Gespräch mit Experten – Dr. Maren Möhring zur Esskultur der STIGA

Prof. Dr. Maren Möhring, Sozial- und Kulturhistorikerin an der Universität Leipzig, widmet sich in einem wissenschaftlichen Artikel der Bedeutung von Speisen und Getränke bei Welt- und Kolonialausstellungen um 1900. Sie analysiert anhand der Berliner und Leipziger Gewerbeausstellungen deren Inszenierung und ihre Funktion als Ausstellungsobjekte. Hierbei beleuchtet sie auch die Rolle der Koch- und Essgewohnheiten der Nichteuropäer, die eigens für die Dauer dieser Ausstellungen ausgewählt wurden.

Prof. Dr. Maren Möhring,
Universitätsprofessorin


Der Schwerpunkt der Zeitschrift „Historische Anthropologie“ beschäftigt sich inhaltlich mit der historischen Kulturpraxis, mit ihren Erkenntnissen und der Widersprüchlichkeit unserer Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Es ist ein wissenschaftliches Forum, das sich 2017 mit dem Thema ‚Esskultur‘ beschäftigt hat und darin ein Beitrag von Maren Möhring über die ‚Esskultur auf den Welt- und Kolonialausstellungen um 1900‘ erschienen ist. Foto: Antje Gildemeister.
Kulinarische Reisen vor Ort. Frühe Erlebnisgastronomie auf Kolonial- und Weltausstellungen, S. 49-74.

Böhlau Verlag, Köln (Hg.)
Peter Burschel (Hg.)
Jan-Friedrich Missfelder (Hg.)

ISSN 0942-8704
Auflage: 1. Ausgabe 2017
Maße: 17 x 24 x 0,8 cm
Umfang: 144 Seiten
auch als ePDF

Frau Prof. Dr. Möhring, Sie beschäftigen sich mit dem Thema „Esskultur auf den Welt- und Kolonialausstellungen um 1900“. Wie kamen Sie dazu, was hat Sie dazu bewogen, einen Forschungsbeitrag zu schreiben?

Ich interessiere mich generell für die Bedeutung von Essen in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten: Welche Bedeutungen werden spezifischen Lebensmitteln und bestimmten Mahlzeiten zugeschrieben? Was erfahren wir über Gesellschaften, wenn wir ihre esskulturellen Konventionen betrachten? Gerade wenn es um die Inszenierung von anderen Kulturen geht, kommt dem Essen als Alltagsphänomen oft eine besondere Bedeutung zu. Was und wie gegessen wird, weckt Interesse und Neugier, aber oft auch Abwehr. Diese widersprüchlichen Emotionen scheinen mir für eine Analyse von Welt- und Kolonialausstellungen hoch relevant.

Wie würden Sie sich selbst und ihre Forschung beschreiben?

Ich bin Historikerin geworden, weil ich mich für gesellschaftliche Transformationsprozesse und für kulturellen Wandel interessiere. Wichtig ist mir eine genaue Analyse von Machtbeziehungen, um soziale Ungleichheiten, aber auch die Handlungsspielräume historischer Akteur:innen ausloten zu können. Das heißt auch, sich damit zu befassen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt eigentlich sagbar und denkbar war. Durch geschichtswissenschaftliche Untersuchungen lassen sich zum einen die Begrenzungen vergangener Diskurse aufzeigen, zum anderen aber auch nicht realisierte Möglichkeiten aufdecken, die unseren gegenwärtigen Horizont erweitern können.

Ihr Beitrag beleuchtet die Rolle der Gastronomie auf Welt-, Gewerbe- und Kolonialausstellungen. Könnten Sie uns näher erläutern, wie diese Veranstaltungen die Wahrnehmung und den Konsum von Essen und Getränken beeinflusst haben?

Welt- und Kolonialausstellungen lebten von der Präsentation einer Vielzahl technischer, aber auch kultureller Güter und Leistungen. Der visuelle Konsum steht bei einem Ausstellungsbesuch im Vordergrund. Die Gastronomie vor Ort aber bot die Möglichkeit, sich nicht nur über den Sehsinn, sondern auch riechend und schmeckend dem Gebotenen zu nähern. Mir scheint das Moment der Einverleibung vertrauter, aber eben auch unbekannter Speisen ein wichtiges Element der Ausstellungserfahrung gewesen zu sein.

Welchen Stellenwert hatte die Verpflegung vor Ort? War das Essensangebot „nur“ ein Beiwerk?

Einerseits gehörten die Speisen auf Weltausstellungen zum Rahmenprogramm, das (fast) jede Form von Vergnügungsevent begleitet. Andererseits aber wurden Lebensmittel, ihre Zubereitung und ihr Konsum auch als aussagekräftige Symbole einer bestimmten Kultur eingesetzt – der eigenen wie der ausgestellten ‚anderen‘ Kulturen.

Ihr Beitrag betont die Inszenierung von „fremden Welten“ durch „landestypischen“ Speis und Trank. Wie würden Sie diese Form der Gastronomie beschreiben?

Die Welt- und Kolonialausstellungen lassen sich als eine frühe Form der Erlebnisgastronomie verstehen, bei der es nicht nur um die einverleibten Speisen und Getränke ging, sondern auch um den kulturellen Kontext, den als landestypisch erachtete Speisen und Getränke transportierten. Es ging nicht nur um die Inszenierung besonders ‚exotischer‘ Genüsse, sondern auch regionale Traditionen wurden beschworen. Letztlich war es eine touristische Vorstellungswelt, die aufgerufen wurde – egal, ob indische oder Wiener Küche geboten wurde. Diese Vorstellungswelten materialisierten sich nicht nur in Form von Speisen und Getränken, sondern gewannen Gestalt auch durch teils aufwändig ausgestattete Lokale, die architektonisch, durch Bildschmuck, Alltagsgegenstände oder auch musikalische Untermalung auf die jeweilige Region verwiesen.

Die Berliner Gewerbeausstellung von 1896 und die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung in Leipzig 1897 stehen im Mittelpunkt Ihrer Analyse. Was hat Sie dazu inspiriert, gerade diese Ausstellungen zu wählen?

Als Historikerin interessiert mich immer auch die Geschichte vor Ort, und da ich in Leipzig lebe, war es naheliegend, mich intensiv mit der Sächsisch-Thüringischen Gewerbe-Ausstellung von 1897 zu befassen und diese mit anderen Ausstellungen in Beziehung zu setzen. Denn die einzelnen Elemente ähneln sich letztlich sehr – auch und gerade, was die kulinarische Dimension angeht.

Haben die gastronomischen Angebote das Verständnis von Kultur und Identität beeinflusst? Könnten Sie uns näher erläutern, wie Essen und Gastronomie dazu beigetragen haben, bestimmte Stereotypen zwischen den Kulturen zu formen oder zu reflektieren?

Ich würde grundsätzlich unterscheiden zwischen der Inszenierung von Esspraktiken der auf Welt- und Kolonialausstellungen präsentierten Menschen aus nicht-europäischen Regionen und dem kommerziellen Speiseangebot in den gastronomischen Einrichtungen am Ausstellungsort. Die Präsentation ‚fremder‘ Ernährungspraktiken befriedigte eine ethnologische und auch kolonial(rassistisch)e Neugier, weil sie versprach, nah an die ausgestellten Menschen heranzuzoomen und sie vermeintlich bei ihren Alltagsaktivitäten zu beobachten. Essen diente hier (auch) der Authentifizierung des Ausgestellten. Ähnlichkeiten, vor allem aber auch Differenzen zum Gezeigten dienten der eigenen Selbstvergewisserung. Inwieweit diese Inszenierungen als solche erkannt wurden, ist schwer zu sagen. In den direkt kommerziellen Etablissements auf den Weltausstellungen war der Inszenierungscharakter den Besucher:innen vermutlich bewusst(er). Hier mögen bestimmte stereotype Bilder einen eher spielerischen Charakter angenommen haben. Die gastronomischen Einrichtungen zählten klar zum Vergnügungssektor der Ausstellungen, während die Völkerschauelemente einen ethnologischen Anstrich besaßen und wissenschaftlich(er) daherkamen. Daher wurden stereotype Darstellungen wenig(er) hinterfragt.

Zum Abschluss, welche Herausforderungen bieten sich Forschern, die sich mit diesem Thema befassen wollen?

Eine der größten Herausforderungen ist – wie bei vielen geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen – die schwierige Quellenlage. Erlebnisberichte von Ausstellungsbesucher:innen oder gar Aufzeichnungen von ausgestellten Menschen sind rar; wir können also oft nur die in den Ausstellungsführern vorgegebenen Sichtweisen rekonstruieren. Was die Menschen vor Ort tatsächlich dachten und taten, lässt sich nur annäherungsweise bestimmen. Ich glaube jedoch, dass ein Augenmerk auf scheinbar nebensächliche Aspekte wie das Essen uns neue Erkenntnisse liefern und die Perspektiven auf die Weltausstellungen erweitern kann.

Mehr erfahren Sie in meinem Forschungsbeitrag, den Sie in einem Open-Access-Dokument nachlesen können.

Aktuelles: www.uni-leipzig.de/personenprofil/mitarbeiter/prof-dr-maren-moehring


Autor/in

    by
  • Mike Demmig

    studierte Verlagswirtschaft, Hobbyhistoriker und Veranstalter in Leipzig. Über ein Jahrzehnt ist er mitentscheidend beim Wiederaufbau des Leipziger Musikpavillons zu einem generationsübergreifenden Treffpunkt. In verschiedenen Engagements setzt er sich für Projekte ein, die einen lokalhistorischen Bezug haben. Ehrenamtliches Mitglied im Stadtbezirksbeirat Leipzig-Mitte, Förderer und Jury-Mitglied beim Gert-Triller-Preis für Musikkultur der Leipziger Notenspur e.V.

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