Leipziger Palmengarten – Ausstellung und Begleitprogramm

Anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Parkanlage beleuchtet die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Kooperation mit dem Stadtgeschichtlichen Museum und vielen weiteren Unterstützern die „Blütezeit“ des Leipziger Palmengartens (1899 bis 1914). Die Ergebnisse ihrer Forschung werden der Öffentlichkeit in der Gerda-Taro-Lounge im Capa-Haus präsentiert. Die Ausstellung bietet darüber hinaus die Möglichkeit, gemeinsam mit den Partnern, Förderern und Unterstützern verschiedene Veranstaltungsformate umzusetzen, die Livemusik, Vorträge und geführte Touren umfassen und so die Geschichte der ehemaligen Gartenanlage wiederbelebt. Leipziger Palmengarten – Ein Leuchtturm der Stadt –Kabinettausstellung mit Experten-Gremium & Begleitprogramm1.11.2024 – 28.2.2025Capa-Haus, Gerda-Taro-Lounge, Jahnallee 61, 04177 Leipzig Eintritt frei – Öffnungszeiten von Dienstag bis Freitag und jeden 3. Sonntag im Monat von 11 bis 16 Uhr (außer an gesetzlichen Feiertagen) Experten-Gremium (ehrenamtlich): Hans-Joachim-Hädicke (Privatsammler), Sebastian Ringel (Autor), Daniela Neumann (Stadt- und Parkführerin), Marius Wittwer (Stadtführer), Anne Roßburger, Mike Demmig (beide meinpark.info). Unterstützt von: HTWK Leipzig, Capa-Haus/ CAPA Culture gGmbH, Stadtgeschichtliches Museum, Stadt Leipzig – Dezernat Kultur/ Referat Strategische Kulturpolitik, Holger-Koppe-Stiftung Frankfurt a. M./ Leipzig, Universität Leipzig – Botanischer Garten/ Institut für Musikwissenschaft, Verein für Industriekultur Leipzig e.V., Hieronymus-Lotter-Gesellschaft e.V., Förderkreis Botanischer Garten e.V., Frankfurter Palmengarten, Archiv Frau & Musik – Internationale Forschungsstätte Frankfurt a. M., Lions Club Leipzig Saxonia, Eva Meitner Conductor, Stil Haus Kollektiv, Musikpavillon Leipzig, Entdeckt in Leipzig. Freier Eintritt in fast alle Veranstaltungen Donnerstag 7.11.2024, ab 18 Uhr –ALTES RATHAUS, FESTSAAL, Am Markt 1, 04109 Leipzig »Elfrida Andrée – Galionsfigur der europäischen Frauenbewegung«Feiern Sie mit uns das 45-jährige Jubiläum des Archivs Frau & Musik, der internationalen Forschungsstätte in Frankfurt a. M., und erleben Sie einen inspirierenden Abend mit Eva Meitner und Mary Ellen Kitchens zu Ehren der schwedischen Komponistin Elfrida Andrée (1841-1929, Dirigentin ihrer Ouvertüre im Leipziger Palmengarten) präsentiert von der Hieronymus-Lotter-Gesellschaft e.V. Freitag 29.11.2024, ab 17 Uhr –BOTANISCHER GARTEN, Linnéstraße 1, 04103 Leipzig »Expertengespräch im Mediterranhaus«Der Förderkreis Botanischer Garten e.V. und die HTWK Leipzig laden zu einem Austausch mit Frau Dr. Heubach, Direktorin Palmengarten und Botanischer Garten der Stadt Frankfurt a. M., und Prof. Dr. Wirth, Direktor Botanischer Garten der Universität Leipzig. Donnerstag 12.12.2024, ab 18 Uhr –CAPA-HAUS, GERDA-TARO-LOUNGE, Jahnallee 61, 04177 Leipzig »Musikalischer Salon im Capa-Haus«Der Förderkreis Botanischer Garten e.V. und das Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig laden zu einem musikalischen Vortrag zur Musik im Leipziger Palmengarten und anderen Vergnügungsstätten um 1900. An diesem Abend findet die Preisverleihung des Gert-Triller-Preises der Notenspur Leipzig e.V. statt. Montag 13.1.2025, ab 18 Uhr –CAPA-HAUS, GERDA-TARO-LOUNGE, Jahnallee 61, 04177 Leipzig »Ein Gesellschaftsabend im Palmengarten«Der Lions Club Leipzig Saxonia lädt zum Neujahrskonzert mit Trio Saviano, um Abendgarderobe wird gebeten. Für lionsfremde Gäste veranschlagt der Club einen Genussbeitrag von 35 Euro p. P. – Voranmeldung bis 10.1.: eric.buchmann@gmx.net Donnerstag 13.2.2025, ab 18 Uhr –CAPA-HAUS, GERDA-TARO-LOUNGE, Jahnallee 61, 04177 Leipzig »Frauen in der Musikszene um 1900«Tauchen Sie ein in eine faszinierende Welt und erleben Sie eine spannende Reise durch die Musikgeschichte. Die Musikerin Eva Meitner und die Hieronymus-Lotter-Gesellschaft e.V. präsentieren Musikstücke von Amelie Nikisch bis Ethel Smyth und zehn weiteren Komponistinnen. Voranmeldung bis 10.2.: info@lotter-gesellschaft.de Donnerstag 20.2.2025, ab 18 Uhr –BOTANISCHER GARTEN, Linnéstraße 1, 04103 Leipzig »Exkursion in den Botanischen Garten«Der Förderkreis Botanischer Garten e.V. und die Hieronymus-Lotter-Gesellschaft e.V. laden zu einer exklusiven Sonderführung durch die Orchideenschau, die vom 22. Februar bis zum 2. März 2025 stattfindet. Voranmeldung bis 17.2.: info@lotter-gesellschaft.de

Gespräch mit Experten – Rolf Engelmann zum Botanischen Garten in Leipzig

Rolf Engelmann ist seit 2021 als Koordinator für Wissenstransfer im Botanischen Garten der Universität Leipzig tätig. Mit einem Studium zum Biologen in Halle und Leipzig bringt er fundiertes Fachwissen und eine Leidenschaft für die verständliche Vermittlung von Wissenschaft mit. Sein Fokus liegt darauf, den Botanischen Garten als lebendigen Ort des Austauschs und Lernens zu gestalten. Hier schafft er Bildungsangebote für Menschen jeden Alters und stärkt damit die Rolle des Gartens als Brücke zwischen Universität und Öffentlichkeit in einer der ältesten botanischen Einrichtungen Deutschlands. Herr Engelmann, können Sie uns bitte erklären, welche Bedeutung der Botanische Garten für die Universität und die Stadt Leipzig hat? Der Botanische Garten der Universität Leipzig ist ein Ort der Wissenschaft, also der Forschung und Lehre. Im Garten wird mit Pflanzen experimentiert, Pflanzen für Bestimmungskurse angezogen und unsere Pflanzensammlung dient im Rahmen der Ausbildung von Studierenden botanischen und vegetationskundlichen Führungen. Doch auch für die Menschen der Stadt Leipzig hat der Garten eine große Bedeutung. Als Grünes Schaufenster der Universität gestalten wir hier einen intensiven Austausch im Bereich des Wissenstransfers. Gemeinsam mit unserem Förderverein organisieren wir ein vielfältiges Jahresprogram mit Führungen, Exkursionen, Vorträgen, Pflanzenmärkten und Ausstellungen. Auch der Bildungsbereich im Botanischen Garten ist hervorzuheben: wir haben Angebote für alle Altersbereiche ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Wie hat sich der Botanische Garten der Universität Leipzig im Laufe seiner Geschichte entwickelt? Der Botanische Garten der Universität Leipzig gilt als der älteste Botanische Garten an einer Universität in Deutschland. Der Ursprung liegt im Jahr 1542 als das Dominikanerkloster St. Pauli mit dem zugehörigen Medizinal-Garten der damals noch jungen Universität Leipzig übertragen wurde. Bereits 1580 erfolgte eine Integration in die Lehre und Forschung der Universität mit der Ernennung von Moritz Steinmetz zum ersten Präfekten des Gartens. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Standort des Botanischen Gartens mehrfach verlegt und befindet sich nun seit 1877 am jetzigen Standort. Heute blicken wir im Botanischen Garten auf eine wechselvolle Geschichte zurück. In den über 450 Jahren seiner Existenz ist er Teil der wissenschaftlichen und kulturellen Identität der Universität Leipzig und der Stadt Leipzig geworden. Ist sein Status als ältester Botanischer Garten in Deutschland gerechtfertigt? Wie bereits verdeutlicht liegen die Anfänge des Gartens in der Mitte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit sind auch die ältesten europäischen Botanischen Gärten Norditaliens in Pisa (1544), Padua (1545) und Bologna (1568) gegründet worden. Der Leipziger Botanische Garten ist somit keine Besonderheit, sondern unterstreicht die Bedeutung Botanischer Gärten bzw. Medizinalgärten für die Lehre und Forschung an den Universitäten zu der damaligen Zeit. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Leipziger Garten seitdem mehrmals umgezogen ist und die Schwerpunkte der Pflanzensammlung sich abhängig von den jeweils aktuellen Forschungsschwerpunkten verändert haben. Aus einem Medizinalgarten (lat. hortus botanicus) entwickelte sich ein Botanischer Garten, in dem heute die verschiedenen Facetten der Vielfalt im Pflanzenreich im Fokus stehen. Mit heute rund 6.300 verschiedenen Arten wollen wir als Garten der Vielfalt eine Brücke schlagen und vor allem botanisch-ökologische Themen im Kontext von Klimawandel, Transformation, Nachhaltigkeit oder Biodiversitätskrise betrachten. Gibt es bestimmte Personen, die eine zentrale Rolle gespielt haben, die heute nicht vergessen werden dürfen? Als Einrichtung mit so langer Geschichte ist es sicher nicht einfach einzelne Personen herauszustellen und gleichzeitig andere nicht zu würdigen. Diplomatisch ausgedrückt gibt es eine Vielzahl an Personen oder besser an Personengruppen, ohne die ein Botanischer Garten nicht erfolgreich arbeiten kann. Zu Nennen sind dabei an erster Stelle natürlich die Gärtnerinnen und Gärtner. Sie bringen gärtnerischen Sachverstand und Leidenschaft in unsere artenreiche Pflanzensammlung. In den früheren Jahrhunderten wurden sie, unterstützt von weiteren Personen, wie beispielsweise Heizern (lange Zeit wurden die Gewächshäuser des Botanischen Gartens mit Kohle beheizt) oder anderen Personen, die essentielle Hilfstätigkeiten ausgeführt haben. Ich stelle diesen Personenkreis ganz bewusst an den Anfang meiner Aufzählung, sie werden im Laufe der Geschichte mitunter zu selten gewürdigt – hier würde ich mich über neue Erkenntnisse und Anekdoten bei der Aufarbeitung unserer Geschichte sehr freuen. Des Weiteren hatten wir seit 1580 viele sehr namhafte Direktoren, die die Geschicke des Gartens maßgeblich prägten und nicht selten weltweit bekannte Botaniker ihrer Zeit waren. Doch auch die Garteninspektoren, heute eher als Betriebsleiter bezeichnet, gestalteten die Entwicklung des Botanischen Gartens über die Jahrhunderte und sind wichtige Brückenbauer zwischen Wissenschaft und gärtnerischer Praxis. Nicht zu vergessen sind auch die Kustoden, also die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Botanischen Gartens. Sie betreuen die artenreiche Sammlung, organisieren den fachlichen Austausch mit anderen Botanischen Gärten und entwickeln die Sammlung des Botanischen Gartens stetig weiter. Wie würden Sie die Pflanzensammlung des Gartens beschreiben? Heute haben wir im Botanischen Garten rund 6.300 verschiedene Pflanzenarten in rund 10.000 verschiedenen Akzessionen. Grob könnte man sagen, dass die Hälfte der Arten im Freiland zu finden sind und die andere Hälfte der Arten unsere Gewächshäuser benötigt. Als „Garten der Vielfalt“ möchten wir die Vielfalt im Pflanzenreich in möglichst vielen Facetten erlebbar machen. Im System kann man sich mit der Verwandtschaft im Pflanzenreich beschäftigen, in den geographischen Abteilungen sieht man die Arten gleicher klimatischer oder geographischer Regionen und die biochemische Vielfalt ist in den Beeten des Apothekergartens ersichtlich. Hier sind die gezeigten Pflanzen nach ihren medizinisch genutzten Inhaltsstoffen sortiert. Gibt es spezielle oder seltene Pflanzenarten, die im Botanischen Garten besonders hervorstechen? Als Botanischer Garten liegt unserer Fokus auf Wildarten, das heißt Pflanzenarten, die so auch in der Natur vorkommen. Nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen bei uns Sorten oder Züchtungen. Aus diesem Grund sind in unserer Sammlung mitunter sehr viele seltene und besonders interessante Pflanzen. Für unsere Besucher sind sicherlich solche Pflanzen von großem Interesse, die nicht vor unserer Haustür in der Natur oder im Garten wachsen. Ich denke hier beispielsweise an Palmen, die Riesenseerose oder auch das Mammutblatt – alles Pflanzen die Staunen und Interesse wecken. Arbeiten Sie dabei mit anderen Forschungseinrichtungen zusammen? Ja, in allen Belangen. Zuerst einmal ist der Botanische Garten mit der Arbeitsgruppe Spezielle Botanik und Funktionelle Biodiversität verknüpft, arbeitet aber auch mit anderen Arbeitsgruppen der Universität Leipzig zusammen. Darüber hinaus betreibt das Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig ein Forschungsgewächshaus im Botanischen Garten. Zusätzlich gibt es gemeinsame Projekte mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), … Weiterlesen

Gespräch mit Experten – Dr. Katja Heubach zum Palmengarten am Main

Dr. Katja Heubach ist seit 2018 Direktorin des Palmengartens in Frankfurt am Main. Unter ihrer Leitung feierte die städtische Gartenanlage 2021 ihr 150-jähriges Bestehen – trotz der Herausforderungen durch die Pandemie. Der Frankfurter Palmengarten hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder erfolgreich gegen widrige Umstände behauptet. Als ein Wahrzeichen der Stadt genießt er starken Rückhalt in der Bürgerschaft. Dieser Geist prägt auch die Arbeit der Direktorin, die darauf abzielt, die historische Gartenanlage den Herausforderungen der Zeit anzupassen und gemeinsam mit den Frankfurtern zu bewahren. Frau Dr. Heubach, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen und uns über den Frankfurter Palmengarten informieren. 1899 diente dieser schließlich als Vorbild für den Leipziger Palmengarten, der heute leider nicht mehr als botanische Gartenanlage existiert, aber einst große Bedeutung für die Leipziger Bürgerschaft hatte. Welche Rolle spielt der Palmengarten für die Stadt Frankfurt? Der Palmengarten gehört zu den historischen Frankfurter Institutionen, die wie Zoo, Städel Museum, Universität und Senckenbergische Stiftung auf bürgerliche Initiativen zurückgehen und fest in der Frankfurter Stadtgesellschaft verwurzelt sind. Die Verbundenheit der Bürgerinnen und Bürgern zum Palmengarten ist groß. Für viele ist der Garten „ihr“ grünes Wohnzimmer. Der erste Besuch findet oft mit der Schule oder den Eltern statt. Später geht man dann zu Festen oder Konzerten in den Garten oder lässt sich im Haus Rosenbrunn trauen – nachdem man im Palmengarten den Heiratsantrag gemacht hat. Neben ausgesprochenen Pflanzenkennern und -liebhaberinnen, die sich informieren und nach Neuerungen schauen wollen, zieht der Garten vor allem Erholungssuchende an. Der Garten passt sich seit anderthalb Jahrhunderten den Bedürfnissen seines Publikums und den jeweiligen Erfordernissen der Zeit immer wieder neu an. Dazu gehören heutzutage auch zum Beispiel digitale Bildungsangebote; die Stärke des Gartens ist und bleibt aber das Analoge. Welche Schlüsselereignisse oder -phasen waren in den letzten 150 Jahren entscheidend für die Entwicklung und das Wachstum des Frankfurter Palmengartens? Ein Schlüsselereignis für die Gründung war 1866 die Besetzung der ehemals Freien Reichsstadt Frankfurt durch die Preußen. Im selben Zusammenhang musste auch Herzog Adolph von Hessen-Nassau abdanken und seine berühmte Pflanzensammlung verkaufen. Der Gartenkünstler Heinrich Siesmayer konnte sie glücklicherweise für Frankfurt erwerben, finanziert wurde alles von einer extra dafür gegründeten Aktiengesellschaft. Für diese Pflanzensammlung wurde der Palmengarten mit seinem Herzstück, dem Palmenhaus, eigentlich angelegt. Weil die Sammlung stetig wuchs, bekam sie Anfang des 20. Jahrhunderts eine damals hochmoderne Schauhausanlage. Dann kam der Einschnitt von Inflation und Weltwirtschaftskrise, die tragende Gesellschaft musste den Palmengarten abgeben. Seitdem ist der Palmengarten städtisch. Die Amerikaner, die kurzzeitig aus dem Garten ein Recreation Center für ihre GIs gemacht hatten, halfen, die Folgen des Kriegs abzupuffern. Später ging es im Palmengarten gesellschaftlich wieder ähnlich hoch her wie in seiner Anfangszeit. Regelrecht neu organisiert, auch baulich, hat dann Direktor Schoser den Garten in den 1970er und 80er Jahren. Der Palmengarten mit dem neugebauten Tropicarium und großen Blumenschauen war ungeheuer populär, regional wie international. Die Leute standen Schlange, um eine Orchideenausstellung zu sehen. Deutlich später, aber ebenso weitreichend war die 2012 umgesetzte Angliederung des angrenzenden Botanischen Gartens an den Palmengarten, der ehemals zur Goethe Universität Frankfurt gehörte. Heutzutage treiben uns vor allem der Klimawandel und das Artensterben um, dazu gehören auch Themen wie Nachhaltigkeitsmanagement, besonders in den Bereichen Energie, Wasser und Materialeinsatz. Im Rahmen von mehrjährigen Leitthemen bringen wir komplexe Fragestellungen an das Publikum und schaffen damit gleichzeitig eine erkenntnisreiche Neuorientierung nach innen. Das erste Leitthema, das wir in diesem Jahr abbinden, heißt „Blüten- und Bestäuberökologie“. Anlass war 2021 das neue Blüten- und Schmetterlingshaus mitsamt der Dauerausstellung „Abgestaubt“ zur Welt der Insekten. Dazu gehören die insektenfreundliche Umgestaltung von Rasen zu Wiesenarealen mit unterschiedlichen Blühaspekten, eine meterlangen Nistwand mit Biodiversitätsdach, nektarreiche Unterpflanzungen bestehender Beetanlagen und vieles mehr. Begleitend wurden zahlreiche analoge und digitale Vermittlungsformate mit Augenmerk auf die verschiedenen Blickwinkel von Wissenschaft, Praxis, Kunst und Kultur entwickelt. So rundet unsere neue große Kunstausstellung „Verspielt? − Roulette mit der Insekten- und Pflanzenwelt“ das Leitthema mit einem fulminanten Paukenschlag ab – und zieht ein völlig anderes Publikum zur Auseinandersetzung mit dem Thema in den Garten. Gab es Persönlichkeiten, die eine Schlüsselrolle in der Geschichte des Frankfurter Palmengartens gespielt haben? Können Sie einige von ihnen nennen und ihre Beiträge näher erläutern? Außer Heinrich Siesmayer, dem Gründungsdirektor, dem wir den Garten im Stil des englischen Landschaftsparks verdanken, ist zum Beispiel sein unmittelbarer Nachfolge August Siebert zu nennen, der die Pläne Siesmayers weiterentwickelte. Er machte den Garten um 1900 zu einem wahren Sportlerparadies mit Rudern auf dem Weiher, Tennis, Eislaufen, Fahrradrennen und Wettkämpfen. Direktor Fritz Encke sorgte für den Wiederaufbau des Gartens nach dem 2. Weltkrieg. Für immer mit dem Namen Gustav Schoser verbunden bleibt die grundlegende Erneuerung und die sogenannte „innere Erweiterung“ der Anlage ab Ende der 1960er Jahre. Der Palmengarten erhielt damals sein Erscheinungsbild, wie es in etwa noch heute besteht. Es kamen Gebäude wie das Subantarktishaus und das Haus Rosenbrunn hinzu, andere wurden umgebaut oder versetzt. Die Tennisplätze wurden entfernt und durch eine Steppenanlage ersetzt. Das in den 1980er Jahren errichtete Tropicarium war wirklich ein großer Coup, an dem wir bis heute Freude haben. Es beherbergt Gewächse aus den Feuchten sowie Trockenen Tropen, die nach Klima- und Vegetationszonen geografisch sortiert gepflanzt sind. Außerdem wurden unter Schosers Leitung besonders viele seltene und vom Aussterben bedrohte Pflanzen kultiviert, wie aus der Familie der Bromelien, Orchideen und der Gruppe der Sukkulenten. Der weitere Ausbau der wissenschaftlichen Sammlung ist auch mir besonders wichtig. Wir haben im letzten Jahr zum ersten Mal in der Geschichte des Palmengartens ein Sammlungskonzept erarbeitet. 2021 feierte der Frankfurter Palmengarten sein 150-jähriges Jubiläum. Wie haben Sie dieses besondere Ereignis begangen? Wir haben groß gefeiert, gemessen an Vielfalt des Programms, besonders, wenn man die Umstände bedenkt – mitten in der Pandemie. Zum Jubiläum gab es einen umfassenden Jubiläumsband, der die Geschichte des Palmengartens und seiner Sammlungen darstellt, Geschichten aus der Gegenwart des Gartens erzählt, mit großformatigen ansprechenden Bildern. Dazu hat die Autorin die Mitarbeitenden, aber auch unser Publikum befragt. Passend dazu gab es eine umfangreiche Ausstellung zur Geschichte– auch ein Novum in der Palmengartengeschichte. Ein weiteres Highlight war die Eröffnung des lange projektierten … Weiterlesen

Der klingende Park – Tage der Industriekultur in Leipzig

Die Veranstaltungsreihe „Der klingende Park“ ist ein Teil der Industriekulturtage in Leipzig. Sie bietet eine Reise durch die Geschichte der Gartenbaukunst in Leipzig, angefangen mit den prächtigen privaten Bürgergärten, den ersten Botanischen Garten und den ersten kommunalen Landschaftspark Deutschlands über die modernen Ausstellungs- und Freizeitparks sowie Ausflugsstätten im Industriezeitalter bis hin zu den noch erhaltenen Parkanlagen jener Zeit, die als Gartenbau- und Kulturdenkmal heute einen besonderen Schutzstatus genießen. Die Parkerrichtung war über dem ein wichtiger Faktor des städtebaulichen Wandels im Zuge der Hochindustrialisierung und des Städtewachstums in Deutschland. Zur Zeit der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897 (STIGA) waren viele Leipziger Parkanlagen in ihrer Entstehung. Gut für Leipzig war es, dass die Stadtoberen 1899 eine Umsetzung öffentlicher Parkanlagen befürwortete und finanzielle Mittel dafür bereitstellte – dies kann heute als Ausdruck einer vorausschauenden und nachhaltigen Stadtentwicklung im Industriezeitalter gedeutet werden, denn diese Grünflächen dienten neben anderen wichtigen Aspekten auch zur Regeneration einer hart arbeitenden Bevölkerung. Hierzu zählen beispielsweise der Stünzer Park (1898) im Leipziger Osten, der Leipziger Palmengarten (1899) im Leipziger Westen, der Arthur-Bretschneider-Park (1900) im Leipziger Norden ebenso wie der Wilhelm-Külz-Park (1904) im Leipziger Süden und der an der Stelle des Ausstellungsparks der STIGA tretende König-Albert-Park (1904), der heutige Clara-Zetkin-Park, im Leipziger Zentrum. Sie alle dienen dem Wohl der Leipziger und ihrer Besucher, sei es zur Bildung, Erholung oder zum Vergnügen. Entsprechend lohnenswert ist ein Blick auf ihre Entstehungs- und Blütezeit, die verschiedenen Kunstformen, die diese Parks bereicherten (z.B. Architektur, Skulptur, Landschaftsgestaltung, Musik) – ganz zu schweigen von den Schicksalen einst untergegangener Oasen, die in alten Postkarten, Lithografien und Aufnahmen heute wieder lebendig werden. Unser Ziel ist es, die Vielfalt der Leipziger Park- und Gartenkultur zu beleuchten und mit dieser Veranstaltungsreihe möglichst viele Menschen zu erreichen. Wir sind davon überzeugt, dass ein besseres Verständnis der lokalen Kulturgeschichte zu einem bewussteren Umgang mit den Parkanlagen führen kann. Veranstaltungen 2024 Zu den 12. Tagen der Industriekultur in Zusammenarbeit mit dem Verein für Industriekultur Leipzig e.V. und einer Hommage an 125 Jahre Leipziger Palmengarten mit dem Historical Swing Dance Orchestra, Bühnenprogramm, Open-Air-Ausstellung, Stammtisch der Parkenthusiasten und Bücherverkauf. Wann? 08.09.2024, 14:00 – 19:00 UhrWo? Musikpavillon, Clara-Zetkin-Park, Anton-Bruckner-Allee 11, 04107 Leipzig **** Veranstaltungen 2023 Zu den 11. Tagen der Industriekultur in Zusammenarbeit mit dem Verein für Industriekultur Leipzig e.V. mit folgendem Thema: „Vom Ausstellungspark 1897 zum Leipziger Palmengarten 1899: Park- und Gartenkultur im Zeitalter der Industrialisierung“ Wann? 03.09.2023, 14:00 – 19:00 UhrWo? Musikpavillon, Clara-Zetkin-Park, Anton-Bruckner-Allee 11, 04107 LeipzigWie viele Gäste waren da? > 500 Gäste ****

Erfolgreiches Netzwerktreffen im Grassi – Jugendstil in Leipzig

Bis Anfang Oktober 2024 präsentiert das GRASSI Museum für Angewandte Kunst die Sonderausstellung „Beflügelndes Fieber. Jugendstil im GRASSI“, die sich mit der Kunst um 1900 auseinandersetzt. Doch nicht nur am Johannisplatz ist diese Epoche erlebbar: Der Jugendstil findet sich in unzähligen architektonischen Beispielen im Stadtraum wieder. Darüber hinaus beschäftigen sich viele Fachleute damit. Sei es als angehende Wissenschaftler*innen, als Denkmalpfleger*innen im beruflichen Alltag oder als ehrenamtliche Mitglieder eines Vereins. Andere widmen sich wiederum dem Sammeln von Jugendstilobjekten oder erforschen ihre eigene Familiengeschichte – sie alle eint die Faszination für die Zeit der Jahrhundertwende. Das Treffen richtete sich an alle Interessierten, die sich mit Themen aus der Zeit um 1900 beschäftigen. Um die verschiedenen Initiativen, Vereine, Privatpersonen und Nachwuchswissenschaftler*innen zusammenzubringen, fand am 10. Juni 2024, an dem internationalen Tag des Jugendstils, ein Netzwerktreffen im GRASSI Museum für Angewandte Kunst statt. Bei diesem Projekt ging es um den offenen und aktiven Austausch, das Verbinden von Interessengebieten und das Knüpfen neuer Kontakte. Der Termin verfolgte auch den Ansatz der „Citizen Science – Initiative“, bei dem der Forschung von Privatpersonen außerhalb des Wissenschaftsbetriebes mehr Raum gegeben werden soll. Verschiedene Vereine und Arbeitskreise, etwa der AK Jugendstil bis Moderne des Freundeskreises des GRASSI Museums für Angewandte Kunst e.V., der AK Gohliser Geschichte im Leipziger Geschichtsverein und Industriekultur Leipzig e.V., unterstützten die Initiative als Kooperationspartner. Neben Mitgliedern des Freundeskreises des GRASSI Museums und den beiden Kooperationspartnern nahmen auch weitere Privatpersonen, Denkmalpfleger*innen und sogar eine Schauspielerin teil. Schon bald entwickelten sich lebhafte Diskussionen über die unterschiedlichen Interessen der Teilnehmenden. Besonders interessant fanden viele den Architekten Paul Möbius und sein Gebäude im Ausstellungspark der STIGA (1897) – dem Nietzschmann-Wommerschen „Wurst“-Pavillon – das vermeintlich erste Jugendstilgebäude der Stadt. Auch F.B. Selle, ein Leipziger Unternehmer, der um die Jahrhundertwende in seiner Manufaktur wunderschönes Porzellan in Burgau bei Jena herstellte, war auf dem damaligen Ausstellungsgelände vertreten. Außerdem wurden die Planungen zum 125. Jubiläum des Palmengartens der HTWK Leipzig besprochen, und die Denkmalpflege war ebenfalls ein wichtiges Thema. Auch die Künstler Max Klinger und Elsa Asenijeff wurden nicht vergessen. Besonders die Stadtteile Gohlis und Eutritzsch standen neben dem Stadtzentrum stark im Fokus. Eine Führung durch die Sonderausstellung mit der leitenden Kuratorin, die Anlass für das Treffen war, gab den Teilnehmenden tiefere Einblicke über die Zeit der Jahrhundertwende. Weitere interessante Werke wurden in der neuen Vitrinenausstellung „Become a Curator“ vorgestellt, bei der die Privatsammler*innen eingeladen wurden, ihre Stücke zu präsentieren. Einer der Aussteller war auch anwesend und berichtete ausführlich über seine Sammelleidenschaft und die damit verbundenen Herausforderungen. Dank der Unterstützung durch das Stadtbezirksbudget Leipzig-Mitte der Stadt Leipzig konnten wir für das leibliche Wohl sorgen und im schönen Rehgarten des GRASSI Museums eine angenehme Atmosphäre gestalten, die zu einem anregenden und produktiven Austausch beigetragen hatte – genau das war das Ziel der Veranstaltung. Eine Fortsetzung war der gemeinsame Wunsch, so dass weitere Netzwerktreffen geplant werden. Dann soll es nicht nur um den Jugendstil gehen, sondern allgemein um die Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg. Ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten für ihre engagierte Teilnahme und die bereichernden Gespräche, die dieses Treffen zu einem vollen Erfolg gemacht haben. Wir freuen uns darauf, den Austausch bei einem nächsten Netzwerktreffen fortzusetzen und die gemeinsamen Interessen weiter zu vertiefen. Möge diese Initiative weiterhin wachsen und gedeihen, getragen von der Begeisterung und dem Engagement aller Teilnehmenden.

Gespräch mit Experten – Dr. Maren Möhring zur Esskultur der STIGA

Prof. Dr. Maren Möhring, Sozial- und Kulturhistorikerin an der Universität Leipzig, widmet sich in einem wissenschaftlichen Artikel der Bedeutung von Speisen und Getränke bei Welt- und Kolonialausstellungen um 1900. Sie analysiert anhand der Berliner und Leipziger Gewerbeausstellungen deren Inszenierung und ihre Funktion als Ausstellungsobjekte. Hierbei beleuchtet sie auch die Rolle der Koch- und Essgewohnheiten der Nichteuropäer, die eigens für die Dauer dieser Ausstellungen ausgewählt wurden. Frau Prof. Dr. Möhring, Sie beschäftigen sich mit dem Thema „Esskultur auf den Welt- und Kolonialausstellungen um 1900“. Wie kamen Sie dazu, was hat Sie dazu bewogen, einen Forschungsbeitrag zu schreiben? Ich interessiere mich generell für die Bedeutung von Essen in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten: Welche Bedeutungen werden spezifischen Lebensmitteln und bestimmten Mahlzeiten zugeschrieben? Was erfahren wir über Gesellschaften, wenn wir ihre esskulturellen Konventionen betrachten? Gerade wenn es um die Inszenierung von anderen Kulturen geht, kommt dem Essen als Alltagsphänomen oft eine besondere Bedeutung zu. Was und wie gegessen wird, weckt Interesse und Neugier, aber oft auch Abwehr. Diese widersprüchlichen Emotionen scheinen mir für eine Analyse von Welt- und Kolonialausstellungen hoch relevant. Wie würden Sie sich selbst und ihre Forschung beschreiben? Ich bin Historikerin geworden, weil ich mich für gesellschaftliche Transformationsprozesse und für kulturellen Wandel interessiere. Wichtig ist mir eine genaue Analyse von Machtbeziehungen, um soziale Ungleichheiten, aber auch die Handlungsspielräume historischer Akteur:innen ausloten zu können. Das heißt auch, sich damit zu befassen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt eigentlich sagbar und denkbar war. Durch geschichtswissenschaftliche Untersuchungen lassen sich zum einen die Begrenzungen vergangener Diskurse aufzeigen, zum anderen aber auch nicht realisierte Möglichkeiten aufdecken, die unseren gegenwärtigen Horizont erweitern können. Ihr Beitrag beleuchtet die Rolle der Gastronomie auf Welt-, Gewerbe- und Kolonialausstellungen. Könnten Sie uns näher erläutern, wie diese Veranstaltungen die Wahrnehmung und den Konsum von Essen und Getränken beeinflusst haben? Welt- und Kolonialausstellungen lebten von der Präsentation einer Vielzahl technischer, aber auch kultureller Güter und Leistungen. Der visuelle Konsum steht bei einem Ausstellungsbesuch im Vordergrund. Die Gastronomie vor Ort aber bot die Möglichkeit, sich nicht nur über den Sehsinn, sondern auch riechend und schmeckend dem Gebotenen zu nähern. Mir scheint das Moment der Einverleibung vertrauter, aber eben auch unbekannter Speisen ein wichtiges Element der Ausstellungserfahrung gewesen zu sein. Welchen Stellenwert hatte die Verpflegung vor Ort? War das Essensangebot „nur“ ein Beiwerk? Einerseits gehörten die Speisen auf Weltausstellungen zum Rahmenprogramm, das (fast) jede Form von Vergnügungsevent begleitet. Andererseits aber wurden Lebensmittel, ihre Zubereitung und ihr Konsum auch als aussagekräftige Symbole einer bestimmten Kultur eingesetzt – der eigenen wie der ausgestellten ‚anderen‘ Kulturen. Ihr Beitrag betont die Inszenierung von „fremden Welten“ durch „landestypischen“ Speis und Trank. Wie würden Sie diese Form der Gastronomie beschreiben? Die Welt- und Kolonialausstellungen lassen sich als eine frühe Form der Erlebnisgastronomie verstehen, bei der es nicht nur um die einverleibten Speisen und Getränke ging, sondern auch um den kulturellen Kontext, den als landestypisch erachtete Speisen und Getränke transportierten. Es ging nicht nur um die Inszenierung besonders ‚exotischer‘ Genüsse, sondern auch regionale Traditionen wurden beschworen. Letztlich war es eine touristische Vorstellungswelt, die aufgerufen wurde – egal, ob indische oder Wiener Küche geboten wurde. Diese Vorstellungswelten materialisierten sich nicht nur in Form von Speisen und Getränken, sondern gewannen Gestalt auch durch teils aufwändig ausgestattete Lokale, die architektonisch, durch Bildschmuck, Alltagsgegenstände oder auch musikalische Untermalung auf die jeweilige Region verwiesen. Die Berliner Gewerbeausstellung von 1896 und die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung in Leipzig 1897 stehen im Mittelpunkt Ihrer Analyse. Was hat Sie dazu inspiriert, gerade diese Ausstellungen zu wählen? Als Historikerin interessiert mich immer auch die Geschichte vor Ort, und da ich in Leipzig lebe, war es naheliegend, mich intensiv mit der Sächsisch-Thüringischen Gewerbe-Ausstellung von 1897 zu befassen und diese mit anderen Ausstellungen in Beziehung zu setzen. Denn die einzelnen Elemente ähneln sich letztlich sehr – auch und gerade, was die kulinarische Dimension angeht. Haben die gastronomischen Angebote das Verständnis von Kultur und Identität beeinflusst? Könnten Sie uns näher erläutern, wie Essen und Gastronomie dazu beigetragen haben, bestimmte Stereotypen zwischen den Kulturen zu formen oder zu reflektieren? Ich würde grundsätzlich unterscheiden zwischen der Inszenierung von Esspraktiken der auf Welt- und Kolonialausstellungen präsentierten Menschen aus nicht-europäischen Regionen und dem kommerziellen Speiseangebot in den gastronomischen Einrichtungen am Ausstellungsort. Die Präsentation ‚fremder‘ Ernährungspraktiken befriedigte eine ethnologische und auch kolonial(rassistisch)e Neugier, weil sie versprach, nah an die ausgestellten Menschen heranzuzoomen und sie vermeintlich bei ihren Alltagsaktivitäten zu beobachten. Essen diente hier (auch) der Authentifizierung des Ausgestellten. Ähnlichkeiten, vor allem aber auch Differenzen zum Gezeigten dienten der eigenen Selbstvergewisserung. Inwieweit diese Inszenierungen als solche erkannt wurden, ist schwer zu sagen. In den direkt kommerziellen Etablissements auf den Weltausstellungen war der Inszenierungscharakter den Besucher:innen vermutlich bewusst(er). Hier mögen bestimmte stereotype Bilder einen eher spielerischen Charakter angenommen haben. Die gastronomischen Einrichtungen zählten klar zum Vergnügungssektor der Ausstellungen, während die Völkerschauelemente einen ethnologischen Anstrich besaßen und wissenschaftlich(er) daherkamen. Daher wurden stereotype Darstellungen wenig(er) hinterfragt. Zum Abschluss, welche Herausforderungen bieten sich Forschern, die sich mit diesem Thema befassen wollen? Eine der größten Herausforderungen ist – wie bei vielen geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen – die schwierige Quellenlage. Erlebnisberichte von Ausstellungsbesucher:innen oder gar Aufzeichnungen von ausgestellten Menschen sind rar; wir können also oft nur die in den Ausstellungsführern vorgegebenen Sichtweisen rekonstruieren. Was die Menschen vor Ort tatsächlich dachten und taten, lässt sich nur annäherungsweise bestimmen. Ich glaube jedoch, dass ein Augenmerk auf scheinbar nebensächliche Aspekte wie das Essen uns neue Erkenntnisse liefern und die Perspektiven auf die Weltausstellungen erweitern kann. Mehr erfahren Sie in meinem Forschungsbeitrag, den Sie in einem Open-Access-Dokument nachlesen können. Aktuelles: www.uni-leipzig.de/personenprofil/mitarbeiter/prof-dr-maren-moehring

Gespräch mit Experten – Sebastian Ringel zum Wandel der Vorstädte

Sebastian Ringel ist ein erfahrener Stadtführer und Autor. Nachdem er sich bereits den verlorenen Häusern der Leipziger Innenstadt gewidmet hat, richtet er nun den Blick auf ein mehr als zehn Quadratkilometer großes Areal zwischen der Innenstadt und den eingemeindeten Dörfern – das so genannte Alt-Leipzig. In seinem neuesten Buch beschreibt er verlorene und identitätsstiftende Orte der Leipziger Vorstädte, die im Laufe der Zeit verschwanden und schafft damit ein Kompendium der ehemaligen Gartenanlagen, Ausfluglokale und Kulturstätten, aber auch ganzer Landschaften mit Seen und Flussläufen. Herr Ringel, Ihr neues Buch beschäftigt sich mit der Entwicklung der historischen Leipziger Vorstädte und behandelt 300 verlorene Orte. Was hat Sie dazu inspiriert, sich mit diesem speziellen Thema auseinanderzusetzen? Nachdem ich bereits die Innenstadt durchforstet habe, war das nächstliegende Thema, die daran anschließenden Vorstädte. Interessant erschienen mir aber auch die landschaftlichen Veränderungen in diesem zentralen Bereich der Stadt – die Überbauung der Bürgergärten, die Umgestaltung des Binnendeltas und die Urbarmachung der Grünflächen. Die Vorstädte von Leipzig haben im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen durchgemacht. Welche stadtplanerischen Zielsetzungen und Motive des Verschwindens haben Sie während Ihrer Recherchen identifiziert? Bis in die 1830er Jahre hinein war Leipzig eine überaus übersichtliche Kleinstadt, die sich bis dato kaum ausgedehnt hatte. Dies galt allerdings für fast alle heutigen Großstädte in jener Zeit. Erst mit der Abschaffung des Torgroschens und der wenige später erfolgten rechtlichen Gleichstellung der Vorstadtbewohner änderten sich die Verhältnisse und zwar grundlegend. Denn von nun an zog die Einwohner nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor in die Innenstadt, sondern sie drängten aus dieser heraus, da sie sowohl ihre Schutzfunktion als auch ihre rechtliche Vorrangstellung verloren hatte. Zugleich boten die nun entstehenden neuen Vorstädte jede Menge Raum und damit auch Komfort. Zunächst wurden für deren Anlage die Acker- und Wiesenflächen genutzt. Das Areal der alten Vorstädte geriet jedoch ab den 1860er Jahren zunehmend in den Fokus der Investoren, da diese nun im zentralen Bereich der Stadt lagen. Als besonders lukrativ galten die Grundstücke am Ring, der auf Grund seiner Breite dem Repräsentationsbedürfnis der neu gegründeten Versicherungsgesellschaften, Großbanken oder Luxushotel entsprach. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren die allermeisten der hier stehenden Altbauten ersetzt worden. Viele der an selber Stelle errichteten Neubauten wurden dann während des Zweiten Weltkriegs zerstört. In Ihrem Buch sprechen Sie von „verlorenen Orten“ in den Leipziger Vorstädten. Könnten Sie einige dieser Orte hervorheben und uns erzählen, welche Bedeutung sie in der Geschichte Leipzigs hatten? Zwar wurden bis ins frühe 19. Jahrhundert oft nur einfache Bauten in den Vorstädten errichtet, nichtsdestotrotz existierten auch in der älteren Geschichte wichtige Gebäude hier. Dazu zählen beispielsweise die Mühlen der Stadt oder die Wasserkunst, die einen wesentlichen Teil der Infrastruktur der Stadt abbildeten. Aber auch die Hospitäler gehören dazu und nicht zuletzt die Johanniskirche, das über lange Zeit einzige Gotteshaus außerhalb der Mauern. Im 19. Jahrhundert entstanden dann aber auch diverse Kulturstätten, wie das Neue Theater, der Krystallpalast oder das Centraltheater viele große öffentliche Bauten, wie die Hauptpost oder das Buchhändlerhaus, die allerdings alle während des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden. Das Buch enthält auch umfangreiches Kartenmaterial, um die Entwicklung der Vorstädte zu veranschaulichen. Wie haben Sie diese Karten ausgewählt, und welche Erkenntnisse können Leser aus dieser visuellen Darstellung ziehen? Ausgangspunkt ist das Jahr 1860. Die Karten habe ich extra für dieses Buch angelegt. Sie zeigen die Veränderungen im Stadtbild in sechs verschiedenen Abschnitten auf, so dass ein guter Vergleich zwischen den einzelnen Zeitabschnitten möglich und die Entwicklung der Vorstädte nachvollziehbar ist. Sie halten Vorträge zu diesem Thema. Wie behandeln Sie die Geschichte der Leipziger Vorstädte der letzten 160 Jahre? Welche Schlüsselmomente haben Ihrer Meinung nach die größten Auswirkungen auf die Entwicklung gehabt? Zum einen geht es mir darum nicht mehr vorhandenen Gebäude aus der Leipziger Vergangenheit vorzustellen, ich versuche aber auch die Entwicklung der Stadt, anhand der gewählten Beispiele nachzuzeichnen. Die Sächsische Revolution von 1830/31 ist dabei sicherlich der entscheidendste Wendepunkt in der Stadtgeschichte, wobei das heutige Stadtbild in Folge auch durch andere Ereignisse geprägt wurde, wie den Zweiten Weltkrieg oder die Hinwendung zur sozialistischen Moderne Sie verwenden historische Fotografien und aktuelle Aufnahmen, um die Entwicklung der Vorstädte zu veranschaulichen. Welche besonderen Geschichten oder Ereignisse werden Sie in Ihrem Vortrag hervorheben, um den Zuhörern einen Einblick in die faszinierende Geschichte dieses Gebiets zu bieten? Ich muss zugeben, dass ich recht spontan bin, wenn es um das Erzählen kleinerer Episoden oder Ereignisse geht. Es kommt auch immer darauf an um was für eine Art von Vortrag es sich handelt. Meist versuche ich auf die Bauten oder Ereignisse einzugehen, die in direkter Umgebung zum jeweiligen Veranstaltungsort liegen oder die thematisch passen. Die Umgestaltung der Leipziger Vorstädte hat sowohl Gebäude als auch ganze Landschaften betroffen. Für Sie als Stadtführer und Autor, welche Erkenntnis haben Sie aus Ihrer Arbeit gewinnen können? Besonders bemerkenswert finde ich mit welchem Aufwand das Flusssystem umgestaltet wurde. Ebenso erstaunlich ist, das alle alten Bürgergärten Alt-Leipzigs bereits im frühen 20. Jahrhundert komplett überbaut worden sind. Anderseits ist Leipzig heute eine Stadt in der, insbesondere westlich des Stadtkerns, noch große naturbelassene Räume existieren, also nicht nur Parkanlagen, sondern auch Wald- und Auwaldflächen. Dies allerdings ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass Leipzig nach 1930 über sieben Jahrzehnte nicht mehr gewachsen ist. Mehr erfahren Sie in meinem Buch, in Vorträgen oder während meinen Stadtführungen. Aktuelles: www.sebastian-ringel.de

Hausarbeit zur Wohltätigkeit am Beispiel Hermann Julius Meyer

Patrick Schoppa widmet sich in seiner Hausarbeit der Leipziger Stiftungsgesellschaft im 19. Jahrhundert am Beispiel von Hermann Julius Meyer, denn obwohl er einer der prominentesten Stifter seiner Zeit war, sind seine persönlichen Motive noch weitestgehend unbekannt geblieben. Die Arbeit untersucht die Motive für sein bürgerliches Handeln und nutzt dazu verschiedene Quellen historischer Werke und der Primärliteratur, um Meyers Persönlichkeit und Beweggründe zu erforschen. Ebenfalls werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für wohltätiges Handeln im 19. Jahrhundert im Allgemeinen und die spezifischen Umstände in Leipzig analysiert. Die Arbeit betont aber auch, dass noch weitere interdisziplinäre Untersuchungen notwendig sind, um Meyers Motive besser zu verstehen. 1 Inhaltsverzeichnis 2       Einleitung. 1 3       Bürgerliche Wohltätigkeit im 19. Jahrhundert. 3 3.1        Gesetzlicher Rahmen. 3 3.2        Welche Motivation gab es für Wohltätigkeit?. 5 4       Sozialer Wohnungsbau in Leipzig. 9 5       Hermann Julius Meyer. 12 5.1        Erziehung/Familie/Persönlichkeit. 12 5.2        Meyer im Kontext seiner Zeit. 14 5.3        Politische Ausrichtung. 19 6       Fazit. 20 7       Literaturverzeichnis. 22 8       Quellenverzeichnis. 24 9       Selbständigkeitserklärung. 25 2 Einleitung Das 19. Jahrhundert war geprägt von gesellschaftlichen Umbrüchen, Demokratisierungswellen, Kriegen, Restauration, Repressionen und dem Aufkommen einer politischen Öffentlichkeit. Besonders aber wurde das 19. Jahrhundert geprägt von einer nach Einfluss strebenden Gesellschaftsschicht: dem Bürgertum. Dass es kein geeinigtes Bürgertum gab, zeigt die Forschung [1] und der Begriff soll auch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Wohl aber soll ein Aspekt der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts in Leipzig genauer untersucht werden, und zwar das Stiftungswesen. Im konkreten Fall der vorliegenden Arbeit lautet die Forschungsfrage: Das städtische Stiftungswesen am Beispiel von Hermann Julius Meyer. Welche Motive hatte er und wie lassen sie sich einordnen? Als Standardwerke für das Finden des Themas und Formulieren der Forschungsfrage dienten die 2018 erschienene Geschichte der Stadt Leipzig. Von den Anfängen bis zur Gegenwart von Susanne Schötz und das 2015 erschienene Gemeinschaftswerk von Thomas Adam, Stefan W. Krieg, Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V.: Max Pommer. Architekt und Betonpionier. Diese beiden Werke geben einen guten Einblick in die Gesellschaft Leipzigs im späten 19. Jahrhundert und vor allem viele Informationen zur Stiftung für die Erbauung günstiger Wohnungen, dessen Gründungshintergründe und Motivation des Stifters Hermann Julius Meyer im Nachfolgenden behandelt werden soll. Ferner steht die Erforschung von Wohnstiften allgemein und in Leipzig noch am Anfang, was durch die Arbeiten von Thomas Adam und die Studie von Karina Lau Das bürgerliche Leipziger Stiftungswesen im 19. Jahrhundert (2015) gezeigt werden soll. Die konkrete Frage nach der Motivation Hermann Julius Meyers, einen Wohnstift zu gründen, wurde nicht ausreichend in der Forschung behandelt. Zwar ist die Stiftung zur Erbauung billiger Wohnungen [2] Gegenstand der Stiftungsforschung [3], jedoch wird die Absicht bzw. das Motiv von H.J. Meyer wenig diskutiert. Thomas Adam arbeitet in seinem Aufsatz Stadtbürgerliche Stiftungskultur und die Ausformung sozialer Distinktionen in amerikanischen, deutschen und kanadischen Städten des 19. Jahrhunderts die Motivation Meyers heraus [4], jedoch sehr rudimentär und einseitig. Im Folgenden wird der Leser und die Leserin feststellen, dass es durchaus Kontroversen in der Stiftungsforschung gibt. [5] Aufgrund der fehlenden Präsenz Hermann Julius Meyers in der derzeitigen Geschichtsforschung hat sich der Verfasser mit Primärliteratur, wie  die zweibändige Aufsatzsammlung Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen und Vorschläge zu deren Verbesserung des Vereins für Socialpolitik aus dem Jahre 1886 beschäftigt. Diese zwei Bände sind eine Momentaufnahme der Wohnungsnot in deutschen Großstädten, sowie zeitgenössische Vorschläge zu deren Verbesserung. Das Werk bietet sehr viele Inhalte bezüglich bürgerlicher Wohltätigkeit und  Weltanschauung, was auch unmittelbar mit H.J. Meyer in Verbindung steht. Um sich jedoch der Geisteswelt und eventuellen Motiven Meyers annähern zu können, waren persönliche Schriftzeugnisse erforderlich. Die folgende Arbeit basiert daher auf Quellen aus dem geografischen Archiv des Leibnizinstituts und vor allem aus dem Sächsischen Wirtschaftsarchiv e.V., wo die Stiftung Meyer`sche Häuser ihre Akten archiviert hat. Die vorliegende Arbeit ist so gegliedert, dass von der Makro- in die Mikroebene die Frage nach der Motivation Meyers durchdrungen werden soll. Im konkreten Beispiel werden die bürgerliche Weltanschauung und die Rahmenbedingungen für Wohltätigkeit untersucht. Da von renommierten Historiker/innen bereits eine umfangreiche Analyse bezüglich wohltätiger Motive im 19. Jahrhundert besteht, werden diese im Kapitel 3 zusammengefasst und im Anschluss die Leipziger Situation dargestellt. Im letzten Teil wird versucht, anhand der verwendeten Literatur und Quellen ein Profil von Hermann Julius Meyer zu erstellen und daraus Motive für sein Handeln abgeleitet. Im Fazit wird nochmal die Forschungsarbeit von anderen Historiker/innen zusammengefasst, die eigenen Erkenntnisse zu Meyers Motiven dargestellt und einen Ausblick auf zukünftige Forschungsarbeit gewährt bzw. die Forschungslücken aufgezeigt. 3 Bürgerliche Wohltätigkeit im 19. Jahrhundert In der Forschung werden mittlerweile Begriffe wie Mäzenatentum und Philanthropie voneinander unterschieden. [6] Für diese Arbeit ist es wichtig, dass sich der Verfasser mit sozialer Philanthropie befasst und sich von dem Begriff des Mäzenatentums abgrenzt. Bezüglich der vorangegangenen Begrifflichkeiten aber auch der Gesellschaftsforschung zu Leipzig im 19. Jahrhundert bezieht sich der Verfasser dieser Arbeit zu großen Teilen auf die Arbeiten von Thomas Adam, der sich ausgiebig mit bürgerlicher Wohltätigkeit – sowohl in Europa als auch in Amerika – auseinandergesetzt hat. Ferner gibt es eine Studie zu stadtbürgerlicher Stiftungskultur in Leipzig von Karina Lau, die Adam rezipiert aber einige Aussagen widerlegt. 3.1 Gesetzlicher Rahmen Wohltätiges Handeln und vor allem Stiften hat in den privilegierten Gesellschaftsschichten lange Tradition. Während im Mittelalter und der frühen Neuzeit für das eigene Seelenheil gestiftet wurde, lassen sich für das 19. Jahrhundert differenziertere Absichten ausmachen. Auch die Armenfürsorge war vor der Reformation hauptsächlich kirchlich organisiert und nach Säkularisierung ist sie fortschreitend in den kommunalen und privaten Verantwortungsbereich übergegangen. Im Folgenden wird kommunale Wohlfahrtspraxis betrachtet, da der Verfasser der Meinung ist, dass die private Armenfürsorge und die Motivation dafür mit der kommunalen Entwicklung in Leipzig im Zusammenhang stehen. Die öffentliche Armenpflege in Leipzig lag zwischen 1804 und 1880 in der Hand „patriotischer Männer“. [7] So wurde im Jahre 1803 ein Armendirektorium gegründet, welches ein unabhängiges Kolloquium von Ratsmitgliedern war und eigenständig agieren konnte. [8] Damit geriet die Armenfürsorge in bürgerlich/ständische Hand. Dieses Direktorium erhob wohltätige Spenden zur Bürgerpflicht und verhängte, ohne rechtliche Grundlage, Bußgelder bei Nichtzahlung ohne triftigen Grund. [9] Die Zeit des Vormärz sorgte dafür, dass die Monarchie der Bevölkerung Zugeständnisse machen musste.  Ein weiterer Schritt in Richtung … Weiterlesen

Gespräch mit Experten – Dr. Sacha Szabo zu den Luna-Parks

Dr. Sacha Szabo, Popsoziologe am Institut für Theoriekultur in Freiburg, ist seit langem anerkannter Unterhaltungswissenschaftler. Er promovierte mit einer Arbeit über Jahrmarktsattraktionen und hat seitdem mehrere Publikationen zu anderen Vergnügungswelten veröffentlicht. Er ist einer der führenden Forscher über Festkultur in Deutschland, das ihn zu einem gefragten Experten für Funk und Fernsehen und andere Medien gemacht hat. Herr Szabo, Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Luna Parks. Wie kamen Sie dazu und was hat Sie dazu bewogen, ein Buch darüber zu schreiben? Mein Interesse an den alten Luna Parks entstand durch meine Dissertation als ich mich mit den verschiedenen Festplätzen beschäftigte und bei meiner Recherche auf eine Reihe alter Ansichtskarten von deutschen Luna Parks stieß. Daraus entstand 2008 in Zusammenarbeit mit Claudia Puttkammer ein erstes kleines Büchlein. Unser Interesse galt dabei in erster Linie gar nicht so sehr der Geschichte der einzelnen Parks, die für einige Parks in verschiedenen Monographien bereits aufgearbeitet wurde, wie etwa der schönen Broschüre von dem Bürgerverein Möckern/ Wahren. Wir wollten vielmehr diese untergegangene Vergnügungskultur als Gesamtphänomen abbilden und zeigen, dass die vielen einzelnen Parks Teile einer Gesamtkultur waren. Aus diesem kleinen Buch entwickelte sich dann über die Jahre der große Bildband, der 2018 erschien. Welche Erkenntnisse haben Sie beim Schreiben Ihres Buchs gewinnen können? Es ist eine untergegangene verschwundene und fast vergessene Vergnügungswelt, die einerseits eine europäische Parkkultur mit den aus den USA stammenden Vergnügungsvierteln wie Coney Island verband, und zugleich Impulsgeber für die nach Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entstehenden Freizeitparks wurde. Es zeigt aber auch, wie schnelllebig moderne Massenkultur sein kann, die in dem einen Moment omnipräsent scheint und bereits im nächsten fast spurlos verschwunden ist. Welche Idee stand hinter dem ersten Luna Park und wie hat sich das Konzept im Laufe der Zeit entwickelt? Ein Impulsgeber der deutschen Luna Parks ist Coney Island, ein New York vorgelagertes und bis heute bestehendes Vergnügungsviertel. Ab Ende des neunzehnten Jahrhunderts siedelten sich dort die ersten Vergnügungsparks an. Das Besondere war, dass zeitweilig mehrere Parks nebeneinander existierten und sich durch die gegenseitige Konkurrenz überboten. Dies setzte eine Kettenreaktion des Vergnügens in Gang, so dass dieser Ort zum Nukleus moderner Vergnügungskultur wurde. Aber Coney Island war nur ein Einfluss, ein weiterer ist in der europäischen Parkkultur zu finden, da viele der adligen Lustgärten im Beginn der Neuzeit nicht mehr nur ein exklusives adliges Vergnügen waren, sondern auch für das „gemeine“ Volk geöffnet wurden. Dies wird in den Luna Parks insofern sichtbar, als dass die Attraktionen nicht so dichtgedrängt wie auf Coney Island angeordnet waren, sondern großzügiger mit dem verfügbaren Raum umgegangen wurde. Welche Rolle spielten die Luna Parks im Stadtbild und haben sich diese Standorte im Laufe der Zeit verändert? Die Luna Parks entstanden häufig aus größeren Ausflugslokalen mit eigenen Parkanlagen, die am Stadtrand angesiedelt waren. Diese erweiterten nach und nach ihr Angebot um technische Attraktionen, wie etwa eine Berg- und Talbahn, also eine Art Holzachterbahn, die zudem noch in eine Kulisse integriert war. Der Höhepunkt dieser Vergnügungsorte war im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei bereits der Erste Weltkrieg eine Zäsur war und die Weltwirtschaftskrise für viele Parks, die zudem auch unter der Konkurrenz der boomenden städtischen Angebote litten, das Aus bedeutete. Geblieben ist von den Parks wenig, manchmal ein Straßenschild, manchmal noch Gebäude wie in Leipzig, manchmal auch nur die Erinnerung und eine große Zahl Ansichtskarten. Welche Bedeutung hatten die Luna Parks für die Gesellschaft? Die Luna Parks waren eine Gegenwelt in der der Alltag nicht nur verdrängt, sondern vergessen werden konnte. Spannend ist dabei, dass die Gestaltung häufig mit einer idealisierten Naturidylle spielte, als ein Gegenentwurf zur urbanen und industrialisierten Moderne. Aber das, was wir heute mit einem Ausflug in die Natur verbinden, also Entschleunigung, Stille und Kontemplation, nicht realisierte, sondern im Gegenteil, die Luna Parks waren ein rauschhaftes Abenteuerland. Viele Vergnügungsangebote, die später ein Teil der städtischen Unterhaltungsbranche waren, wurden hier häufig erstmals einem breiten Publikum dauerhaft präsentiert. Aber das Abenteuer bezog sich nicht allein nur auf die technischen Attraktionen, es war auch ein Ort amouröser Abenteuer. Denn die Parks boten viele gute Möglichkeiten jemanden, etwa beim Tanz kennen zu lernen und dann eine aufregende gemeinsame Zeit zu verbringen. Was unterscheidet die Luna Parks von den heutigen Kleinmessen? Die Unterhaltungsangebote! In allen Parks war das gastronomische Angebot deutlich größer als auf einer Kirmes. Gastronomie bedeutet dabei nicht Verpflegungsstände, sondern vor allem Vergnügungsorte. Speisesäle, Tanzsäle und Ballsäle bildeten die Zentren und die Attraktionen ergänzten dieses Angebot, oder intensivierten es vielmehr. So dass man, nachdem man sich beim Tanzen kennengelernt hat, die aufkommenden Gefühle bei der Fahrt auf der Berg- und Talbahn intensivieren und diese dann den Blicken entzogen in der Zweisamkeit einer nächtlichen Bootsfahrt vertiefen konnte. Welche Erkenntnisse haben Sie über die Luna-Parks, die es in Leipzig gab? Es gab in Leipzig drei Parks. Neben dem großen in Leipzig-Wahren, noch die Parks in Meusdorf und Böhlitz-Ehrenberg. Letzterer wirkt auf den alten Ansichtskarten mehr wie eine Großgastronomie mit verschiedenen Tanzsälen. Der Park in Meusdorf entwickelte sich aus einem Ausflugslokal, das im Rahmen des Jubiläums der Völkerschlacht großen Zuspruch erhielt, zwar wurde auch dieser Park um einige Attraktionen wie etwa einem Diorama und vor allem einem Aussichtsturm erweitert, aber insgesamt wirkt dieser Park im Vergleich mit dem Park in Leipzig Wahren, eher wie eine Erlebnisgastronomie. Von den Parks ragt für mich der Park in Leipzig-Wahren auf eine besondere Art heraus. Nicht allein wegen seiner Attraktionen, die es vergleichbar auch in anderen Parks gab, sondern weil er an diesem riesigen See angelegt wurde und mit diesem auch selbstbewusst warb. An diesem See zeigte sich eine Badekultur, zumal dieser bereits Heimat von Sport- und Schwimmvereinen war, die auf den Abbildungen der anderen Parks so nicht sichtbar wird und an die Seebäder in Blackpool und natürlich auch auf Coney Island erinnert. Badespaß als Vergnügungsangebot, Schwimmen als Attraktion, das ist, was für mich den Leipziger Park in Wahren im Vergleich zu den anderen Luna Parks auszeichnet. Er wirkt in der Rückschau wie ein früher Urahn der heutigen Badewelten und Erlebnisbäder. Mehr Informationen erfahren Sie in meinem Buch. Aktuelles: www.sacha-szabo.de, www.institut-theoriekultur.de

Gespräch mit Experten – Michael Liebmann zum Brandvorwerk

Michael Liebmann hat mit seinen Recherchen über das Leipziger Brandvorwerk die Geschichte eines nahezu vergessenen Ortes wieder zum Leben erweckt und ein gut lesbares Buch geschrieben, das auf Grundlage akribischer Archivrecherche qualitative Maßstäbe zur Erforschung der Stadtgeschichte setzt. Dabei stellte er unter anderem heraus, wie die Besitzer des Vorwerks über die Jahrhunderte hinweg mit den Rechten und Privilegien jonglierten, wie der Ort mit der Siedlungsgeschichte und den Calvinistensturm in Leipzig verknüpft ist. Er verdeutlicht anschaulich, welchen Anteil das Brandvorwerk für die Entwicklung der heutigen Südvorstadt hatte. Empfehlenswert nicht nur für Geschichtsinteressierte, sondern für alle, die die Vergangenheit anhand historischer Quellen aus einer anderen Perspektive entdecken wollen. Herr Liebmann, Sie haben sich mit der Geschichte des Brandvorwerks in Leipzig beschäftigt und ein Buch geschrieben. Wie kamen Sie dazu, was hat Sie dazu bewogen, zur Lokalgeschichte zu forschen? Von Hause aus bin ich Gymnasiallehrer für Geschichte, Politik und Deutsch, arbeite aber seit nunmehr 15 Jahren als freier Autor, schreibe Fachartikel und Sachbücher und arbeite aktiv im Bürgerverein Pro Leipzig e.V. mit. In meinen Texten geht es meist um die Vorgeschichte nach Leipzig eingemeindeter Orte. Meiner Meinung nach lag das Hauptaugenmerk der Geschichtswissenschaft früher etwas zu sehr auf Alt-Leipzig. Dies ist natürlich nachvollziehbar und generiert auch eine größere Leserschaft. Aber die Historie der im 19. und 20. Jahrhundert angeschlossenen Gemeinden kam mir da zu kurz, steht erst seit den Forschungen zur vierbändigen Stadtgeschichte um 2015 mehr im Fokus. Das begrüße ich sehr, denn was gibt es Spannenderes, als den Kontrast von Stadt und Dorf zu beschreiben und die komplexen Stadt-Vorort-Beziehungen zu erforschen? Jemand, der in Böhlitz-Ehrenberg wohnt, hat doch ein ganz anderes Leipzig-Bild als ein Innenstädter. Die Leipziger Identität ist doch die Summe der Erfahrungen aller Bürgerinnen und Bürger – ob sie im Zentrum wohnen oder in der Peripherie. Das ist es, was mich interessiert. Der Marktplatz dagegen ist schon tausendmal beschrieben und bebildert. Ihr Buch widmet sich dem Brandvorwerk und den Anfängen der Leipziger Südvorstadt. Könnten Sie uns einen Einblick in die Entstehungsgeschichte geben und erklären, was Sie dazu inspiriert hat? Als ich 2008 nach vier Jahrzehnten Abwesenheit in meine Geburtsstadt Leipzig zurückzog, verschlug es mich in die Südvorstadt. Und weil ich den inneren Drang habe, von jedem Ort, an dem ich mich länger als eine Stunde aufhalte, auch die Historie zu erkunden, war es natürlich ganz selbstverständlich, mich auch mit meinem direkten Wohnumfeld zu beschäftigen. Da kam ich dann auch an einem Schild mit dem Namen „Brandvorwerkstraße“ nicht vorbei. Eine Straße, die nach einem Vorwerk benannt ist? Das klang interessant. Darüber wollte ich mehr erfahren. Aber die Suche nach Informationen in der einschlägigen Literatur enttäuschte: Das Brandvorwerk kam nirgends vor oder wurde nur in knappen Fußnoten abgetan. Ich habe mich damals dort sogar einen Samstag-Nachmittag an eine Straßenecke gestellt und über 60 Passanten gefragt, was es mit diesem Vorwerk auf sich hat. Nur einer konnte mir grob eine Antwort geben. Da dachte ich: Okay, muss ich das eben selber machen. Das Brandvorwerk ist vielen Menschen heute weniger bekannt. Könnten Sie uns kurz erläutern, warum der Ort in der Geschichte Leipzigs eine bedeutende Rolle spielte? Gab es mehrere dieser Orte? Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nannte man einen landwirtschaftlichen Gutshof, der sich außerhalb einer Burg oder Befestigungsanlage befand, ein Vorwerk. Und weil das Wort Bürger von Burg kommt, bezeichneten die Leipziger die ihnen gehörigen Gutshöfe vor den Toren der Stadt ebenfalls als Vorwerke. Davon gab es allerdings mehrere, diesbezüglich war das Brandvorwerk nichts Besonderes. Außergewöhnlich – und heute fast vergessen – ist allerdings der Fakt, dass dieser Gutshof den Großteil der Flur eines wüst gefallenen Dorfes besetzte. Dieses einst von den Slawen gegründete und wohl Ende des 14. Jahrhunderts verlassene Lusitz ist heute noch weniger Leuten bekannt als das Brandvorwerk – an diesen Leipziger Vorort erinnert nicht einmal ein Straßenname. Und doch handelt es sich dabei um die historische Wurzel der heutigen Südvorstadt. Die umfasst heute ein Gebiet von etwa 2,5 km2, aber im Hochmittelalter war die Lusitzer Gemarkung sogar 3,2 km2 groß. Das bedeutet, dass sich Leipzig und Connewitz Teile davon einverleibt haben müssen, nachdem die letzten Lusitzer Bauern ihr Dorf verlassen hatten. Land und Leute gehörten übrigens seit Mitte des 13. Jahrhunderts dem Leipziger Nonnenkloster St. Georg. Dazu zählte auch eine Wassermühle, die in etwa dort stand, wo sich heute der kleine Dürrplatz befindet: westlich der Kreuzung Wundt- und Kurt-Eisner-Straße. Das Kloster seinerseits stand im Schatten der Pleißenburg und also fast zwei Kilometer nördlich der Mühle. Deshalb baten die Nonnen den Landesherrn und die Stadt im Jahr 1287, den Pleißemühlgraben bis nach Lusitz zu verlängern und die Mühle direkt ans Kloster versetzen zu dürfen. Die Nonnenmühle existierte dann dort, vis a vis der Pleißenburg, noch bis 1890. Den Pleißemühlgraben gibt es, teils verrohrt, teils wieder geöffnet, noch heute. Von seiner Verbindung mit Lusitz wissen nur wenige. Im Übrigen haben die Georgennonnen dann im 15. Jahrhundert auf der verlassenen Lusitzer Flur eine Schäferei eingerichtet. Seitdem besetzte also ein Vorwerk eine Dorfgemarkung. Ein solches Rechtskonstrukt gab es auch im wüst gefallenen Pfaffendorf, auf dessen Flur sich heute der Leipziger Zoo ausbreitet. Ihre Forschung basiert auf umfangreichen Archivrecherchen. Könnten Sie uns etwas über die Quellen und Materialien erzählen, auf die Sie während Ihrer Arbeit gestoßen sind und wie Sie diese genutzt haben? Als ich wegen des Buches den Sommer 2011 im Stadtarchiv und Staatsarchiv verbrachte, war die Quellensuche noch viel beschwerlicher als heute. Die Aktentitel waren noch nicht digital eingepflegt. Man konnte nicht einfach „Brandvorwerk“ in eine Suchmaschine eingeben und die vorhandenen Titel einsehen. Stattdessen galt es, dutzende handgeschriebene Katalogbücher auf Hinweise zu durchforsten. Das gestaltete sich schwierig, weil die Findmittel im Stadtarchiv und im Stadtgeschichtlichen Museum nach Stadtteilen geordnet waren – und da kam „Brandvorwerk“ gar nicht vor. Der Ort war derart in Vergessenheit geraten, dass ihn nicht einmal die Archivare auf dem Zettel hatten. Ich musste also mühselig sämtliche Akten auf Verdacht anfordern und durchsehen, die irgendwie das Wort Vorwerk beinhalteten. Eine Sisyphusarbeit. Heutzutage sind die Archive viel benutzerfreundlicher. Da braucht man nur noch das Schlagwort Brandvorwerk eingeben … Weiterlesen

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