht erfolgte nicht mehr an den Meistbietenden, sondern gegen eine niedrige Pachtsumme und eine Umsatzpacht auf die verkauften Getränke. Angesichts der Wetterabhängigkeit und der Unwägbarkeiten beschlossen die Verantwortlichen, das unternehmerische Risiko zwischen Pächtern und Verpächtern aufzuteilen. Dieses Prinzip hatte bei früheren Ausstellungen keinen hohen Stellenwert, aber diesmal lag der Fokus darauf, im Interesse der Pächter zu handeln. Die Pächter waren verpflichtet, ortsübliche Preise festzulegen, um den Besuchern einen erschwinglichen Aufenthalt zu ermöglichen. Dies führte auch zu einem erhöhten Wettbewerbsdruck mit anderen Lokalitäten in der nahegelegenen Innenstadt. Die Überlebensfähigkeit aller Gastwirtschaften stand im Vordergrund, weshalb ihre Anzahl auf dem Gelände begrenzt wurde, auch wenn die Zahl der Besucher an Wochenenden so hoch sein würde, dass alle Lokale überfüllt waren. Der Erfolg hing von der guten Leistung aller Parteien ab. [1] Für die Besucher bot sich ein lohnender Rundgang durch das Kneipenviertel. Der eigentliche Eingang befand sich zwar hinter dem Teich im Süden, aber schon entlang der König-Albert-Allee begann die Gastromeile. Dort stand die Hauptgastwirtschaft im Jugendstil an einem Ufer des großen Teichs. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte der von vier Kuppeln gekrönte Bau des Wiener Cafés empor. An den schattigen Veranden und luftigen Terrassen beider Wirtschaften befanden sich zudem zwei kleinere Musikpavillons, von denen aus die Gäste einen freien Blick auf das bunte Treiben einer fröhlichen Menge hatten. Neben einer Nachbildung der Wartburg, die nicht nur einen Bergfried und andere originalgetreue Elemente bot, sondern auch einer der zwei Gastwirtschaften der Kulmbacher Exportbrauerei beherbergte, gab es entlang des Geländes eine Vielzahl verschiedener Gastwirtschaften um einen großen Musikpavillon herum. Dazu gehörten unter anderem die Bierstube der Leipziger Bierbrauerei Riebeck & Co. AG, der Kapellenbau vom Nürnberger Bratwurstglöckle, das Brauhaus „Zum Pilsner“, der Hallenbau der Dampfbrauerei Zwenkau, die Bierhalle „Zum Feldschlösschen“, das Kaffee-Haus zum Rothenburger Erker, das Weinrestaurant „Zum Dürkheimer“ in einer Burgruine und die italienische Weinbar „Aqua sola“. [2] Hier konnte man das Erlebte großschreiben und in vollen Zügen genießen. Auf dem großen Teich befand sich eine riesige Leuchtfontäne im Zentrum, deren imposante Wasserstrahlen aus allen Richtungen zu sehen waren. Neue Apparate ermöglichten beeindruckende mehrfarbige Lichteffekte mit vielen Scheinwerfern und erzeugten bis zu 40 Meter hohe Ringstrahlen. Am Abend erstrahlten sie abwechselnd in allen Farben des Regenbogens. Eine solch große und beeindruckende Leuchtfontäne hatte es weder auf der Pariser- noch auf der Berliner Ausstellung oder anderen Weltausstellungen zuvor gegeben. [3] Weitere Illuminationen boten ein regelmäßiges Farbspiel wie aus Tausend und einer Nacht. Eine erste Illumination nach der Eröffnung der STIGA zog tausende Gäste in ihren Bann. Rund um die Bordkappen der Teiche wurden Tausende von Kerzen (mind. 20.000) in mehreren Reihen angebracht. Tausende Girlanden aus bunten Lampions säumten die Allee, und Lämpchen in grünen und gelben Gläsern schmückten die Blumenbeete und Rasenflächen. Zeitzeugen beschrieben die Szenerie als fröhliches Vergnügen mit einer jubelnden Menge. Aber das ist eine andere Geschichte. [1] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung Sonderausgabe im Oktober 1896. Zur Verpflegungsfrage, S. 104 f. [2] Vgl. Offizieller Führer der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897, S. 90-94. [3] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung 29. August 1896. Von unserer Ausstellung S. 54. © 2022 is licensed under CC BY-NC-SA 4.0 Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Der rechte Weg zur Industrie- und Maschinenhalle auf der STIGA

Ein beeindruckender Empfang erwartete die Besucher beim Betreten des Ausstellungsparks, zwischen Karl-Tauchnitz-Straße und Edvard-Grieg-Allee, in Leipzig. Zahlreiche Fahnen und Wappen der ausstellenden Städte und Länder schmückten das gewaltige Eingangstor, das von zwei hohen Obelisken flankiert wurde. Eine jugendliche Figur mit einer siegverheißenden Palme in den Händen verkörperte den reizvollen Geist der Ausstellung. Ihre Präsenz auf der Toranlage verlieh dem Ort eine feierliche Atmosphäre und lud die Besucher ein, sich auf ein beeindruckendes Erlebnis einzulassen. Die Palme selbst wurde mit Sieg, Ehre und Unsterblichkeit assoziiert. So strömten Zehntausende Menschen mit der Erwartung, einen ehrenvollen Sieg zu erlangen, zur feierlichen Eröffnung, um etwas Einmaliges und Nachklingendes zu erleben. Aus allen Richtungen kamen sie wohlgekleidet herbei und baten geduldig wartend um Einlass. Im Inneren erstreckte sich eine malerische Landschaft mit dekorativen Wiesenflächen, kleinen Kiosken und beeindruckender Gärtnerkunst. Bereits beim ersten Blick fiel das imposante Hauptgebäude der Industrie- und Maschinenhalle ins Auge, das sich im hinteren Teil der Ausstellung krönend erhob. Doch zunächst zog der große Schwanenteich im vorderen Teil des Ausstellungsparks die Aufmerksamkeit auf sich, in dessen Mitte ein Triumphschiff mit allegorischen Figuren majestätisch aus dem Wasser ragte. Die Ufer des Teiches (Wasserbassin) waren mit Statuen, Urnen, Koniferen und halbkreisförmigen Balustraden geschmückt. Besonders auffällig waren die gegenüberliegenden Terrassen mit den zwei großen in Kupfer getriebenen Vasen. Der Weg zum Hauptgebäude führte entlang einer breiten Lindenallee, der König-Albert-Allee, von der aus die Besucher problemlos zu den verschiedenen Bereichen der Ausstellung gelangen konnten. Der von den Veranstaltern vorgeschlagene Rundgang begann idealerweise auf der rechten Seite vom großen Eingangstor. Dort fiel sofort ein weiß schimmernder altgriechischer Tempel ins Auge, der sich durch seine Größe und Gestaltung von den kleineren Tempeln auf dem Gelände abhob. Vor einer Wasserfontäne idyllisch gelegen, wurde der Tempel von Koniferen, Sträuchern, Stauden, Lorbeerbäumen und Rosen umrahmt. Direkt neben dem Eingangstor befand sich der Nachbau des Altleipziger Messviertels aus dem 16. Jahrhundert. Dort konnten die Besucher den Auerbachs Hof, den Naschmarkt, einen bekannten Bettelbrunnen und das Abbild des altgotischen Rathauses von 1549 bewundern. Im Rathaus waren Wappen alter Patrizierfamilien, Sammlungen aus vergangenen Feldzügen, Leipziger Altertümer, ein Reliefbild der Stadt zur Völkerschlacht und eine Statue von Kaiser Maximilian I. zu sehen. Gleich dahinter befand sich auf einer Linie mit der altgriechischen Tempelanlage der Eingang zur Gartenbauhalle. Die Bedeutung der Gartenkultur für Leipzig spiegelte sich sowohl in der Gestaltung des Ausstellungsparks als auch in der zentralen Lage der Gartenbauhalle in der Ausstellung wieder, denn Leipzig etablierte sich neben Bamberg, Erfurt, Quedlinburg und Dresden als ein repräsentatives Zentrum der deutschen Gartenbaukunst. Ein besonderes Highlight bot das Tropendiorama im Inneren der Halle, das mit beeindruckenden Bildern die Vegetation in Übersee darstellte. Darüber hinaus gab es verschiedene Sonderausstellungen, die die Vielfalt des Gewerbes, der Botanik und der Tierwelt präsentierten. Dazu zählten auch Jagdtrophäen, Handwerksschulen, Amateurfotografie und Briefmarken. Die Kunsthalle befand sich ebenfalls in dieser Gegend. Dort wurde eine dauerhafte Verkaufsausstellung deutscher Werke zeitgenössischer Kunst gezeigt, insbesondere Werke aus Sachsen und Thüringen. Der Leipziger Künstler Max Klinger präsentierte während der Ausstellungszeit erstmals sein Werk „Christus im Olymp“. Anschließend folgte der geschmackvolle Bau der Textilhalle, in der der gesamte Produktionsprozess der hiesigen Textilbranche vorgestellt wurde. Beim Betreten der Halle befanden sich links die Spinnerei und rechts die Webereiarbeiten. Daneben befand sich die Halle für Landwirtschaft, Sport und Hygiene. Dort wurden die neuesten landwirtschaftlichen Maschinen, Geräte und Erzeugnisse der Fischerei und Imkerei sowie Artikel für die Gesundheitspflege, Jagd, Schießsport und Fahrsport präsentiert. Zwischen den beiden Hallen und befanden sich zwei privatbetriebene Pavillons. Einer davon war bestimmt zum Ausstellen von Maschinen und Einrichtungsgegenständen für die Wurstfabrikation einer privaten Fleischerei, die ihre dort hergestellten Waren auch zum Verkauf anbot. Der andere Pavillon zeigte in gleicher Art und Weise den Betrieb einer Meisterbäckerei. Dahinter befand sich die Halle für Gas und Wasser, die die praktische Anwendung von Gas und Wasser im Haushalt beim Heizen, Backen oder allgemein die Verwendung der Rohstoffe in der industriellen und gewerblichen Gasverarbeitung zeigte. Beim Betreten der Ausstellungshalle der Leipziger Stadtverwaltung konnte man unter anderem Bauzeichnungen des Grassi-Museums, der Markthalle sowie Entwürfe für das Völkerschlachtdenkmal und geplante Schmuckanlagen bewundern. Auf der Rückseite der Halle gab es eine Darstellung moderner Straßenbaukonzepte. Auf dem Rückweg zur König-Albert-Allee kamen die Besucher an einem Nachbau des Loreleybrünnleins vom Berliner Bildhauers Ernst Herter aus Galvanoplastik vorbei, das im gleichen Jahr zum 100. Geburtstag zu Ehren des deutschen Dichters und Schriftstellers Heinrich Heine der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt wurde und eine heftige Debatte auslöste. Das Denkmal wurde 1899 nicht in Deutschland, sondern im damaligen Franz-Sigel-Park in New York aufgestellt. Entlang der Lindenallee befand sich ein erhöhter Rundbau mit einem beeindruckenden Kolossalgemälde der Kreuzigung Christi. Das Bild zeigte unter anderem den Ölberg und die Moabitberge jenseits des Toten Meeres westlich der Stadt Jerusalem. Vorbei am Krystallpalast-Varieté-Theater gelangten die Besucher zur Tiroler Bergfahrt. Auf einem hohen Felsen erstreckte sich bis zum Ufer des Elsterflutbetts eine halb zerfallene Burgruine, ein Nachbau des bekannten „Schloss Taufer“ aus dem Mittelalter. Im Inneren befand sich ein Alpen-Diorama, das eine malerische Alpenlandschaft zeigte. Mit einer Bergbahn konnten die Besucher diese lebhaft erkunden. Zum Ende der König-Albert-Allee führte eine breite Brücke über das Elsterflutbett vorbei an vier Eckstatuen der Skulpturengruppen „Saxonia“ und „Thuringia“ zum imposanten Bau der Industrie- und Maschinenhalle. Das Hauptgebäude der Ausstellung war von allen Seiten hoch und repräsentativ. Über die König-Albert-Brücke gelangten die Besucher entlang eines großen Reiterstandbilds des Königs zum dreiteiligen Hauptportal. Beim Aufblicken konnte man neben zahlreichen Ecktürme auch eine Aussichtsplattform mit Ferngläser-Automaten sehen. Der Aufstieg versprach einen faszinierenden Blick über den Ausstellungspark, die Stadt und die umliegende Landschaft. In der Industriehalle waren zahlreiche Ein- und Ausgänge sowie mit Malereien verzierte Decken und Wände. Hervorstehende Friesen zeigten bunte Mosaike und die Fenster waren mit unterschiedlichen Glasmalereien versehen. Statuen und Pavillon-Systeme waren dekorativ ausgestellt und zeigten den beeindruckenden Präsentationswillen der beteiligten Aussteller verschiedener Industriezweige, die ihre neuesten Errungenschaften präsentierten. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Mechanik und Automatisierung. In der Maschinenhalle wurden alle Maschinen dauerhaft durch Transmission und Elektrizität betrieben, woran verschiedene Unternehmen mit unterschiedlichen Antriebssystemen beteiligt waren. Aber das ist eine andere Geschichte Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. … Weiterlesen

Von der Vision einer Weltausstellung in Sachsen

Die Idee für eine internationale Ausstellung in Leipzig kam 1893 aus einem Kreis von Leipziger Gastwirten und Hoteliers an die Leipziger Handelskammer. Ein nationales Ereignis mit großer Ausstrahlungskraft für die alte Handels- und neu aufstrebende Industriestadt sollte es werden, am besten eine Weltausstellung. An den Erfolg glaubte die Handelskammer (noch) nicht und befürwortete höchstens eine lokale Gewerbeausstellung. Schließlich befand man sich in einer schwierigen Zeit. Aufgrund der Cholera wurde 1892 die Leipziger Michaelis-Messe abgesagt. Eine Katastrophe für alle Beteiligten. Zu jener Zeit war die Infektionskrankheit eine neuartige Epidemie, die sich durch verunreinigtes Trinkwasser und infizierte Nahrung schnell über die Grenzen hinaus übertragen hat. Die gesundheitlichen Sorgen waren berechtigt, der Gewerbe- und Messestandort in der Krise. [1] Eine Gruppe von Gewerbetreibenden um den Kaufmann und Stadtverordneten Blanke propagierte vielleicht auch deswegen die Idee einer größeren Gewerbeausstellung. Hinzu kam, dass Sachsen keine solche Ausstellung seit langer Zeit veranstaltet hatte. Nach intensiven Verhandlungen einigten sich die verschiedenen Interessengruppen mit der Stadt auf die Durchführung einer erweiterten Sächsischen Landesausstellung. Neben dem Königreich Sachsen sollte die Umsetzung gemeinsam mit den sieben Thüringischen Staaten gelingen (Herzogtümer Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha sowie Sachsen-Meiningen, die Fürstentümer ältere und jüngere Linie zu Reuß, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen). Zugleich befürwortete man die Teilnahme anderer Staaten (der preußischen Provinz Sachsen, des Herzogtums Anhalt, den preußischen Regierungsbezirk Liegnitz, der Mark Brandenburg ohne Berlin und die drei fränkischen Kreise Bayerns). Der Ausstellerkreis sollte über die mitteldeutsche Region hinausgehen. Das erklärte Ziel war es, verstärkt kleine- und mittelständische Unternehmen miteinzubeziehen und zu fördern. Ebenso war beabsichtigt, die Synergien einer Messe in beide Richtungen mitzudenken und die Ausstellungsdauer so zu gestalten, dass Frühjahrs- und Herbstmesse parallel partizipieren können. [2] Schließlich wurde das Ausstellungsjahr 1897 bewusst ausgewählt. In diesem Jahr gab es deutschlandweit keine Konkurrenz zu anderen Ausstellungen. Passend dazu war es ein 400-jähriges Jubiläumsjahr der kaiserlichen Verleihung des Messeprivilegs an Leipzig. Man konnte das Jubiläum angemessen dafür einsetzen, um die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (Länderausstellung) in ihrer überregionalen Bedeutung aufzuwerten. Denn „Ehre, wem Ehre gebührt“ – Kaiser Maximilian hatte 1497 mit der Verleihung des Messeprivilegs schließlich die Grundlage für das Wachstum und das große Ansehen Leipzigs als Handels- und Messestadt gelegt. Die Fürsprecher bekamen 1894 durch eine Umfrage viel Rückenwind. Über 80 Prozent der befragten Wirtschafts- und Industriekreise in Sachsen und Thüringen befürworteten das Vorhaben. König Albert von Sachsen übernahm daraufhin höchst selbst die Schirmherrschaft und verlieh dem ambitionierten Vorhaben 1895 königliche Relevanz und Legitimation. Daneben bildeten sich eine Reihe von Fachausschüssen und Komitees. Es gab ein Ehrenpräsidium, dem der Leipziger OBM Dr. Georgi und auch die Vorsitzenden der Handelskammer und Gewerbekammer sowie bedeutende Staatsminister angehörten, und ein Ehrenkomitee mit Mitgliedern aus Botschaften europäischer und amerikanischer Staaten etc. [3] Die Direktion übernahm der Rechtsanwalt Dr. Küstner. Ihm zur Seite standen ein geschäftsführender Ausschuss aus den so genannten „besten Kreisen der Stadt“ – Stadtrat Dodel (1. Vorsitzender), Kgl. Kommerzienrat Mey und Fabrikbesitzer Sening (stellv. Vorsitzende), Justizrat Dr. Colditz, Stadtrat Ehmig, Kgl. Kommerzienrat Kirchner, Bankdirektor Dr. Messerschmidt (Stadtrat a. D.), Stadtrat Dr. Schanz und Fabrikbesitzer Waselewsky. Die Finanzierung organisierte sich über einen von der Deutschen Kreditanstalt und der Leipziger Bank aufgelegten Garantiefond. An ihm beteiligten sich die Leipziger Bürger mit Garantiescheinen in Höhe von etwa 1.750.000 Mark. Die städtischen Behörden übernahmen ebenfalls Garantiescheine im Wert von 250.000 Mark. Weitere 80.000 Mark kamen aus der Grassi-Stiftung dazu. [4] Das Gelände am Scheibenholz und Johannapark Die Stadtverwaltung beteiligte sich, nicht nur mit Garantiescheinen, sondern überließ der zukünftigen Bauleitung 1895 auch eine rund 40 ha große Weide- und Wiesenfläche am Elsterflutbett. Das sumpfige Gelände lag nahe dem reich geschmückten Villen-Viertel am Johannapark in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Nicht ohne Grund, denn die Stadtverordneten stimmten diesem Vorschlag zu, auch deshalb, weil dieses Areal nach Ende der Ausstellung als Stadtpark einen bleibenden Charakter einnehmen sollte. Es war ein gleichmäßiges Gelände, das hier und da etwas abfällt. Anstelle holpriger Wege und tiefgelegenen Wiesen traten festgebaute Straßen, üppige Promenadenwege und glitzernde Wasserflächen. Eine breite Brücke über das Elsterflutbett verbindet die innere Stadt noch heute mit ihren westlichen Vororten und feste Dämme schützen auf alle Zeiten gegen jedes Hochwasser, den Masterplan dazu erarbeitete Arwed Rossbach. [5] „Wenn dann nach einem Jahre voll Glanz und Jubel und Triumph die stolzen Paläste gesunken und dem Erdboden gleichgemacht sein werden und keine hindernde Schranke mehr den freien Zutritt wehrt, wenn Jung und Alt, Arm und Reich sich in den herrlichen Anlagen ergeht, um fern und doch nah bei der Stadt geschäftigem Getriebe in freier, frischer Luft Erquickung zu suchen, dann wird die Erinnerung an die Ausstellung, die Schöpferin dieses zum Gemeingut gewordenen Erholungsplatzes, neu aufleben in den Herzen der genießenden Bürger und man wird dankbar preisen ihr Vermächtnis – das Gebliebene.“ Leipziger Ausstellungszeitung Nr. 101, 1. November 1896. Mit Kosten in Höhe von etwa 530.000 Mark legte man das Gelände weitgehend trocken. Es entstanden Schleusenbauten, Brücken, Teiche, Gärten und eine eigene Strom- und Wasserversorgung. Der Ausstellungspark wurde in bevorzugter Weise an die städtische Straßenbahn und Sächsische Staatsbahn angebunden. Nach Zustimmung des Stadtrates lobte die Stadt 1895 einen Architekturwettbewerb aus. Am Ende des Wettbewerbs stand ein Konsortium aus ausgewählten Architekten, die den Bau der einzelnen Ausstellungsbereiche gemeinsam planten und beaufsichtigten. Die Juroren waren u.a. der Erbauer des Berliner Reichstages Wallott und der Leipziger Stadtbaurat Licht. Nach zwei Jahren Bauzeit präsentierte sich ein neuer Stadtteil. [6] Die STIGA war vom 24. April bis zum 19. Oktober 1897 mit insgesamt 3.027 Ausstellern die in diesem Jahr einzig große Ausstellung in Deutschland. Herausragende Staatsgäste kamen zur feierlichen und festlich geschmückten Eröffnung auf Einladung der Sächsischen Königsfamilie. Doch das ist eine andere Geschichte. [1] StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung Nr. 133 vom 24. April 1897. Wie die Ausstellung ward, S. 351. [2] Vgl. Hochmuth, Enrico 2012: Industrie- und Gewerbeausstellungen in Sachsen 1824-1914. Ihr Beitrag zur kommunalen und regionalen Standortbildung, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Sachsens Band 9, S. 66 f. [3] StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 1, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: … Weiterlesen

Ein Blick in die Literatur – STIGA in Leipzig

Die Ausstellungen, die ihren Ursprung den Museen verdanken, traten das erste Mal in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die Erscheinung. Sie haben sich seitdem zu einer Institution herausgebildet, die uns jetzt ein geradezu unentbehrliches Bedürfnis dünkt und unserer Zeit ihren eigenartigen Stempel unverkennbar aufdrückt, so daß wir das neunzehnte Jahrhundert das Zeitalter der Ausstellungen nennen könnten. Nachdem das Ausstellungstreiben vergangenes Jahr im Norden und Süden seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, pulsiert es heuer besonders lebhaft mitten im Herzen Deutschlands – in Leipzig. Die Pleißestadt ist durch ihre Bedeutung als alte Handelsempore und durch die centrale Lage im Reiche wie kein anderer Platz geeignet, den Industrie- und Gewerbefleiß der arbeitsamen Bevölkerung Mitteldeutschlands in einem großartigen Gesamtbilde der Welt vorzuführen, und der Aufruf Leipzigs zur Veranstaltung eines friedlichen Wettbewerbs innerhalb seiner Mauern verhallte denn auch nicht ungehört. Das ursprünglich in beschränkterem Rahmen schon für das Jahr 1895 geplante Unternehmen wurde aufgeschoben, wuchs sich aus und gestaltete sich nun zu einer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Ausstellung, an der nicht allein das Königreich Sachsen und die Thüringischen Staaten, sondern auch das Herzogtum Anhalt, die preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg (mit Ausnahme Berlins), der Regierungsbezirk Liegnitz von Schlesien und die drei fränkischen Kreise Bayerns beteiligt sind. Wie die Ausstellungen von jeher gern an ein geschichtlich wichtiges Ereignis anknüpften so ist auch die Leipziger Ausstellung in Erinnerung an das Jahr 1497, in dem die bedeutungsvolle Einrichtung der Leipziger Messen von Kaiser Maximilian I. bestätigt und konfirmiert wurde, ins Leben gerufen worden. Die Ausstellung, welche am 24. April dieses Jahres in Anwesenheit des Königs Albert von Sachsen feierlichst eröffnet wurde, hat ihren Platz im westlichen Teile der Stadt auf den zwischen Karl Tauchnitz- und Bismarckstraße sich hinziehenden Parkwiesen erhalten. Sie ist also für den Besucher leicht erreichbar, dem überdies durch elektrische Bahnen jederzeit die schnellste Fahrgelegenheit nach allen Himmelsrichtungen geboten wird. Treten wir durch das von zwei hohen Obelisken flankierte Hauptthor in den Ausstellungspark ein, dessen Fläche 400 000 qm umfaßt, so wird uns ein überraschend schöner Anblick zu teil. Vor uns dehnt sich eine überaus reizvolle Landschaft aus. Inmitten herrlicher Anpflanzungen liegt ein blinkender Weiher eingebettet, der von Schwänen belebt und von zierlichen Statuen umrahmt ist, und im Hintergrunde ist das imposante Hauptgebäude sichtbar, das wie ein weißes Schloß zu uns herübergrüßt. Das ist unser Ziel. Wir schreiten die um das Wasser führende breite Lindenallee entlang, die sich durch prächtige Gartenanlagen hinzieht, in denen Kioske und Tempelchen malerisch verstreut liegen, und gelangen über die Flutkanalbrücke, die mit Statuen geschmückt ist, welche Sachsen und Thüringen, Industrie und Gewerbe verkörpern, bis vor das mächtige Hauptgebäude. Dicht vor demselben ist ein Reiterstandbild des Protektors der Ausstellung, König Alberts von Sachsen, errichtet. Das in Renaissancestil gehaltene Bauwerk selbst, das samt der mit ihm vereinigten Maschinenhalle einen Flächenraum von über 40 000 qm einnimmt, ist mit einer Anzahl kleiner Türmchen geziert und zeigt vor der Front die von Säulen getragenen allegorischen Figuren der Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz und Erfurt. Wir begeben uns durch das mittelste der drei Portale in den hochgewölbten Kuppelbau, dessen Decken- und Wandmalerei einen hübschen Gedanken zum Ausdruck bringt. Vier mächtige Eichbäume, deren Zweige Putten mit den bezüglichen Attributen beleben, sollen die einzelnen Gewerbarten darstellen. Sie wachsen an den Wänden zur Decke empor, an der sich ihre Laubkronen zur Umkränzung des Symbols der Industrie, eines großen Zahnrades mit dem sächsischen Wappen, vereinen. An der dem Eingang gegenüberliegenden Galeriewand ist eine Orgel aufgestellt und auch im übrigen haben hier besonders wirksam gruppierte und ins Auge fallende Gegenstände Platz gefunden. In einem der nächsten Räume nimmt die Ausstellung des Buchgewerbes ihren Anfang, als deren mächtigste Vertreterin Leipzig obenan steht. Die Halle, in deren Mitte sich die Statue Gutenbergs erhebt, und von deren Wänden die Riesenbilder der vier Evangelisten herabgrüßen, ist mit düsterer Holzdecke ausgestattet und mutet wie eine Klosterbibliothek an. Hier hat auch die Verlagshandlung unseres Blattes ausgestellt. In dem Bestreben, ihrem Platz ein gefälliges Aussehen zu verleihen, ist sie aus begreiflichen Gründen auf den Gedanken gekommen, ihn mit einer grün umrankten Gartenlaube zu umgeben. Hier finden wir sämtliche Jahrgänge der „Gartenlaube“, die seit ihrer Gründung durch Ernst Keil im Jahre 1853 erschienen sind, in stattlicher Reihe aufgestellt. Ein charakteristisches Bild Ernst Keils schmückt die Mittelwand der Laube und die übrige Wandfläche bedecken Originalbilder von berühmter Künstlerhand. Nebenan hat sich das graphische Gewerbe niedergelassen, das uns unter anderem den Dreifarbendruck praktisch vorführt und dem sich die photographischen Künste, die Papierfabrikation und sämtliche andere verwandte Geschäftszweige anschließen. Ein interessantes Bild gewährt der Raum, in dem uns klargemacht wird, welche große Bedeutung die Chemie für die Industrie gewonnen hat. Denken wir nur an das kleine Zündholz, dessen Erzeugung hierher gehört. Welche wichtige Rolle spielt es nicht in unserem Leben! Hat man doch ausgerechnet, daß auf den Kopf der Bevölkerung Deutschlands täglich 6 Zündhölzchen kommen, d. i. bei 52 247 000 Einwohnern also ein Verbrauch von 313 482 000 Stück. Ein hoher Obelisk, der aus Schachteln sogenannter Schwedischer Zündhölzer aufgebaut ist, erinnert zugleich daran, wie segensreich diese deutsche Erfindung wirkt, indem sie die gesundheitsschädliche Herstellung der giftigen Phosphorhölzer immer mehr verdrängt. Gut beschickt ist auch die Abteilung für Musikinstrumente, auf welchem Gebiete sich Klingenthal, Markneukirchen und andere Orte des Vogtlandes einen Weltruf erworben haben, ferner die für Pianofortebau, in dem wieder Leipzig Mustergültiges leistet. Unerreicht in der ganzen Welt steht die Uhrenfabrikation der sächsischen Stadt Glashütte da, die selbst den berühmten Genfer Erzeugnissen gegenüber den Vorzug genießt. Einen bedeutenden Industriezweig Sachsens und Thüringens bildet die Keramik. Allen anderen Städten voran marschiert hier Meißen mit seiner Königlichen Porzellanmanufaktur, die zahlreiche künstlerische Erzeugnisse aufgestellt hat. Ferner festigen die Galanterie- und Spielwarenindustrie des Ausstellungsgebietes durch das, was sie herbeigeschafft, die hohe Meinung, die man schon längst überall von ihnen hegt. Einen gewaltigen Eindruck hinterläßt die Gruppe „Berg-und Hüttenwesen“, deren Produkte ganz ausgezeichnete sind. Und auch die anderen Zweige alle sind vertreten und verdienen Anerkennung und vollstes Lob. Hervorragendes Interesse erweckt die Maschinenhalle mit ihren unzähligen großen und kleinen Betrieben. Eisenbahnzüge, die mit allen Ausrüstungen der Neuzeit versehen sind, können wir besteigen und besichtigen. Der Schnellzug mit seinen Brems- und … Weiterlesen

Aus der Presse – Letzte Worte zum Abschied der STIGA

Sechs Monate lang hat der braune Jüngling im grünen Grunde mit der Rechten den Lorbeer emporgehoben, und mit diesem Attribut stolzer Ehrung auf die goldenen Früchte gedeutet, die im Wipfel des Baumes schimmerten. Während die Einen diesen reichen Obstsegen des Placates als den Erfolg ehrlichen, rühmlichen Strebens aus allen auf der Ausstellung vertretenen Gebieten der Industrie und des Gewerbes nunmehr gedeutet wissen wollen, weisen tiefsinnigere Naturen damit den über alles Erwarten reich ausgefallenen Besuch nach, bei dem in der That „kein Apfel zur Erde konnte“. Dir Symboliker beider Anschauungen dürfen und müssen Recht behalten: Ehre und Ruhm wurde allen Betheiligten an dem glanzvollen Werke zu Theil, reger Zufluß von Besuchern aus allen deutschen Gauen und vom Auslande her ließ die Wallfahrt an manchen Tagen zu einem riesigen Umfang anwachsen. Jetzt, wo es an‘s Scheiden geht, überkommt Manchem eine gewisse Wehmuth über das Zerstören, Auflösen, Vergehen eines glänzenden Werkes, welches, das darf man bedingungslos aussprechen, unserer Leipziger Bewohnerschaft so ganz ans Herz gewachsen war und der letzteren ein Semester lang immer den willkommensten und freudigsten Anlaß gegeben hatte, weitesten Kreisen außerhalb der freundlichen Lindenstadt die Schönheit und Gediegenheit ihrer in jeder Beziehung wohlgelungenen Ausstellung bewußt werden zu lassen. Je nach der individuellen Geschmacksrichtung fand zudem dort Jeder seine Rechnung, der eine im ästhetischen Genuß ausgiebige Anschauung Dessen, was Natur, Kunst, Gewerbe und Industrie geschaffen, der andere in der Huldigung des Gedankens, daß neben der Betrachtung, sollte sie eindrucksvoll bleiben, auch der materiellen Stärkung zu ihrem Jahrtausende alten Recht verholfen werde. An Mitteln zur Ausführung dieser Idee hat es wahrlich nicht gefehlt. Am südöstlichen Uferrand des großen Sees von der Stelle an, wo der „Dürkheimer“ den Weg wie ein Raubritter verlegte, um frohe Bacchusjünger zu fangen, bis hin zum „Bratwurst-Glöckli“, dessen letzte Stunde jüngst schon geschlagen, legte sich bogenförmig das Kneipenviertel, der beliebte Treffpunct aller durstigen Seelen. Es war die Mausefalle für Hunderttausende. Wer einmal drin saß, kam nicht wieder heraus. Nun sind auch die Herrlichkeiten aller dieser Stätten im Schwinden. Es wird die Facade des freundlichen „Tucherbräu“ mit der gemalten Mohrenkopfmarke in Trümmer sinken, es wird der von der Leipziger Damenwelt in täglichem Ansturm seiner Küchenbuffets genommene „Rothenburger Erker“, den Stunde für Stunde schrille Zigeunermusik „umsäuselte“, den Weg alles Gipses wandeln, und die grellweiß getünchte Osteria am Teichgestade vergehen, dort, wo das weithinleuchtende Wort Aqua sola den Unkundigen zu der Meinung führte, daß der gewässerte Titel gleichwerthig mit Aqua soda, Sodawasser, sei. Wo einst das „Willkommen“ zum Eintritt und zum Beschauen winkte, macht sich seit Kurzem das häßliche „Verkäuflich“ breit. Allerorten wird ausverkauft. Die Fischkosthalle sucht für ihre 15 000 Biermarken Abnehmer; alles kommt zum Angebot: Pavillons, Schränke, Tische, Stühle, Palmen, Büsten, Villen, Bänke, Gläser und Flaschen, denn die Uhr ist abgelaufen und die Logis sind gekündigt. Ungern trennt man sich von dem köstlichen architektonischen Bilde auf waldumzogenem Plan. Wie oft hat der alte, von flatternden Wimpeln gekrönte Wartburgthurm freudig auslugende Bewunderer auf seinen Zinnen gesehen, Hunderte von idealen „Strebern“, die im Innern des viereckigen Kolosses langsam zur ersehnten Höhe emporgewunden wurden. Was sie sahen, das war bezaubernd. Vor sich Wasser und Wald, dazwischen farbig aufleuchtende Bauten mit Kuppeln, Thürmen und Thürmchen, Kiosken und Tempeln, Brücken und Terrassen, mit einem Wort eine herrliche Welt, in der nur Freude und Vergnügen zu Worte kamen, hinter sich aber bis zur Grenze des idyllischen Blockhauses das Thüringer Dörfchen in der ganzen Ursprünglichkeit von Raum und Form. Jetzt steht das Mühlrad still; der Esel, diese reizende Staffage der Lindenmühle, hat seine Schuldigkeit gethan und geht, auch ist das Schicksal der wohlgemästeten Gänsecolonie im Dorfteich, dem heiligen Martinus zu Ehren geopfert zu werden, nunmehr unwiderruflich besiegelt, der Dorfteich selbst dem Austrocknen verfallen. Bei den letzten Gemeinderaths-Sitzungen im Gemeindehause tauchte bei feurigem Most der Wunsch auf, Manches erhalten zu sehen, was für die Nachwelt als Relicten-Architektur von Werth sein könne, doch resignirt blieb Alles bei Wunsch und Most. „Menschen, Menschen sein mer Alle, Fehler hat a Jeder gnua, Alle können doch nicht gleich sein, das liegt schon in der Natur“ sang noch einmal die lustige Capelle, dann schloß auch diese denkwürdige Sitzung. Noch einige Male wird der Tanzboden in der „Tanne“ schwanken, werden die Musikanten im Felsgewölbe der Wernesgrüner Schänke fiedeln, dann ist es aus. Was war das für ein Leben in diesem Sommer dort oben auf der Terrasse der Wernesgrüner Schänke, wie schäumte und perlte dort die Wernesgrüner Weiße! Herrliche Tage verleibt der Himmel auch jetzt noch in seiner Gunst dem Werke, Tage voll Sonnenscheins und wahrer Frühlingsstimmung, gleichsam als wollte er Das, was er in den letzten Wochen versagt, nun am Schlusse wieder in vollstem Maße gut machen und ein glänzendes sonniges „Finis coronat opus“ aufleuchten lassen. Und dankbar genießt unser Publicum diese Himmelsgunst und strömt in vollen Schaaren hinaus auf den Ausstellungsplatz, um den letzten wehmüthigen Abschied von den Herrlichkeiten zu nehmen, die unser Leipzig für ein halbes Jahr mit einem Leben erfüllt hatten, das uns sonst nur die Messen zu bringen pflegten. Vor einigen Tagen allerdings fröstelte es stark in der Natur. Es war Herbststimmung, es war ein anderes Bild. … Der Wind trug fahle Blätter aus dem „Scheibenholz“ herüber und streute sie auf Bank und Weg. Fast passagierlos polterte der Train der elektrischen Rundbahn durchs Gehölz, über die Fluthcanalbrücken, an der Boma der Schwarzen vorbei, am Alten Meßviertel vorüber, dann huschte sie hinter den Nietzschmann‘schen Wursttempel, hinter das Panorama und den anderen Kolossalbauten dieser Schaustellungslinie, um später am Eismeerpanorama wieder zum Vorschein zu kommen. Nun ist der Moment, an dem die imitirten Eisschollen zu Feuerholz zerhackt, die Eisbären und Seelöwen verpackt und die nimmersatten Möven und Taucher anderwärts einquartiert werden sollen, unwiderruflich gekommen. Welcher Ohrenschmaus bisher, als die Seelöwen in klagendem, abgehacktem Bellen theils Hunger, theils Wohlbefinden verriethen, als die Capelle der ihre Insassen quirlartig drehenden elektrischen Stufenbahn mit der zwingenden Gewalt des Bleches das Surren und Rasseln der mächtigen, mit Glühlampen überreich decorirten Drehscheibe übertönte, als das Schmettern der Trompeten das Einreiten sportkundiger Jünglinge und verwegener Amazonen in die Arena des Hippodroms verkündete. Jetzt wird an allen Ecken und Enden … Weiterlesen

Aus der Presse – Der letzte Ausstellungs-Monat der STIGA

Noch vier der Wochen und das bunte Ausstellungswunder, das Millionen von Menschen erfreute und erhob, soll verschwinden, das ganze so reizvolle Ensemble von Hunderten von Bauten sich wieder auflösen, das mächtig wirkende Gesammtbild sächsisch-thüringischen Industrie- und Gewerbefleißes den Blicken, die staunend auf ihm ruhten, sich auf immer entziehen. Der Gedanke mischt in die stolze Freude, die wir Leipziger über unser großes und schönes Ausstellungswerk empfinden dürfen, ein Gefühl der Trauer und zugleich das Verlangen, in diesen Wochen all‘ das Herrliche, das unsere Ausstellung bietet, doppelt noch zu genießen. Die Ausstellung hat in den betheiligten Ländern nicht nur, sondern weit über deren Grenzen hinaus gerechte große, uneingeschränkte Anerkennung gefunden. Hohe Würdenträger, allen voran unser geliebtes Königspaar, haben der Leipziger Ausstellung eine Aufmerksamkeit geschenkt, welche in ihrer Ausdehnung zugleich das schmeichelhafteste Lob aller Veranstaltungen derselben darstellt. Millionen von Besuchern aber aus dem gesammten deutschen Reiche und aus aller Herren Ländern haben in ihr reiche Belehrung und Zerstreuung gefunden und sind heimgekehrt mit hohen Worten der Zufriedenheit und der Bewunderung auf den Lippen. Dies Ziel erreicht zu sehen, ist eine Herzensfreude für jene uneigennützigen Männer, welche das imposante und schwierige Ausstellungswerk vorbereiteten und leiteten, eine Herzensfreude für jeden civis Lipsiensis, der den Ruhm unserer Vaterstadt durch das so schön gelungene Unternehmen in hohem Maße gesteigert sieht. Es war und ist noch ein großes Jahr für Leipzig, dessen letztem Viertel wir uns nähern. Die Ausstellung hat eine Fremdenfluth nach Leipzig gelenkt, die in verschiedenem Sinne goldhaltig war. Nicht die Ausstellung allein ist die Nutznießerin dieses Menschenstromes von Hunderttausenden gewesen, die ganze Stadt war es! Tausende und Abertausende, denen die Ausstellung der anlockende Magnet war, haben in Leipzig die schöne, freundliche, schaffensfreudige Stadt kennen gelernt und sind mit freundlichen Erinnerungen an sie, die sicher über kurz oder lang ihre Früchte zeitigen werden, wieder von von uns gegangen. Greifbare Früchte aber hat diese „Völkerwanderung gen Leipzig“ vielen und breiten Kreisen unserer Stadt bereits jetzt gebracht. Denn, wenn auch die Menschenwogen zunächst dem schönen Ausstellungsplane sich zuwälzten, zu vielen kleinen Flüssen und Bächlein zertheilt ergossen sie sich doch sämmtlich wieder in die Stadt, zum unmittelbaren Nutzen zahlloser Geschäftsbetriebe. Dazu gesellen sich als werthvolle Aussichten für die nächste Zukunft die zahllosen Geschäftsanknüpfungen, welche die Ausstellung vermittelt hat und große Aufträge, welche durch sie zum Abschluß gelangt sind. Die Stadt Leipzig und ihre Bevölkerung in ihrer Allgemeinheit münzt dergestalt den Erfolg unserer Leipziger Ausstellung auch für sich vollwichtig aus. Das aber macht die Freude an der letzteren zu einer noch größeren. Der moralische Erfolg freilich der sich nicht gleich münzmäßig feststellen läßt, dürfte für Leipzigs Zukunft noch entscheidungsreicher sein. Die Ausstellung bietet ein so umfassendes, großartiges Bild Leipziger Industrie- und Gewerbethätigkeit, daß Niemand mehr, auch die nimmer fehlenden Neider nicht, es ihrem Blick zu verschließen vermögen. Leipzig hat sich zum ersten Male der Welt in seinem ganzen werkthätigen Können und im Besitz einer schaffensfrohen Energie gezeigt, die einer dauernden fördersamen Wirkung sicher sein kann. Keine aller in den letzten Jahren veranstalteten Landesausstellungen hat den wirthschaftlichen Ernst in so schönen äußeren Formen zu Tage treten lassen wie unsere Leipziger Ausstellung, keine den Besucher mit so anmuthvollem Zauber umsponnen wie sie! Aber auch, wenn die Pforten sich geschlossen haben, wenn dieselben Menschenhände das wieder niederlegen, was sie so kunstvoll und schön errichteten, wenn die hochragenden Bauten auf dem weiten Plane verschwunden sein werden, auch dann noch wird die Ausstellung der Stadt zu hohem Segen gereichen. Denn die Stätte, zu der es uns jetzt so magisch hinzieht, wird immerdar den erholungsuchenden Bewohnern unserer Stadt als herrliche Parkanlage geweiht sein. Und wenn die Ausstellung auch dahin scheidet, sie erfährt gewissermaßen in der künftigen Bestimmung ihres Platzes eine Neugeburt, deren vollen Segen die nächsten Generationen erst nach seinem ganzen köstlichen Werthe für die Bewohner unserer Stadt werden abschätzen können. Das Alles darf und soll uns der Ausstellung gegenüber zur Dankbarkeit stimmen. Die Leipziger Einwohnerschaft hat sie schon dadurch bethätigt, daß sie gewissermaßen in corpore Besucherin derselben geworden ist. Wir zweifeln nicht, daß dieser Besuch bis zum letzten Ausstellungstage nichts von seiner bisherigen Intensität einbüßen wird, wir hoffen und wünschen sogar, daß dieselbe sich in diesem letzten Monate der Ausstellungsdauer noch sehr erheblich steigern möge. Das ist sogar nothwendig, wenn die Hoffnungen auf eine gedeihliche finanzielle Lösung des großen Unternehmens zur That werden sollen. Es ist ein hier und da stark verbreiteter Irrthum, wenn man annimmt, die Leipziger Ausstellung schufe sich selbst goldene Berge. Gewiß, ihre Leitung darf mit hoher Befriedigung auf den starken Besuch und die durch ihn erzielten Einnahmen sehen, aber Jeder, der, wenn auch nur in loser Verbindung mit der Ausstellung steht, kennt die Riesensummen, die deren Betrieb fortdauernd erfordert. Und er weiß auch, daß es der vollen Anhänglichkeit unserer Einwohnerschaft an die Ausstellung und des zahlreichsten Besuches bis zum letzten Tage bedarf, sollen die Hoffnungen, nach dem immensen industriellen und künstlerischen Erfolge auch wirthschaftlich gut abzuschneiden, nicht noch in den letzten Wochen scheitern. Ihre Erfüllung freilich gäbe erst unserer Leipziger Ausstellung den vollen Glanz und deshalb ist es fast eine Ehrenpflicht jedes einzelnen Leipzigers, zu seinem Theil Alles daran zu setzen, jene Hoffnungen der schönen Erfüllung nahe zu bringen. Diese letzten trüben, regenerfüllten Tage waren ja freilich wenig zur Bethätigung einer solchen Pflicht geeignet, aber man darf doch hoffen, daß die Sonne, die so oft und lange unseren Ausstellungsplatz mit ihren goldigen Strahlen übergoß, alsbald wieder die grauen Wolken durchbricht und aufs Neue Allen der schimmernde Wegweiser zu unserer Ausstellung wird. Dieser Appell gilt nicht für die Stadt allein, er mag auch hinausdringen auf das Land. Jetzt ist die Zeit gekommen, in welcher auch der vielbeschäftigte Landmann sich einige Tage von seiner Scholle loszulösen vermag, um die Leipziger Ausstellung aufzusuchen. Die Ernte ist eingefahren und zum Glück ist sie in weiten Bezirken unseres engeren Vaterlandes nicht unbefriedigend ausgefallen. Da mögen in diesen auch für den Landmann mit weniger Arbeit angefüllten Herbsttagen recht Viele den wohl allseitig aufgetauchten Wunsch, die Ausstellung zu sehen, zur That werden lassen. Niemand wird sie verlassen, ohne Freude und Anregung an ihr, ohne Nutzen durch sie … Weiterlesen

Aus der Presse – Unsere Ausstellung V. Am Kneipenteich

Vorn an der Hauptallee, zu beiden Seiten des Kneipenteiches, liegen die runden Konzertpavillons, die recht ungeschickt dort ihren Platz gefunden haben, da alle, die in das nasse Viertel wollen, durch die wandelnde musikfreundliche Menge sich drängen müssen. Wiederum ist es durch dieses Durchdrängen unmöglich, eine ungestörte musikalische Promenade zu machen, wie es z.B. in Berlin möglich war, wo die Menge in einer langgezogenen Ellipse auf und nieder wandeln konnte. Das erste Gebäude links, das die Ecke der Hauptallee und des Kneipenteichweges bildet, ist das große Hauptrestaurant, in dessen vorderer, der Hauptallee zugewendeter Hälfte nur Wein ausgeschänkt wird und der Genußbürger, der über das nötige geprägte Metall verfügt, Table d’hote speisen kann. In der hinteren Hälfte giebt es aber ein nicht übles Münchener. Hinter dem Hauptrestaurant ist ein geschmackvoll verkleidetes Maschinenhaus und gegenüber, am Teichufer, legen die Spreewälderinnen mit ihren Flachkähnen an, mit denen man eine Rundfahrt auf dem Teiche machen kann, die in abendlicher Dunkelheit am reizvollsten ist. Dann werden leuchtende Lampions an den Baldachinen über den Kähnen aufgehängt – langsam geht es am Ufer entlang, vorbei an den lichthellen Kneipen und den bunten Glühlichtgewinden der Ruine Schlosseck. In der Mitte des Teiches sprudeln plötzlich die Lichtfluten der Leuchtfontäne auf. Hellblau und hellgrün – rosa – flammenrot – in allen Farben schillernd quellen sie aus dem Wasser auf, überschlagen sich und fallen, Gischt spritzend, zurück. – Prächtige neue Farbenwirkungen werden dort erzielt. Hinter dem Maschinenhaus liegt das einfache, anheimelnde Holländerhäuschen von Erben Lucas Bols, in dem es einen ausgesucht vornehmen Schnaps giebt. Daneben ist der Pavillon der Kaffeefirma Richard Poeßsch. Steigt man die wenigen Stufen zum Türmchen hinauf, so kann man eine große, elektrisch betriebene Kaffee-Röstmaschine sehen, in deren Trommel zwanzig bis achtzig Pfund Kaffeebohnen mit einemmal über einem Coaksfeuer geröstet werden können. Unter der Trommel ist ein flacher Kessel, in dem der Kaffee gleich nach dem Rösten abgekühlt und durch ein in ihm mündendes Rohr sofort nach dem unteren Verkaufsraum hinabgleitet, wo er in einem Sacke aufgefangen wird. Man kann hier sehen, wie bequem, wie einfach der Großbetrieb ist, wie er des Menschen mühselige Arbeit von Maschinen verrichten läßt, ihn so zu einem immer vollendeteren Herren und Meistern der Natur macht und dem Sozialismus vorarbeitet. Gegenüber dem Kaffeetürmchen liegt am Teichufer die idealisierte Nachahmung der Ruine Schlosseck bei Dürkheim. Dort trinkt man unter Laubengängen einen 2/10 Römer Dürkheimer für 40-50 Pfennige und muß dann aber auch hineingehen in die Ruine, um die Wandmalereien des Münchener Malers Toni Aron zu sehen. Da ist unter anderem ein mit einer Sektflasche tanzendes Mädchen, dessen warmblütiger Leib aus der leicht lila gefärbten, duftigen Gaze-Bekleidung hervorleuchtet, und eine ganze Menge in Linien und Farben merkwürdiger Scenen, von denen manche aussehen wie vergrößerte Ausschnitte aus der Jugend und aus dem Simplicissimus. Unstreitig erkennt man in den Einfluß des Th. Th. Heine. Am gleichen Ende des Teiches, gewissermaßen als Gegenstück zu Schlosseck, ist die italienische Osteria, von der schon in den vohergehenden Ausstellungsberichten genug gesagt ist. Nur noch soviel: Es giebt dort nur Wein. Hinter diesen beiden Lokalen dehnt sich ein weiter, halbrunder Platz, in dessen Mitte eine hölzerne Musikhalle steht, die einzige in der ganzen Ausstellung, um die man eine Musik-Promenade machen kann. Den Platz säumen im Halbkreis eine Menge Kneipen ein. Da ist erst links die Fischkosthalle, daneben liegt das Café zum Rothenburger Erker. Dieses Café birgt für Nichtkenner ein sonderbares, unangenehmes Geheimnis. Wenn man sich dort mit müden Beinen niedergelassen hat, bringt der Kellner verschmitzt lächelnd die verlangte Portion Kaffee. Das Zeug schmeckt merkwürdig friedlich und dünn – der Kellner wendet sich mit ganz unschuldig aussehendem Gesicht ab, wenn man ihn ansieht. Die Provinzialen trinken ihr Schälchen Kaffee ganz ohne Arg, bis ihnen der Kellner beim Fortgehen ein kleines Andenken an den Rothenburger Erker überreicht. Aus dem kleinen Heftchen erfahren sie, daß sie – Kneipp-Kaffee getrunken haben, ohne es zu schmecken. Ja, das soll nun ein Scherz sein, die Gäste so zum Narren zu halten. Neben dem Café liegt das Tucherbräu, einige Schritte weiter der Ausschank der Brauerei Zwenkau. Wer dort aufmerksam hineinsieht, findet gewiß Bekannte dort. Wer das ist, wird nicht verraten – es sind jedenfalls ganz populäre Leutchen. Hieran reiht sich das Münchener Löwenbräu, in dessen heller Halle die weiche Musik eines Streichorchesters ertönt und wo echte Bayerinnen bedienen. Dann kommt die hellgraue Terrassen-Burg des Kulmbacher Petzbräu und dahinter, am Rande des Hochflutbettes, an der Brücke nach dem Thüringer Dörfchen das Münchener Bürgerbräu im Bratwurstglöckle. Gegenüber liegt hinter der Riebeckschen Brauerei der Wartburgturm, dessen Fahrstuhl noch nicht fertig ist, so daß man die Üebersicht über den Kneipenteich noch nicht genießen kann. Aber den daran angebauten Rittersaal der Wartburg muß man sich ansehen. Die an Ketten hängenden Deckenleuchter und die bunten, verschlungenen Ornamente und Figuren der Wandmalereien zeugen von einer so reichen, fruchtbaren Phantasie der Zeit des gotischen Stiles, daß man nur wünschen kann, auch unsere Künstler und Kunstgewerbler möchten aus der Wiederbelebung und der Hineinziehung des Natürlichen in die Kunstformen, ebenso wie die Künstler der Gotik, so mannigfache Formen erreichen. Unten in den Rundgewölben und auf den Terrassen bedienen freundliche Thüringerinnen, von denen man nach der Kneipenreife durch sämtliche aufgeführten Lokale ungern Abschied nimmt, um im Hauptcafé, das mit der Front nach der Hauptallee liegt, sich durch einen Kaffee wieder ins geistige Gleichgewicht zu bringen. In den luftigen Holzhallen sitzen die Damen unserer Geldbürger – mit Lorgnetten fixieren sie die gegenüber sitzenden, die gekleideten, halb übermütig, halb verächtlich lächelnden Freundinnen der Liebe, die von der gleichen Torte essen wie ihr unwillig und neugierig blickendes Gegenüber. – Aber abends und bei kühlerem Wetter kann man nicht in diesem Café sitzen, denn seine Hallen sind doch gar zu luftig. Man muß dann schon wo anders den Schluß eines Ganges um den Kneipenteich machen. Von Perkeo. Leipzig, 8. Mai 1897. Unsere Ausstellung V. Am Kneipenteich, in: SLUB Dresden. Leipziger Volkszeitung vom 8. Mai 1897. Sonnabend, S. 3.

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