Ein Blick in die Literatur – Sommer-Gärten zu (Ur-) Großvaters Zeiten

Leipzig vor siebzig Jahren mit etwa 40 000 Einwohnern und das heutige Leipzig mit einer Bevölkerung von mehr als dreimalhunderttausend Menschen – welche Gegensätze! Und doch war das damalige Leipzig nicht minder berühmt als das heutige. Seine Lage und seine geschichtliche Bedeutung, sein Handel und seine Universität, seine feingebildeten, aber thatkräftigen Bürger und seine schönen Frauen hatten ihm einen Ruf verliehen, der weit über Deutschlands Grenzen hinausging. Als eine besondere Zierde dieses alten Leipzigs aber galten die vielen schönen Gärten, die ihm mit Recht den Namen einer Gartenstadt eintrugen und auf welche die reichen Handelsherren mit hoher Befriedigung blickten. Einer derselben, der Bosesche (später Reimersche) Garten – die jetzige Königsstraße ist darauf erwachsen – begeisterte sogar einen Dichter zu den Versen: „Mein Liebchen ist wie Bosens Garten,Ein auserles’nes Blumenfeld,Das hier und da viel tausend ArtenVollkommner Schönheit in sich hält,Ein Auszug vieler Seltenheiten,Ein Meisterstück von Artigkeiten –“ Das Kriegsjahr 1813 hatte nur vorübergehend die Pracht dieser Gärten schädigen können. Reichenbachs (später Gerhards) Garten, Löhrs (später Keils) Garten, Breiters Wintergarten ec. gewannen wieder europäische Berühmtheit. Manche dieser Privatgärten waren im Laufe der Zeit in öffentliche Gärten umgewandelt worden, in deren Wirthschaften sich die Leipziger nach Herzenslust vergnügten. Wie es in einem solchen Garten vor etwa siebzig Jahren aussah, das zeigt uns deutlich unser Bild. Schattige Lauben, in denen kleine Gesellschaften, ungestört von den übrigen, traulich beieinander sitzen konnten; waren in Menge vorhanden, so im „Großen Kuchengarten“, den einst Goethe besungen hatte, auf der „Funkenburg“, wo früher das Fischerstechen abgehalten wurde und auf deren vorderer Wiese sich 1823 der berühmte Seiltänzer Kolter zuerst sehen ließ. Dort trank man auch die berühmte Gose. Sonst begnügte man sich mit Weißbier und dunkelm einfachen Bier, dem sogenannten „Raster“; aber Ende der zwanziger Jahre wurden bereits die ersten Lagerbiere, namentlich Lützschenaer, verschenkt, und bald nachher gab es sogar „Bayerisches Bier“, das aus Nürnberg eingeführt wurde. Kinder und Frauen liebten das einfache Bier mit „Musik“, d. h. mit geriebenem Brot und Zucker. Der Handwerkerstand erlustigte sich im „Posthörnchen“ und in der „Alten Burg“, die gewöhnlich die „Blaue Mütze“ genannt wurde, weil der Wirth stets eine blaue Mütze trug und eine solche auch am Eingange seines Anwesens aufhing, zum Zeichen, daß an dem betreffenden Tage Konzert stattfinde. Nicht selten verkehrten auch Studenten dort und dann gab es öfters eine regelrechte Prügelei. In Schiegnitzens (später Kupfers) Kaffeegarten, sowie in Rudolphs Garten verkehrte gewählteres Publikum. Hier ließen auch öfters Prager Musikanten ihre heiteren Weisen erklingen. Vornehmere Konzerte fanden im „Kuchengarten“ und Donnerstags im „Hotel de Prusse“ statt. Das Rosenthal, das früher vom feineren Publikum weniger besucht wurde, kam auch mehr und mehr in Aufnahme. Gleich am Eingange, wo sich jetzt das Restaurant Bonorand befindet, war eine Bude, in der man im Sommer schon früh um 4 Uhr Thee, Kaffee, Chokolade, Gefrorenes ec. bekommen konnte. Die Wirthin der „Eisbude“ hieß im Volksmunde die „Kalte Madam“, bei ihr versammelte sich die feine Welt. Im Frühjahre 1824 erhielt sie einen Nebenbuhler in dem Schweizerbäcker Kintschy, dem der Rath erlaubte, eine zweite Eisbude, das „Schweizerhüttchen“ während des Sommers einzurichten. Ein Jahrzehnt später begann man das Rosenthal allmählich zu dem schönen Parke umzugestalten, der heute der Stolz aller Leipziger ist. – Die großen Leipziger Gärten haben der Neuzeit zum Opfer fallen müssen. Prachtvolle Spazierwege zieren aber jetzt die Stadt, und außer dem Rosenthale hat man die schönen Laubwälder von Leipzigs Umgegend in reizende Parkanlagen verwandelt, dem gegenwärtigen Geschlecht zu Nutz und Frommen. Mag immerhin das Alte stürzen, wenn Besseres an seine Stelle tritt! Von Sttz. Die Gartenlaube 1890. Leipzig, in: Leipziger Sommergartenleben zu Großvaters Zeiten. Heft 17, S. 547.

Aus der Presse – Das Königspaar zu Besuch im Palmengarten

Die Ankunft der Majestäten erfolgte am Sonnabend Abend. Ihre Majestät die Königin, die Vormittag mittelst königlichen Sonderzuges ab Niedersedlitz nach Dornreichenbach zum Besuche ihrer Palastdame, der Frau v. Minckwitz, geb. Comteß Einsiedel, sich begeben hatte, traf Abends 9 Uhr 21 Min. auf dem Dresdner Bahnhofe ein. In der Begleitung Ihrer Majestät befanden sich die Hofdame Gräfin Reuttner v. Weyl und der Oberhofmeister Wirklicher Geheimer Rath v. Malortie, Excellenz. Sofort nach der Ankunft fuhr die Königin nach dem Thüringer Bahnhofe, um die Ankunft des Königs, der 9 Uhr 50 Min. von Karlsruhe kam, zu erwarten. In der Gefolgschaft Sr. Majestät befanden sich Generaladjutant Generalleutnant Hingst, die Flügeladjutanten Oberstleutnant Senfft v. Pilsach und v. Larisch und Major v. Rospoth, sowie der Königliche Leibarzt Oberstabsarzt Dr. Selle. Officieller Empfang fand auf dem Bahnhofe nicht statt. Die Königin erwartete in der Equipage ihren erlauchten Gemahl, der, wie die Herren seiner Gefolgschaft, Civilkleidung trug. Beide Majestäten fuhren dann, von der zahlreich versammelten Menge aufs Freudigste begrüßt, nach dem Königlichen Palais und nahmen dort Wohnung. Der Königliche Hausmarschall Wirkl. Geh. Rath v. Carlowitz-Hartitzsch war bereits Nachmittags dort eingetroffen, um die für den Aufenthalt des Königspaares nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Bald nach der Ankunft im Palais nahmen die Majestäten und die in ihrer Begleitung befindlichen Herrschaften den Thee ein. Die Majestäten folgten gestern Nachmittag einer Einladung zum Besuche des Palmengartens. Um 3 Uhr trafen die allerhöchsten Herrschaften im Palmengarten ein, woselbst sich die geladenen Ehrengäste aus den ersten Gesellschaftskreisen nebst den Vorstandsmitgliedern der Palmengarten-Gesellschaft zur ehrfurchtsvollen Begrüßung eingefunden hatten. Beim Eintritt in die Palmenhalle nahm Ihre Majestät die Königin aus der Hand von Fräulein Margarethe Georgi, Tochter des Oberbürgermeisters, ein prachtvolles Bouquet aus Orchideen, Veilchen und Farnkräutern entgegen. Nach kurzem Verweilen in dem gelben Saale, woselbst das Königspaar die Begrüßung entgegennahm, begannen die allerhöchsten Herrschaften einen Rundgang durch die Palmenhalle, wobei Herr Commerzienrath Bankdirector Favreau, Aufsichtsrathsmitglied der Palmengarten-Gesellschaft, sowie Herr Director Zille, Vorstand der Gesellschaft, die Führung übernahmen. Beim Durchschreiten des großen Saales, in welchem zahlreiches Publikum verweilte, brachte Herr Architekt Hülßner ein Hoch auf das Königspaar aus, worin die Anwesenden freudig einstimmten. Nach Besichtigung der Palmenhalle, die in ihrer Pracht sichtlich das Wohlgefallen Ihrer Majestäten fand, begaben sich die allerhöchsten Herrschaften in den weißen Saal, woselbst dieselben einige Erfrischungen einnahmen. Der beabsichtigte Rundgang durch die prächtigen Gartenanlagen mußte leider der regnerischen Witterung wegen aufgegeben werden. Das Königspaar verweilte deshalb längere Zeit in dem Saale, wobei sich Ihre Majestäten mit den anwesenden Herrschaften in leutseligster Weise unterhielten. Kurz nach vier Uhr verließ das Königspaar mit seinem Gefolge den Palmengarten, nachdem sieh die Majestäten mit huldvollen Worten von den zurückbleibenden Herrschaften verabschiedet und die Königin einen nochmaligen Besuch des Palmengartens bei schönem Wetter in Aussicht gestellt hatte. Das zahlreiche Publikum brach bei der Abfahrt des Königspaares in stürmische Hochrufe aus. Der König trug beim Besuche des Palmengartens Generalsuniform und die Königin ein resedagrünes Costüm mit einem cremseidenen Capet und weißen Spitzenhut. Dreiviertelfünf Uhr kehrte das Herrscherpaar nach dem Königlichen Palais zurück. Um 7 Uhr folgte das Königspaar einer Einladung des commandirenden Generals v. Treitschke zu einem Diner, wozu auch die Gräfin Vitzthum und Herr und Frau Kreishauptmann v. Ehrenstein mit einer Einladung beehrt worden waren. Während der König Leipzig heute wieder verlassen hat, um sich nach Geithain und Annaberg zu den Manövern zu begeben, gedenkt die Königin mit dem Zuge Nachmittags 3 Uhr 20 Minuten von Leipzig, Dresdner Bahnhof, abzureisen und sich über Coswig nach dem königlichen Schlosse Moritzburg zu begeben, wohin das königliche Hoflager für die nächsten Wochen verlegt werden wird. – Dresden, den 11. September 1899. Das Königspaar in Leipzig, in: SLUB Dresden. Dresdner Neueste Nachrichten vom 12. September 1899, S. 2.

Aus der Presse – Ein Rundgang vor Eröffnung des Palmengartens

Der Leipziger Palmengarten auf dem umfangreichen Areale des alten Kuhthurms macht in seinem Ausbau und künstlerischen wie gärtnerischen Ausgestaltung recht hübsche Fortschritte. Trotzdem wird es, wie wir von Anfang an berichten konnten, nicht möglich sein, die neue reizende Anlage, welche den Besucher in ihrer Blumentracht und mit dem stattlichen Baumbestände jetzt schon die künftige Schönheit ahnen läßt, im Laufe des Sommers fertig zu stellen, obgleich von früh bis Abends viele fleißige Hände hier beschäftigt sind. Doch sind der Arbeiten noch zu viele zu bewältigen. Der an Plagwitz angrenzende kleinere Theil (Ritterwerder), der in der Hauptsache nur Baumbestand aufweist und mit dem großen Plane durch eine massive, die Luppe überspannende Brücke verbunden ist, kann im Wesentlichen als vollendet betrachtet werden; anders aber steht es in dem großen Theile. Zwar schreitet auch das Palmenhaus gut vorwärts, die eisernen Bohlenbänder streben fest und mächtig empor, die Seitenwände werden in Kliebern emporgezogen, doch harren noch gar viele andere Arbeiten hierbei ihrer Beendigung, wie die Glaserarbeiten, die innere Ausstattung ec. Ebenso das Maschinenhaus mit der hohen Esse, die Warmhäuser ec., aber daneben sind immer noch große Erdbewegungen zur Ausschachtung des Teiches, zur Anlage von Blumenbeeten ec. zu bewältigen. Hoffentlich jedoch bringt uns der Herbst auch viele schöne Tage, damit wir sie zum Theil dann in der fertig gestellten Anlage verleben können. [1] Wenn der Winter, in den wir uns anschicken, einzutreten, vorüber sein wird und neues Frühlingshoffen die Welt erfüllt, dann wird auch der Zeitpunct der Eröffnung des Leipziger Palmengartens gekommen sein. Mit allen Kräften wird auf dem umfangreiche Areale im Westen der Stadt, so lange es die Witterung nur irgend gestattet, gearbeitet, um die herrlichen Anlagen fertig zu stellen und im kommenden Jahre Tausenden von Besuchern die Möglichkeit zu geben, sich an den reichen Naturschönheiten, die das Palmengartenareal bietet, zu ergötzen. Schon jetzt aber wird von Vielen die Frage aufgeworfen, wie weit die Arbeiten im Palmengarten gediehen sind, und diese Fragen mögen auf einem kurzen Rundgange durch die Anlagen, auf den wir die Leser bitten, uns zu begleiten, ihre vorläufige Beantwortung finden. Betreten wir durch den überaus geschmackvollen Eingang von der Plagwitzer Straße aus den Palmengarten, so befinden wir uns zunächst im ehemaligen Ritterspürchen, das zu einem mit prächtigen Coniferen- und Laubholzgruppen bestandenen Waldpark umgewandelt ist, an dessen Promenadenwegen lauschige Ruheplätzchen zum Verweilen einladen. Wir verlassen den Waldpark und begeben uns über eine in kühnem Bogen geschwungene, durchweg nach dem Moniersystem erbaute, bereits vollständig fertig gestellte Brücke über die Elster nach den eigentlichen gärtnerischen Anlagen des Palmengartens. Was diese Anlagen so entzückend gestaltet, das ist der prächtige alte Baumbestand: wo der Besucher auch weilt, immer begegnen seine Blicke herrlichen Baumgruppen, die den einzelnen Partien und dem Ganzen landschaftlich den größten Reiz gewähren. Fürwahr, es konnte kein günstigerer Platz in der näheren Umgebung Leipzigs für den Palmengarten gefunden werden, bringt doch gerade dieser so recht eigentlich zum Bewusstsein, wie reich an landschaftlichen Schönheiten unsere baum- und waldgesegnete Umgebung ist. Einen Hauptanziehungspunct der Anlage bildet der große Weiher, an dessen Ufer sich Promenadenwege hinziehen, die in südlicher Richtung zu einer lieblich durch des Gärtners Kunst gestalteten Grotte führen, von deren Anhöhe ein über Tuffsteingruppirungen plätschernder Wasserfall, der Abends elektrisch beleuchtet wird, sich ergießt. Auch die Grotte selbst wird in elektrischem Glanze farbenprächtig erstrahlen. Fast inmitten des großen Weihers sind die Vorrichtungen für die Leuchtfontaine ausgestellt worden, die in ihrer Größe der unvergeßlichen Leuchtfontaine der vorjährigen Ausstellung entspricht, in ihren Farben- und Lichteffecten aber noch vielgestaltiger und mannigfaltiger ausgestattet ist. Ausdrücklich muß hier betont werden, daß man die Leuchtfontaine von allen Seiten bequem sehen kann und daß somit Tausenden von Besuchern ungestörter Genuß in Anschauung der Fontaine gesichert ist. In ausgedehntem Maße wird auf dem Großen Weiher im Sommer dem Gondelsport, im Winter dem Schlittschuhlaufen gehuldigt werden können, auch hierfür sind von vornherein große und bequeme Vorkehrungen durch Anlage von Gondelstationen ec. getroffen worden. Passiren wir im Weitergehen die Brücke, durch die vom großen Weiher ein kleineres Becken abgeschnitten wird, und halten wir uns rechts, so gelangen wir zu dem Rosengarten, der in tausend Spielarten die Königin der Blumen in reichster, entzückender Mannigfaltigkeit zeigen wird, und zu den ausgedehnten Turn- und Spielplätzen, auf denen die Freunde der immer mehr auch bei uns in Ausnahme kommenden Bewegungsspiele im Freien sich nach Herzenslust tummeln können. Weiter nach der Frankfurter Straße zu schließen sich zahlreiche Frühbeet- und Gewächshäuser an; in einem jetzt gleichfalls bereits fertig gestellten Gebäude wird die Orangerie etablirt, in anderen von früher der stehen gebliebenen, gegenüber der Orangerie belegenen Gebäuden hat die Verwaltung des Palmengartens dauernd ihren Sitz aufgeschlagen. Den baulichen Haupt- und Glanzpunct der ganzen Anlage bildet das Gesellschaftshaus mit seinen Sälen, Veranden und Terrassen und mit daran sich anschließendem, ganz aus Glas und Eisen hergestelltem mächtigen Palmengarten. Hunderte von Werkleuten sind beschäftigt, den umfangreichen, architektonisch herrlich gestalteten Bau seiner Vollendung entgegenzuführen. Herr Baurath Johlige, der die Pläne zu dem Gebäude entworfen hat und der unermüdlich thätig ist, die Weiterführung des Baues zu überwachen, entsprach mit dem Gesellschaftshause hohen künstlerischen und praktischen Anforderungen und hat hier ein Werk geschaffen, für das ihm der bleibende Dank der Bewohner unserer Stadt gesichert ist. Späterer Berichterstattung wird es vorbehalten bleiben, über Einzelheiten des imposanten Baues Näheres in die Oeffentlichkeit zu bringen, jetzt sei nur so viel bemerkt, daß das Gebäude im Aeußeren fertiggestellt ist und daß gegenwärtig an der inneren Ausgestaltung, sowie an der Schmückung des Gebäudes mit allem Eifer gearbeitet wird; so erhält als besonderen Schmuck das Südportal fünf von Lehnert’s Meisterhand modellirte Figuren, welche die Welttheile in vortrefflicher Weise versinnbildlichen. – In dem seitlich vom Gesellschaftshause errichteten Maschinenhause finden zwei Dampfmaschinen mit je hundert Pferdekräften für Kraftentfaltung, Beleuchtungs- und Wärmeanlagen Aufstellung. Vor dem Gesellschaftshause werden reiche gärtnerische Arrangements, die ein Fontainenbassin einschließen, ausgeführt, so daß beim Eintritt von der Frankfurter Straße aus der Besucher gleichfalls die besten Eindrücke empfängt. Die gesammten gärtnerischen Anlagen sind von einem wohlbekannten, hochgeschätzten Meister der Gartenkunst, Herrn Landschaftsgärtner und Garteningenieur Otto Moßdorf in L.-Lindenau, ausgeführt, und wir sagen nicht zu viel, wenn wir behaupten, daß sie nicht herrlicher hätten gestaltet werden … Weiterlesen

Ein Rundgang durch das Kneipenviertel der STIGA

Ein großes Ereignis wie die STIGA erforderte von allen Beteiligten Ausdauer, Mut und Engagement. Hohe Besucherzahlen waren bei Gewerbeausstellungen keineswegs garantiert. Während beispielsweise die Berliner rund 50.000 Tagesbesucher verzeichneten, kamen die Dresdner im gleichen Jahr lediglich auf 15.000 Besucher. Es gab zwar keinen verlässlichen Richtwert, aber die Veranstalter in Leipzig erwarteten nicht weniger Besucher. Zumindest war das ihre Erwartungshaltung. Trotzdem hatten die Berliner mit anhaltend schlechtem Wetter zum Ende ihrer Ausstellung zu kämpfen, was sich verheerend auf ihre Besucherzahlen auswirkte. Der Erfolg einer Open-Air-Veranstaltung hing also maßgeblich vom Wetter ab. Keine Attraktion der Welt konnte das ändern, und auch die Leipziger hatten keinen Einfluss auf das Wetter. Es galt also, Kosten und Nutzen sorgfältig abzuwägen. Das erklärte Ziel war es, allen Besuchern einen attraktiven und bezahlbaren Aufenthalt zu bieten, um sie zu motivieren, den Ausstellungspark mehrmals zu besuchen. Neben den Leistungsschauen und gärtnerischen Kunstwerken spielte auch die Verköstigung mit landestypischen Speisen und Getränken eine wichtige Rolle. Das große Gelände bot viel Raum für Gastwirtschaften aller Art und vielfältige Folklore, nicht nur für kostspielige Inszenierungen und noch nie dagewesene Effekte. Rund um den großen Teich im Herzen des Ausstellungsparks entstanden zwölf repräsentative Gastwirtschaften im Stil verschiedener Länder und Regionen. Darüber hinaus wurden im Thüringer Dorf und in der Alt-Leipzig-Nachbildung weitere fünf Gastwirtschaften errichtet, die das Thema der Ausstellung widerspiegelten. Zusätzlich waren dezentrale Ausschänke in den Gebäuden und auf dem Vergnügungsparkgelände vorgesehen. Die Vergabe der Pacht erfolgte nicht mehr an den Meistbietenden, sondern gegen eine niedrige Pachtsumme und eine Umsatzpacht auf die verkauften Getränke. Angesichts der Wetterabhängigkeit und der Unwägbarkeiten beschlossen die Verantwortlichen, das unternehmerische Risiko zwischen Pächtern und Verpächtern aufzuteilen. Dieses Prinzip hatte bei früheren Ausstellungen keinen hohen Stellenwert, aber diesmal lag der Fokus darauf, im Interesse der Pächter zu handeln. Die Pächter waren verpflichtet, ortsübliche Preise festzulegen, um den Besuchern einen erschwinglichen Aufenthalt zu ermöglichen. Dies führte auch zu einem erhöhten Wettbewerbsdruck mit anderen Lokalitäten in der nahegelegenen Innenstadt. Die Überlebensfähigkeit aller Gastwirtschaften stand im Vordergrund, weshalb ihre Anzahl auf dem Gelände begrenzt wurde, auch wenn die Zahl der Besucher an Wochenenden so hoch sein würde, dass alle Lokale überfüllt waren. Der Erfolg hing von der guten Leistung aller Parteien ab. [1] Für die Besucher bot sich ein lohnender Rundgang durch das Kneipenviertel. Der eigentliche Eingang befand sich zwar hinter dem Teich im Süden, aber schon entlang der König-Albert-Allee begann die Gastromeile. Dort stand die Hauptgastwirtschaft im Jugendstil an einem Ufer des großen Teichs. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte der von vier Kuppeln gekrönte Bau des Wiener Cafés empor. An den schattigen Veranden und luftigen Terrassen beider Wirtschaften befanden sich zudem zwei kleinere Musikpavillons, von denen aus die Gäste einen freien Blick auf das bunte Treiben einer fröhlichen Menge hatten. Neben einer Nachbildung der Wartburg, die nicht nur einen Bergfried und andere originalgetreue Elemente bot, sondern auch einer der zwei Gastwirtschaften der Kulmbacher Exportbrauerei beherbergte, gab es entlang des Geländes eine Vielzahl verschiedener Gastwirtschaften um einen großen Musikpavillon herum. Dazu gehörten unter anderem die Bierstube der Leipziger Bierbrauerei Riebeck & Co. AG, der Kapellenbau vom Nürnberger Bratwurstglöckle, das Brauhaus „Zum Pilsner“, der Hallenbau der Dampfbrauerei Zwenkau, die Bierhalle „Zum Feldschlösschen“, das Kaffee-Haus zum Rothenburger Erker, das Weinrestaurant „Zum Dürkheimer“ in einer Burgruine und die italienische Weinbar „Aqua sola“. [2] Hier konnte man das Erlebte großschreiben und in vollen Zügen genießen. Auf dem großen Teich befand sich eine riesige Leuchtfontäne im Zentrum, deren imposante Wasserstrahlen aus allen Richtungen zu sehen waren. Neue Apparate ermöglichten beeindruckende mehrfarbige Lichteffekte mit vielen Scheinwerfern und erzeugten bis zu 40 Meter hohe Ringstrahlen. Am Abend erstrahlten sie abwechselnd in allen Farben des Regenbogens. Eine solch große und beeindruckende Leuchtfontäne hatte es weder auf der Pariser- noch auf der Berliner Ausstellung oder anderen Weltausstellungen zuvor gegeben. [3] Weitere Illuminationen boten ein regelmäßiges Farbspiel wie aus Tausend und einer Nacht. Eine erste Illumination nach der Eröffnung der STIGA zog tausende Gäste in ihren Bann. Rund um die Bordkappen der Teiche wurden Tausende von Kerzen (mind. 20.000) in mehreren Reihen angebracht. Tausende Girlanden aus bunten Lampions säumten die Allee, und Lämpchen in grünen und gelben Gläsern schmückten die Blumenbeete und Rasenflächen. Zeitzeugen beschrieben die Szenerie als fröhliches Vergnügen mit einer jubelnden Menge. Aber das ist eine andere Geschichte. [1] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung Sonderausgabe im Oktober 1896. Zur Verpflegungsfrage, S. 104 f. [2] Vgl. Offizieller Führer der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897, S. 90-94. [3] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung 29. August 1896. Von unserer Ausstellung S. 54. © 2022 is licensed under CC BY-NC-SA 4.0 Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Der rechte Weg zur Industrie- und Maschinenhalle auf der STIGA

Ein beeindruckender Empfang erwartete die Besucher beim Betreten des Ausstellungsparks, zwischen Karl-Tauchnitz-Straße und Edvard-Grieg-Allee, in Leipzig. Zahlreiche Fahnen und Wappen der ausstellenden Städte und Länder schmückten das gewaltige Eingangstor, das von zwei hohen Obelisken flankiert wurde. Eine jugendliche Figur mit einer siegverheißenden Palme in den Händen verkörperte den reizvollen Geist der Ausstellung. Ihre Präsenz auf der Toranlage verlieh dem Ort eine feierliche Atmosphäre und lud die Besucher ein, sich auf ein beeindruckendes Erlebnis einzulassen. Die Palme selbst wurde mit Sieg, Ehre und Unsterblichkeit assoziiert. So strömten Zehntausende Menschen mit der Erwartung, einen ehrenvollen Sieg zu erlangen, zur feierlichen Eröffnung, um etwas Einmaliges und Nachklingendes zu erleben. Aus allen Richtungen kamen sie wohlgekleidet herbei und baten geduldig wartend um Einlass. Im Inneren erstreckte sich eine malerische Landschaft mit dekorativen Wiesenflächen, kleinen Kiosken und beeindruckender Gärtnerkunst. Bereits beim ersten Blick fiel das imposante Hauptgebäude der Industrie- und Maschinenhalle ins Auge, das sich im hinteren Teil der Ausstellung krönend erhob. Doch zunächst zog der große Schwanenteich im vorderen Teil des Ausstellungsparks die Aufmerksamkeit auf sich, in dessen Mitte ein Triumphschiff mit allegorischen Figuren majestätisch aus dem Wasser ragte. Die Ufer des Teiches (Wasserbassin) waren mit Statuen, Urnen, Koniferen und halbkreisförmigen Balustraden geschmückt. Besonders auffällig waren die gegenüberliegenden Terrassen mit den zwei großen in Kupfer getriebenen Vasen. Der Weg zum Hauptgebäude führte entlang einer breiten Lindenallee, der König-Albert-Allee, von der aus die Besucher problemlos zu den verschiedenen Bereichen der Ausstellung gelangen konnten. Der von den Veranstaltern vorgeschlagene Rundgang begann idealerweise auf der rechten Seite vom großen Eingangstor. Dort fiel sofort ein weiß schimmernder altgriechischer Tempel ins Auge, der sich durch seine Größe und Gestaltung von den kleineren Tempeln auf dem Gelände abhob. Vor einer Wasserfontäne idyllisch gelegen, wurde der Tempel von Koniferen, Sträuchern, Stauden, Lorbeerbäumen und Rosen umrahmt. Direkt neben dem Eingangstor befand sich der Nachbau des Altleipziger Messviertels aus dem 16. Jahrhundert. Dort konnten die Besucher den Auerbachs Hof, den Naschmarkt, einen bekannten Bettelbrunnen und das Abbild des altgotischen Rathauses von 1549 bewundern. Im Rathaus waren Wappen alter Patrizierfamilien, Sammlungen aus vergangenen Feldzügen, Leipziger Altertümer, ein Reliefbild der Stadt zur Völkerschlacht und eine Statue von Kaiser Maximilian I. zu sehen. Gleich dahinter befand sich auf einer Linie mit der altgriechischen Tempelanlage der Eingang zur Gartenbauhalle. Die Bedeutung der Gartenkultur für Leipzig spiegelte sich sowohl in der Gestaltung des Ausstellungsparks als auch in der zentralen Lage der Gartenbauhalle in der Ausstellung wieder, denn Leipzig etablierte sich neben Bamberg, Erfurt, Quedlinburg und Dresden als ein repräsentatives Zentrum der deutschen Gartenbaukunst. Ein besonderes Highlight bot das Tropendiorama im Inneren der Halle, das mit beeindruckenden Bildern die Vegetation in Übersee darstellte. Darüber hinaus gab es verschiedene Sonderausstellungen, die die Vielfalt des Gewerbes, der Botanik und der Tierwelt präsentierten. Dazu zählten auch Jagdtrophäen, Handwerksschulen, Amateurfotografie und Briefmarken. Die Kunsthalle befand sich ebenfalls in dieser Gegend. Dort wurde eine dauerhafte Verkaufsausstellung deutscher Werke zeitgenössischer Kunst gezeigt, insbesondere Werke aus Sachsen und Thüringen. Der Leipziger Künstler Max Klinger präsentierte während der Ausstellungszeit erstmals sein Werk „Christus im Olymp“. Anschließend folgte der geschmackvolle Bau der Textilhalle, in der der gesamte Produktionsprozess der hiesigen Textilbranche vorgestellt wurde. Beim Betreten der Halle befanden sich links die Spinnerei und rechts die Webereiarbeiten. Daneben befand sich die Halle für Landwirtschaft, Sport und Hygiene. Dort wurden die neuesten landwirtschaftlichen Maschinen, Geräte und Erzeugnisse der Fischerei und Imkerei sowie Artikel für die Gesundheitspflege, Jagd, Schießsport und Fahrsport präsentiert. Zwischen den beiden Hallen und befanden sich zwei privatbetriebene Pavillons. Einer davon war bestimmt zum Ausstellen von Maschinen und Einrichtungsgegenständen für die Wurstfabrikation einer privaten Fleischerei, die ihre dort hergestellten Waren auch zum Verkauf anbot. Der andere Pavillon zeigte in gleicher Art und Weise den Betrieb einer Meisterbäckerei. Dahinter befand sich die Halle für Gas und Wasser, die die praktische Anwendung von Gas und Wasser im Haushalt beim Heizen, Backen oder allgemein die Verwendung der Rohstoffe in der industriellen und gewerblichen Gasverarbeitung zeigte. Beim Betreten der Ausstellungshalle der Leipziger Stadtverwaltung konnte man unter anderem Bauzeichnungen des Grassi-Museums, der Markthalle sowie Entwürfe für das Völkerschlachtdenkmal und geplante Schmuckanlagen bewundern. Auf der Rückseite der Halle gab es eine Darstellung moderner Straßenbaukonzepte. Auf dem Rückweg zur König-Albert-Allee kamen die Besucher an einem Nachbau des Loreleybrünnleins vom Berliner Bildhauers Ernst Herter aus Galvanoplastik vorbei, das im gleichen Jahr zum 100. Geburtstag zu Ehren des deutschen Dichters und Schriftstellers Heinrich Heine der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt wurde und eine heftige Debatte auslöste. Das Denkmal wurde 1899 nicht in Deutschland, sondern im damaligen Franz-Sigel-Park in New York aufgestellt. Entlang der Lindenallee befand sich ein erhöhter Rundbau mit einem beeindruckenden Kolossalgemälde der Kreuzigung Christi. Das Bild zeigte unter anderem den Ölberg und die Moabitberge jenseits des Toten Meeres westlich der Stadt Jerusalem. Vorbei am Krystallpalast-Varieté-Theater gelangten die Besucher zur Tiroler Bergfahrt. Auf einem hohen Felsen erstreckte sich bis zum Ufer des Elsterflutbetts eine halb zerfallene Burgruine, ein Nachbau des bekannten „Schloss Taufer“ aus dem Mittelalter. Im Inneren befand sich ein Alpen-Diorama, das eine malerische Alpenlandschaft zeigte. Mit einer Bergbahn konnten die Besucher diese lebhaft erkunden. Zum Ende der König-Albert-Allee führte eine breite Brücke über das Elsterflutbett vorbei an vier Eckstatuen der Skulpturengruppen „Saxonia“ und „Thuringia“ zum imposanten Bau der Industrie- und Maschinenhalle. Das Hauptgebäude der Ausstellung war von allen Seiten hoch und repräsentativ. Über die König-Albert-Brücke gelangten die Besucher entlang eines großen Reiterstandbilds des Königs zum dreiteiligen Hauptportal. Beim Aufblicken konnte man neben zahlreichen Ecktürme auch eine Aussichtsplattform mit Ferngläser-Automaten sehen. Der Aufstieg versprach einen faszinierenden Blick über den Ausstellungspark, die Stadt und die umliegende Landschaft. In der Industriehalle waren zahlreiche Ein- und Ausgänge sowie mit Malereien verzierte Decken und Wände. Hervorstehende Friesen zeigten bunte Mosaike und die Fenster waren mit unterschiedlichen Glasmalereien versehen. Statuen und Pavillon-Systeme waren dekorativ ausgestellt und zeigten den beeindruckenden Präsentationswillen der beteiligten Aussteller verschiedener Industriezweige, die ihre neuesten Errungenschaften präsentierten. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Mechanik und Automatisierung. In der Maschinenhalle wurden alle Maschinen dauerhaft durch Transmission und Elektrizität betrieben, woran verschiedene Unternehmen mit unterschiedlichen Antriebssystemen beteiligt waren. Aber das ist eine andere Geschichte Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. … Weiterlesen

Ein Blick in die Literatur – STIGA in Leipzig

Die Ausstellungen, die ihren Ursprung den Museen verdanken, traten das erste Mal in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die Erscheinung. Sie haben sich seitdem zu einer Institution herausgebildet, die uns jetzt ein geradezu unentbehrliches Bedürfnis dünkt und unserer Zeit ihren eigenartigen Stempel unverkennbar aufdrückt, so daß wir das neunzehnte Jahrhundert das Zeitalter der Ausstellungen nennen könnten. Nachdem das Ausstellungstreiben vergangenes Jahr im Norden und Süden seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, pulsiert es heuer besonders lebhaft mitten im Herzen Deutschlands – in Leipzig. Die Pleißestadt ist durch ihre Bedeutung als alte Handelsempore und durch die centrale Lage im Reiche wie kein anderer Platz geeignet, den Industrie- und Gewerbefleiß der arbeitsamen Bevölkerung Mitteldeutschlands in einem großartigen Gesamtbilde der Welt vorzuführen, und der Aufruf Leipzigs zur Veranstaltung eines friedlichen Wettbewerbs innerhalb seiner Mauern verhallte denn auch nicht ungehört. Das ursprünglich in beschränkterem Rahmen schon für das Jahr 1895 geplante Unternehmen wurde aufgeschoben, wuchs sich aus und gestaltete sich nun zu einer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Ausstellung, an der nicht allein das Königreich Sachsen und die Thüringischen Staaten, sondern auch das Herzogtum Anhalt, die preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg (mit Ausnahme Berlins), der Regierungsbezirk Liegnitz von Schlesien und die drei fränkischen Kreise Bayerns beteiligt sind. Wie die Ausstellungen von jeher gern an ein geschichtlich wichtiges Ereignis anknüpften so ist auch die Leipziger Ausstellung in Erinnerung an das Jahr 1497, in dem die bedeutungsvolle Einrichtung der Leipziger Messen von Kaiser Maximilian I. bestätigt und konfirmiert wurde, ins Leben gerufen worden. Die Ausstellung, welche am 24. April dieses Jahres in Anwesenheit des Königs Albert von Sachsen feierlichst eröffnet wurde, hat ihren Platz im westlichen Teile der Stadt auf den zwischen Karl Tauchnitz- und Bismarckstraße sich hinziehenden Parkwiesen erhalten. Sie ist also für den Besucher leicht erreichbar, dem überdies durch elektrische Bahnen jederzeit die schnellste Fahrgelegenheit nach allen Himmelsrichtungen geboten wird. Treten wir durch das von zwei hohen Obelisken flankierte Hauptthor in den Ausstellungspark ein, dessen Fläche 400 000 qm umfaßt, so wird uns ein überraschend schöner Anblick zu teil. Vor uns dehnt sich eine überaus reizvolle Landschaft aus. Inmitten herrlicher Anpflanzungen liegt ein blinkender Weiher eingebettet, der von Schwänen belebt und von zierlichen Statuen umrahmt ist, und im Hintergrunde ist das imposante Hauptgebäude sichtbar, das wie ein weißes Schloß zu uns herübergrüßt. Das ist unser Ziel. Wir schreiten die um das Wasser führende breite Lindenallee entlang, die sich durch prächtige Gartenanlagen hinzieht, in denen Kioske und Tempelchen malerisch verstreut liegen, und gelangen über die Flutkanalbrücke, die mit Statuen geschmückt ist, welche Sachsen und Thüringen, Industrie und Gewerbe verkörpern, bis vor das mächtige Hauptgebäude. Dicht vor demselben ist ein Reiterstandbild des Protektors der Ausstellung, König Alberts von Sachsen, errichtet. Das in Renaissancestil gehaltene Bauwerk selbst, das samt der mit ihm vereinigten Maschinenhalle einen Flächenraum von über 40 000 qm einnimmt, ist mit einer Anzahl kleiner Türmchen geziert und zeigt vor der Front die von Säulen getragenen allegorischen Figuren der Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz und Erfurt. Wir begeben uns durch das mittelste der drei Portale in den hochgewölbten Kuppelbau, dessen Decken- und Wandmalerei einen hübschen Gedanken zum Ausdruck bringt. Vier mächtige Eichbäume, deren Zweige Putten mit den bezüglichen Attributen beleben, sollen die einzelnen Gewerbarten darstellen. Sie wachsen an den Wänden zur Decke empor, an der sich ihre Laubkronen zur Umkränzung des Symbols der Industrie, eines großen Zahnrades mit dem sächsischen Wappen, vereinen. An der dem Eingang gegenüberliegenden Galeriewand ist eine Orgel aufgestellt und auch im übrigen haben hier besonders wirksam gruppierte und ins Auge fallende Gegenstände Platz gefunden. In einem der nächsten Räume nimmt die Ausstellung des Buchgewerbes ihren Anfang, als deren mächtigste Vertreterin Leipzig obenan steht. Die Halle, in deren Mitte sich die Statue Gutenbergs erhebt, und von deren Wänden die Riesenbilder der vier Evangelisten herabgrüßen, ist mit düsterer Holzdecke ausgestattet und mutet wie eine Klosterbibliothek an. Hier hat auch die Verlagshandlung unseres Blattes ausgestellt. In dem Bestreben, ihrem Platz ein gefälliges Aussehen zu verleihen, ist sie aus begreiflichen Gründen auf den Gedanken gekommen, ihn mit einer grün umrankten Gartenlaube zu umgeben. Hier finden wir sämtliche Jahrgänge der „Gartenlaube“, die seit ihrer Gründung durch Ernst Keil im Jahre 1853 erschienen sind, in stattlicher Reihe aufgestellt. Ein charakteristisches Bild Ernst Keils schmückt die Mittelwand der Laube und die übrige Wandfläche bedecken Originalbilder von berühmter Künstlerhand. Nebenan hat sich das graphische Gewerbe niedergelassen, das uns unter anderem den Dreifarbendruck praktisch vorführt und dem sich die photographischen Künste, die Papierfabrikation und sämtliche andere verwandte Geschäftszweige anschließen. Ein interessantes Bild gewährt der Raum, in dem uns klargemacht wird, welche große Bedeutung die Chemie für die Industrie gewonnen hat. Denken wir nur an das kleine Zündholz, dessen Erzeugung hierher gehört. Welche wichtige Rolle spielt es nicht in unserem Leben! Hat man doch ausgerechnet, daß auf den Kopf der Bevölkerung Deutschlands täglich 6 Zündhölzchen kommen, d. i. bei 52 247 000 Einwohnern also ein Verbrauch von 313 482 000 Stück. Ein hoher Obelisk, der aus Schachteln sogenannter Schwedischer Zündhölzer aufgebaut ist, erinnert zugleich daran, wie segensreich diese deutsche Erfindung wirkt, indem sie die gesundheitsschädliche Herstellung der giftigen Phosphorhölzer immer mehr verdrängt. Gut beschickt ist auch die Abteilung für Musikinstrumente, auf welchem Gebiete sich Klingenthal, Markneukirchen und andere Orte des Vogtlandes einen Weltruf erworben haben, ferner die für Pianofortebau, in dem wieder Leipzig Mustergültiges leistet. Unerreicht in der ganzen Welt steht die Uhrenfabrikation der sächsischen Stadt Glashütte da, die selbst den berühmten Genfer Erzeugnissen gegenüber den Vorzug genießt. Einen bedeutenden Industriezweig Sachsens und Thüringens bildet die Keramik. Allen anderen Städten voran marschiert hier Meißen mit seiner Königlichen Porzellanmanufaktur, die zahlreiche künstlerische Erzeugnisse aufgestellt hat. Ferner festigen die Galanterie- und Spielwarenindustrie des Ausstellungsgebietes durch das, was sie herbeigeschafft, die hohe Meinung, die man schon längst überall von ihnen hegt. Einen gewaltigen Eindruck hinterläßt die Gruppe „Berg-und Hüttenwesen“, deren Produkte ganz ausgezeichnete sind. Und auch die anderen Zweige alle sind vertreten und verdienen Anerkennung und vollstes Lob. Hervorragendes Interesse erweckt die Maschinenhalle mit ihren unzähligen großen und kleinen Betrieben. Eisenbahnzüge, die mit allen Ausrüstungen der Neuzeit versehen sind, können wir besteigen und besichtigen. Der Schnellzug mit seinen Brems- und … Weiterlesen

Aus der Presse – Unsere Ausstellung V. Am Kneipenteich

Vorn an der Hauptallee, zu beiden Seiten des Kneipenteiches, liegen die runden Konzertpavillons, die recht ungeschickt dort ihren Platz gefunden haben, da alle, die in das nasse Viertel wollen, durch die wandelnde musikfreundliche Menge sich drängen müssen. Wiederum ist es durch dieses Durchdrängen unmöglich, eine ungestörte musikalische Promenade zu machen, wie es z.B. in Berlin möglich war, wo die Menge in einer langgezogenen Ellipse auf und nieder wandeln konnte. Das erste Gebäude links, das die Ecke der Hauptallee und des Kneipenteichweges bildet, ist das große Hauptrestaurant, in dessen vorderer, der Hauptallee zugewendeter Hälfte nur Wein ausgeschänkt wird und der Genußbürger, der über das nötige geprägte Metall verfügt, Table d’hote speisen kann. In der hinteren Hälfte giebt es aber ein nicht übles Münchener. Hinter dem Hauptrestaurant ist ein geschmackvoll verkleidetes Maschinenhaus und gegenüber, am Teichufer, legen die Spreewälderinnen mit ihren Flachkähnen an, mit denen man eine Rundfahrt auf dem Teiche machen kann, die in abendlicher Dunkelheit am reizvollsten ist. Dann werden leuchtende Lampions an den Baldachinen über den Kähnen aufgehängt – langsam geht es am Ufer entlang, vorbei an den lichthellen Kneipen und den bunten Glühlichtgewinden der Ruine Schlosseck. In der Mitte des Teiches sprudeln plötzlich die Lichtfluten der Leuchtfontäne auf. Hellblau und hellgrün – rosa – flammenrot – in allen Farben schillernd quellen sie aus dem Wasser auf, überschlagen sich und fallen, Gischt spritzend, zurück. – Prächtige neue Farbenwirkungen werden dort erzielt. Hinter dem Maschinenhaus liegt das einfache, anheimelnde Holländerhäuschen von Erben Lucas Bols, in dem es einen ausgesucht vornehmen Schnaps giebt. Daneben ist der Pavillon der Kaffeefirma Richard Poeßsch. Steigt man die wenigen Stufen zum Türmchen hinauf, so kann man eine große, elektrisch betriebene Kaffee-Röstmaschine sehen, in deren Trommel zwanzig bis achtzig Pfund Kaffeebohnen mit einemmal über einem Coaksfeuer geröstet werden können. Unter der Trommel ist ein flacher Kessel, in dem der Kaffee gleich nach dem Rösten abgekühlt und durch ein in ihm mündendes Rohr sofort nach dem unteren Verkaufsraum hinabgleitet, wo er in einem Sacke aufgefangen wird. Man kann hier sehen, wie bequem, wie einfach der Großbetrieb ist, wie er des Menschen mühselige Arbeit von Maschinen verrichten läßt, ihn so zu einem immer vollendeteren Herren und Meistern der Natur macht und dem Sozialismus vorarbeitet. Gegenüber dem Kaffeetürmchen liegt am Teichufer die idealisierte Nachahmung der Ruine Schlosseck bei Dürkheim. Dort trinkt man unter Laubengängen einen 2/10 Römer Dürkheimer für 40-50 Pfennige und muß dann aber auch hineingehen in die Ruine, um die Wandmalereien des Münchener Malers Toni Aron zu sehen. Da ist unter anderem ein mit einer Sektflasche tanzendes Mädchen, dessen warmblütiger Leib aus der leicht lila gefärbten, duftigen Gaze-Bekleidung hervorleuchtet, und eine ganze Menge in Linien und Farben merkwürdiger Scenen, von denen manche aussehen wie vergrößerte Ausschnitte aus der Jugend und aus dem Simplicissimus. Unstreitig erkennt man in den Einfluß des Th. Th. Heine. Am gleichen Ende des Teiches, gewissermaßen als Gegenstück zu Schlosseck, ist die italienische Osteria, von der schon in den vohergehenden Ausstellungsberichten genug gesagt ist. Nur noch soviel: Es giebt dort nur Wein. Hinter diesen beiden Lokalen dehnt sich ein weiter, halbrunder Platz, in dessen Mitte eine hölzerne Musikhalle steht, die einzige in der ganzen Ausstellung, um die man eine Musik-Promenade machen kann. Den Platz säumen im Halbkreis eine Menge Kneipen ein. Da ist erst links die Fischkosthalle, daneben liegt das Café zum Rothenburger Erker. Dieses Café birgt für Nichtkenner ein sonderbares, unangenehmes Geheimnis. Wenn man sich dort mit müden Beinen niedergelassen hat, bringt der Kellner verschmitzt lächelnd die verlangte Portion Kaffee. Das Zeug schmeckt merkwürdig friedlich und dünn – der Kellner wendet sich mit ganz unschuldig aussehendem Gesicht ab, wenn man ihn ansieht. Die Provinzialen trinken ihr Schälchen Kaffee ganz ohne Arg, bis ihnen der Kellner beim Fortgehen ein kleines Andenken an den Rothenburger Erker überreicht. Aus dem kleinen Heftchen erfahren sie, daß sie – Kneipp-Kaffee getrunken haben, ohne es zu schmecken. Ja, das soll nun ein Scherz sein, die Gäste so zum Narren zu halten. Neben dem Café liegt das Tucherbräu, einige Schritte weiter der Ausschank der Brauerei Zwenkau. Wer dort aufmerksam hineinsieht, findet gewiß Bekannte dort. Wer das ist, wird nicht verraten – es sind jedenfalls ganz populäre Leutchen. Hieran reiht sich das Münchener Löwenbräu, in dessen heller Halle die weiche Musik eines Streichorchesters ertönt und wo echte Bayerinnen bedienen. Dann kommt die hellgraue Terrassen-Burg des Kulmbacher Petzbräu und dahinter, am Rande des Hochflutbettes, an der Brücke nach dem Thüringer Dörfchen das Münchener Bürgerbräu im Bratwurstglöckle. Gegenüber liegt hinter der Riebeckschen Brauerei der Wartburgturm, dessen Fahrstuhl noch nicht fertig ist, so daß man die Üebersicht über den Kneipenteich noch nicht genießen kann. Aber den daran angebauten Rittersaal der Wartburg muß man sich ansehen. Die an Ketten hängenden Deckenleuchter und die bunten, verschlungenen Ornamente und Figuren der Wandmalereien zeugen von einer so reichen, fruchtbaren Phantasie der Zeit des gotischen Stiles, daß man nur wünschen kann, auch unsere Künstler und Kunstgewerbler möchten aus der Wiederbelebung und der Hineinziehung des Natürlichen in die Kunstformen, ebenso wie die Künstler der Gotik, so mannigfache Formen erreichen. Unten in den Rundgewölben und auf den Terrassen bedienen freundliche Thüringerinnen, von denen man nach der Kneipenreife durch sämtliche aufgeführten Lokale ungern Abschied nimmt, um im Hauptcafé, das mit der Front nach der Hauptallee liegt, sich durch einen Kaffee wieder ins geistige Gleichgewicht zu bringen. In den luftigen Holzhallen sitzen die Damen unserer Geldbürger – mit Lorgnetten fixieren sie die gegenüber sitzenden, die gekleideten, halb übermütig, halb verächtlich lächelnden Freundinnen der Liebe, die von der gleichen Torte essen wie ihr unwillig und neugierig blickendes Gegenüber. – Aber abends und bei kühlerem Wetter kann man nicht in diesem Café sitzen, denn seine Hallen sind doch gar zu luftig. Man muß dann schon wo anders den Schluß eines Ganges um den Kneipenteich machen. Von Perkeo. Leipzig, 8. Mai 1897. Unsere Ausstellung V. Am Kneipenteich, in: SLUB Dresden. Leipziger Volkszeitung vom 8. Mai 1897. Sonnabend, S. 3.

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