Aus der Presse – Geschichtliches über den Kuhturm

Es wird gewiß Manchem willkommen sein, über die Vergangenheit des Kuhthurm-Grundstückes, das gegenwärtig zu dem so herrlichen Gartenbau-Ausstellungsplatz verwandelt ist und später voraussichtlich den geplanten Leipziger Palmen-Garten aufnehmen wird, aus dem Nachstehenden sich unterrichten zu können. Jahrhunderte alte Nachrichten erzählen, daß auf der Stelle, wo sich jetzt der Kuhthurm befindet, in frühester Zeit ein von dichter Waldung umgebener slawischer Opferaltar stand, der mit Niederwerfung der heidnischen Bevölkerung, also im 11. Jahrhundert, verschwunden sei. Gegenüber dieser nicht ganz sicheren Ueberlieferung läßt sich dagegen mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß um diese Zeit der Kuhthurm erbaut worden ist. Die Sieger hatten nach Besiegung der Slawen und Zerstörung ihrer Niederlassung Lipzk unfern derselben eine Stadt, unser jetziges Leipzig, gebaut, wo neben lebhaftem Handel und Wandel auch viel Ackerbau getrieben wurde. Die Folge war zunächst eine bessere und nähere Verbindung mit einer der Heerstraßen des Reiches, welche damals über das bedeutende Schkeuditz führte. So entstand mitten durch Wald und Sumpf hindurch die Verbindungsstraße in der Richtung nach der deutschen Ansiedelung Lindenau und weiterhin bis Merseburg, das mit der Leipziger Klostergeistlichkeit in engster Verbindung stand. Gleichzeitig wurde durch diese Straßenanlage auch der Zugang nach den Wiesen und Tristen eröffnet, an welchen die östliche und nördliche Umgebung der Stadt so arm war. Auf diesen Wiesen weidete das Vieh der früher zahlreichen Leipziger Stadtgüter noch vor wenig mehr als sechzig Jahren. Um nun diese Viehheerden vor dem Raubritterthum zu wahren, bauten die Leipziger einen festen Thurm zum Aufenthalt von Wachtleuten, der nach außen von der nahe vorüberfließenden Luppe und einem Graben abgeschlossen war. Ihren jetzigen Lauf erhielt die Luppe erst um das Jahr 1830, wobei auch die alte Holzbrücke abgebrochen wurde. Den Thurm nannte man in Betracht des Zweckes die Kuhburg und die nahe Luppenstrecke „das Kuhburger Wasser“. Da nach alter Orthographie die Kuhburg „Coburg“ geschrieben wurde, so hat sich für die Luppe der Name „Coburger Wasser“ bis heute erhalten. Mit dem 15. Jahrhundert glaubte das zu Macht und Reichthum erblühte Leipzig die Schnapphähne für das weidende Rindvieh der Stadtgüter nicht mehr fürchten zu dürfen und zog die Aufsichtswache zurück, um den Thurm als Forsthaus einzurichten. Der erste Förster, welcher 1533 seinen Amtseid leistete, wird der Kuhthürmer genannt, und so hießen seine Nachfolger noch fast zwei Jahrhunderte hindurch. Der letzte Förster, welcher seine Amtswohnung im Kuhthurm hatte, war der Oberförster Koch, Vater des 1876 verstorbenen Bürgermeisters. Nach des Oberförsters Koch Tode wurde der Kuhthurm an den Gastwirth Schatz in Leipzig verpachtet, welcher ihn in ein Vergnügungsetablissement umwandelte und einen Tanzsalon daselbst errichtete, der eines Tages, glücklicherweise ohne Menschenleben zu gefährden, über den Hausen fiel. Von dieser Zeit an kam das Vergnügungsetablissement in Rückgang, bis man es aufgab und eine landwirthschaftliche Versuchsanstalt daselbst errichtete. Neuerdings, zuerst 1835, wurde der altersgraue Kuhthurm wiederholt modernisirt und renovirt; doch sind die Mauern des Hauptgebäudes und des anstoßenden Thurmes noch die des ältesten Baues. Beachtenswerth ist auch das unter den alten herrlichen Linden im Garten aufgestellte steinerne Becken, welches von vielen Leuten für einen heidnischen Opferstein gehalten wird. In Wahrheit ist es aber ein christlicher Taufstein, allerdings aus frühester Zeit, der im vorigen Jahrhundert bei dem eine halbe Stunde entfernt gelegenen Dorfe Schönau in der Erde gefunden und hier aufgestellt wurde. Wahrscheinlich entstammt der Taufstein der Kirche eines dort gestandenen Dorfes, das wie viele andere in Leipzigs Umgebung, in einem Kriege zerstört und nicht wieder aufgebaut worden ist. Die unten im Steine befindliche Oeffnung zum Abfluß des Taufwassers unterstützte die Meinung, es sei ein heidnischer Opferaltar, indem viele glaubten, sie sei zum Abfluß des Blutes der geopferten Thiere und Menschen angebracht worden. Dieses seit vor fast einem Jahrtausend den verschiedensten Verwendungen dienende Grundstück, eine Fläche von ca. 136 000 qm umfassend, hat der Rath der Stadt Leipzig dem Leipziger Gärtner-Verein zur Veranstaltung der Internationalen Jubiläums-Gartenbau-Ausstellung zur Verfügung gestellt. Geschichtliches über den Kuhturm, in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Sonntagausgabe. 2. Beilage vom 27. August 1893, S. 6007.

Ein Rundgang durch das Kneipenviertel der STIGA

Ein großes Ereignis wie die STIGA erforderte von allen Beteiligten Ausdauer, Mut und Engagement. Hohe Besucherzahlen waren bei Gewerbeausstellungen keineswegs garantiert. Während beispielsweise die Berliner rund 50.000 Tagesbesucher verzeichneten, kamen die Dresdner im gleichen Jahr lediglich auf 15.000 Besucher. Es gab zwar keinen verlässlichen Richtwert, aber die Veranstalter in Leipzig erwarteten nicht weniger Besucher. Zumindest war das ihre Erwartungshaltung. Trotzdem hatten die Berliner mit anhaltend schlechtem Wetter zum Ende ihrer Ausstellung zu kämpfen, was sich verheerend auf ihre Besucherzahlen auswirkte. Der Erfolg einer Open-Air-Veranstaltung hing also maßgeblich vom Wetter ab. Keine Attraktion der Welt konnte das ändern, und auch die Leipziger hatten keinen Einfluss auf das Wetter. Es galt also, Kosten und Nutzen sorgfältig abzuwägen. Das erklärte Ziel war es, allen Besuchern einen attraktiven und bezahlbaren Aufenthalt zu bieten, um sie zu motivieren, den Ausstellungspark mehrmals zu besuchen. Neben den Leistungsschauen und gärtnerischen Kunstwerken spielte auch die Verköstigung mit landestypischen Speisen und Getränken eine wichtige Rolle. Das große Gelände bot viel Raum für Gastwirtschaften aller Art und vielfältige Folklore, nicht nur für kostspielige Inszenierungen und noch nie dagewesene Effekte. Rund um den großen Teich im Herzen des Ausstellungsparks entstanden zwölf repräsentative Gastwirtschaften im Stil verschiedener Länder und Regionen. Darüber hinaus wurden im Thüringer Dorf und in der Alt-Leipzig-Nachbildung weitere fünf Gastwirtschaften errichtet, die das Thema der Ausstellung widerspiegelten. Zusätzlich waren dezentrale Ausschänke in den Gebäuden und auf dem Vergnügungsparkgelände vorgesehen. Die Vergabe der Pacht erfolgte nicht mehr an den Meistbietenden, sondern gegen eine niedrige Pachtsumme und eine Umsatzpacht auf die verkauften Getränke. Angesichts der Wetterabhängigkeit und der Unwägbarkeiten beschlossen die Verantwortlichen, das unternehmerische Risiko zwischen Pächtern und Verpächtern aufzuteilen. Dieses Prinzip hatte bei früheren Ausstellungen keinen hohen Stellenwert, aber diesmal lag der Fokus darauf, im Interesse der Pächter zu handeln. Die Pächter waren verpflichtet, ortsübliche Preise festzulegen, um den Besuchern einen erschwinglichen Aufenthalt zu ermöglichen. Dies führte auch zu einem erhöhten Wettbewerbsdruck mit anderen Lokalitäten in der nahegelegenen Innenstadt. Die Überlebensfähigkeit aller Gastwirtschaften stand im Vordergrund, weshalb ihre Anzahl auf dem Gelände begrenzt wurde, auch wenn die Zahl der Besucher an Wochenenden so hoch sein würde, dass alle Lokale überfüllt waren. Der Erfolg hing von der guten Leistung aller Parteien ab. [1] Für die Besucher bot sich ein lohnender Rundgang durch das Kneipenviertel. Der eigentliche Eingang befand sich zwar hinter dem Teich im Süden, aber schon entlang der König-Albert-Allee begann die Gastromeile. Dort stand die Hauptgastwirtschaft im Jugendstil an einem Ufer des großen Teichs. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte der von vier Kuppeln gekrönte Bau des Wiener Cafés empor. An den schattigen Veranden und luftigen Terrassen beider Wirtschaften befanden sich zudem zwei kleinere Musikpavillons, von denen aus die Gäste einen freien Blick auf das bunte Treiben einer fröhlichen Menge hatten. Neben einer Nachbildung der Wartburg, die nicht nur einen Bergfried und andere originalgetreue Elemente bot, sondern auch einer der zwei Gastwirtschaften der Kulmbacher Exportbrauerei beherbergte, gab es entlang des Geländes eine Vielzahl verschiedener Gastwirtschaften um einen großen Musikpavillon herum. Dazu gehörten unter anderem die Bierstube der Leipziger Bierbrauerei Riebeck & Co. AG, der Kapellenbau vom Nürnberger Bratwurstglöckle, das Brauhaus „Zum Pilsner“, der Hallenbau der Dampfbrauerei Zwenkau, die Bierhalle „Zum Feldschlösschen“, das Kaffee-Haus zum Rothenburger Erker, das Weinrestaurant „Zum Dürkheimer“ in einer Burgruine und die italienische Weinbar „Aqua sola“. [2] Hier konnte man das Erlebte großschreiben und in vollen Zügen genießen. Auf dem großen Teich befand sich eine riesige Leuchtfontäne im Zentrum, deren imposante Wasserstrahlen aus allen Richtungen zu sehen waren. Neue Apparate ermöglichten beeindruckende mehrfarbige Lichteffekte mit vielen Scheinwerfern und erzeugten bis zu 40 Meter hohe Ringstrahlen. Am Abend erstrahlten sie abwechselnd in allen Farben des Regenbogens. Eine solch große und beeindruckende Leuchtfontäne hatte es weder auf der Pariser- noch auf der Berliner Ausstellung oder anderen Weltausstellungen zuvor gegeben. [3] Weitere Illuminationen boten ein regelmäßiges Farbspiel wie aus Tausend und einer Nacht. Eine erste Illumination nach der Eröffnung der STIGA zog tausende Gäste in ihren Bann. Rund um die Bordkappen der Teiche wurden Tausende von Kerzen (mind. 20.000) in mehreren Reihen angebracht. Tausende Girlanden aus bunten Lampions säumten die Allee, und Lämpchen in grünen und gelben Gläsern schmückten die Blumenbeete und Rasenflächen. Zeitzeugen beschrieben die Szenerie als fröhliches Vergnügen mit einer jubelnden Menge. Aber das ist eine andere Geschichte. [1] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung Sonderausgabe im Oktober 1896. Zur Verpflegungsfrage, S. 104 f. [2] Vgl. Offizieller Führer der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897, S. 90-94. [3] Vgl. StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung 29. August 1896. Von unserer Ausstellung S. 54. © 2022 is licensed under CC BY-NC-SA 4.0 Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Von der Vision einer Weltausstellung in Sachsen

Die Idee für eine internationale Ausstellung in Leipzig kam 1893 aus einem Kreis von Leipziger Gastwirten und Hoteliers an die Leipziger Handelskammer. Ein nationales Ereignis mit großer Ausstrahlungskraft für die alte Handels- und neu aufstrebende Industriestadt sollte es werden, am besten eine Weltausstellung. An den Erfolg glaubte die Handelskammer (noch) nicht und befürwortete höchstens eine lokale Gewerbeausstellung. Schließlich befand man sich in einer schwierigen Zeit. Aufgrund der Cholera wurde 1892 die Leipziger Michaelis-Messe abgesagt. Eine Katastrophe für alle Beteiligten. Zu jener Zeit war die Infektionskrankheit eine neuartige Epidemie, die sich durch verunreinigtes Trinkwasser und infizierte Nahrung schnell über die Grenzen hinaus übertragen hat. Die gesundheitlichen Sorgen waren berechtigt, der Gewerbe- und Messestandort in der Krise. [1] Eine Gruppe von Gewerbetreibenden um den Kaufmann und Stadtverordneten Blanke propagierte vielleicht auch deswegen die Idee einer größeren Gewerbeausstellung. Hinzu kam, dass Sachsen keine solche Ausstellung seit langer Zeit veranstaltet hatte. Nach intensiven Verhandlungen einigten sich die verschiedenen Interessengruppen mit der Stadt auf die Durchführung einer erweiterten Sächsischen Landesausstellung. Neben dem Königreich Sachsen sollte die Umsetzung gemeinsam mit den sieben Thüringischen Staaten gelingen (Herzogtümer Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha sowie Sachsen-Meiningen, die Fürstentümer ältere und jüngere Linie zu Reuß, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen). Zugleich befürwortete man die Teilnahme anderer Staaten (der preußischen Provinz Sachsen, des Herzogtums Anhalt, den preußischen Regierungsbezirk Liegnitz, der Mark Brandenburg ohne Berlin und die drei fränkischen Kreise Bayerns). Der Ausstellerkreis sollte über die mitteldeutsche Region hinausgehen. Das erklärte Ziel war es, verstärkt kleine- und mittelständische Unternehmen miteinzubeziehen und zu fördern. Ebenso war beabsichtigt, die Synergien einer Messe in beide Richtungen mitzudenken und die Ausstellungsdauer so zu gestalten, dass Frühjahrs- und Herbstmesse parallel partizipieren können. [2] Schließlich wurde das Ausstellungsjahr 1897 bewusst ausgewählt. In diesem Jahr gab es deutschlandweit keine Konkurrenz zu anderen Ausstellungen. Passend dazu war es ein 400-jähriges Jubiläumsjahr der kaiserlichen Verleihung des Messeprivilegs an Leipzig. Man konnte das Jubiläum angemessen dafür einsetzen, um die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (Länderausstellung) in ihrer überregionalen Bedeutung aufzuwerten. Denn „Ehre, wem Ehre gebührt“ – Kaiser Maximilian hatte 1497 mit der Verleihung des Messeprivilegs schließlich die Grundlage für das Wachstum und das große Ansehen Leipzigs als Handels- und Messestadt gelegt. Die Fürsprecher bekamen 1894 durch eine Umfrage viel Rückenwind. Über 80 Prozent der befragten Wirtschafts- und Industriekreise in Sachsen und Thüringen befürworteten das Vorhaben. König Albert von Sachsen übernahm daraufhin höchst selbst die Schirmherrschaft und verlieh dem ambitionierten Vorhaben 1895 königliche Relevanz und Legitimation. Daneben bildeten sich eine Reihe von Fachausschüssen und Komitees. Es gab ein Ehrenpräsidium, dem der Leipziger OBM Dr. Georgi und auch die Vorsitzenden der Handelskammer und Gewerbekammer sowie bedeutende Staatsminister angehörten, und ein Ehrenkomitee mit Mitgliedern aus Botschaften europäischer und amerikanischer Staaten etc. [3] Die Direktion übernahm der Rechtsanwalt Dr. Küstner. Ihm zur Seite standen ein geschäftsführender Ausschuss aus den so genannten „besten Kreisen der Stadt“ – Stadtrat Dodel (1. Vorsitzender), Kgl. Kommerzienrat Mey und Fabrikbesitzer Sening (stellv. Vorsitzende), Justizrat Dr. Colditz, Stadtrat Ehmig, Kgl. Kommerzienrat Kirchner, Bankdirektor Dr. Messerschmidt (Stadtrat a. D.), Stadtrat Dr. Schanz und Fabrikbesitzer Waselewsky. Die Finanzierung organisierte sich über einen von der Deutschen Kreditanstalt und der Leipziger Bank aufgelegten Garantiefond. An ihm beteiligten sich die Leipziger Bürger mit Garantiescheinen in Höhe von etwa 1.750.000 Mark. Die städtischen Behörden übernahmen ebenfalls Garantiescheine im Wert von 250.000 Mark. Weitere 80.000 Mark kamen aus der Grassi-Stiftung dazu. [4] Das Gelände am Scheibenholz und Johannapark Die Stadtverwaltung beteiligte sich, nicht nur mit Garantiescheinen, sondern überließ der zukünftigen Bauleitung 1895 auch eine rund 40 ha große Weide- und Wiesenfläche am Elsterflutbett. Das sumpfige Gelände lag nahe dem reich geschmückten Villen-Viertel am Johannapark in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Nicht ohne Grund, denn die Stadtverordneten stimmten diesem Vorschlag zu, auch deshalb, weil dieses Areal nach Ende der Ausstellung als Stadtpark einen bleibenden Charakter einnehmen sollte. Es war ein gleichmäßiges Gelände, das hier und da etwas abfällt. Anstelle holpriger Wege und tiefgelegenen Wiesen traten festgebaute Straßen, üppige Promenadenwege und glitzernde Wasserflächen. Eine breite Brücke über das Elsterflutbett verbindet die innere Stadt noch heute mit ihren westlichen Vororten und feste Dämme schützen auf alle Zeiten gegen jedes Hochwasser, den Masterplan dazu erarbeitete Arwed Rossbach. [5] „Wenn dann nach einem Jahre voll Glanz und Jubel und Triumph die stolzen Paläste gesunken und dem Erdboden gleichgemacht sein werden und keine hindernde Schranke mehr den freien Zutritt wehrt, wenn Jung und Alt, Arm und Reich sich in den herrlichen Anlagen ergeht, um fern und doch nah bei der Stadt geschäftigem Getriebe in freier, frischer Luft Erquickung zu suchen, dann wird die Erinnerung an die Ausstellung, die Schöpferin dieses zum Gemeingut gewordenen Erholungsplatzes, neu aufleben in den Herzen der genießenden Bürger und man wird dankbar preisen ihr Vermächtnis – das Gebliebene.“ Leipziger Ausstellungszeitung Nr. 101, 1. November 1896. Mit Kosten in Höhe von etwa 530.000 Mark legte man das Gelände weitgehend trocken. Es entstanden Schleusenbauten, Brücken, Teiche, Gärten und eine eigene Strom- und Wasserversorgung. Der Ausstellungspark wurde in bevorzugter Weise an die städtische Straßenbahn und Sächsische Staatsbahn angebunden. Nach Zustimmung des Stadtrates lobte die Stadt 1895 einen Architekturwettbewerb aus. Am Ende des Wettbewerbs stand ein Konsortium aus ausgewählten Architekten, die den Bau der einzelnen Ausstellungsbereiche gemeinsam planten und beaufsichtigten. Die Juroren waren u.a. der Erbauer des Berliner Reichstages Wallott und der Leipziger Stadtbaurat Licht. Nach zwei Jahren Bauzeit präsentierte sich ein neuer Stadtteil. [6] Die STIGA war vom 24. April bis zum 19. Oktober 1897 mit insgesamt 3.027 Ausstellern die in diesem Jahr einzig große Ausstellung in Deutschland. Herausragende Staatsgäste kamen zur feierlichen und festlich geschmückten Eröffnung auf Einladung der Sächsischen Königsfamilie. Doch das ist eine andere Geschichte. [1] StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 2, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Leipziger Ausstellungszeitung Nr. 133 vom 24. April 1897. Wie die Ausstellung ward, S. 351. [2] Vgl. Hochmuth, Enrico 2012: Industrie- und Gewerbeausstellungen in Sachsen 1824-1914. Ihr Beitrag zur kommunalen und regionalen Standortbildung, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Sachsens Band 9, S. 66 f. [3] StadtAL, Kap. 75 A Nr. 33 Bd. 1, Die Industrie und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: … Weiterlesen

Ein Blick in die Literatur – STIGA in Leipzig

Die Ausstellungen, die ihren Ursprung den Museen verdanken, traten das erste Mal in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die Erscheinung. Sie haben sich seitdem zu einer Institution herausgebildet, die uns jetzt ein geradezu unentbehrliches Bedürfnis dünkt und unserer Zeit ihren eigenartigen Stempel unverkennbar aufdrückt, so daß wir das neunzehnte Jahrhundert das Zeitalter der Ausstellungen nennen könnten. Nachdem das Ausstellungstreiben vergangenes Jahr im Norden und Süden seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, pulsiert es heuer besonders lebhaft mitten im Herzen Deutschlands – in Leipzig. Die Pleißestadt ist durch ihre Bedeutung als alte Handelsempore und durch die centrale Lage im Reiche wie kein anderer Platz geeignet, den Industrie- und Gewerbefleiß der arbeitsamen Bevölkerung Mitteldeutschlands in einem großartigen Gesamtbilde der Welt vorzuführen, und der Aufruf Leipzigs zur Veranstaltung eines friedlichen Wettbewerbs innerhalb seiner Mauern verhallte denn auch nicht ungehört. Das ursprünglich in beschränkterem Rahmen schon für das Jahr 1895 geplante Unternehmen wurde aufgeschoben, wuchs sich aus und gestaltete sich nun zu einer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Ausstellung, an der nicht allein das Königreich Sachsen und die Thüringischen Staaten, sondern auch das Herzogtum Anhalt, die preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg (mit Ausnahme Berlins), der Regierungsbezirk Liegnitz von Schlesien und die drei fränkischen Kreise Bayerns beteiligt sind. Wie die Ausstellungen von jeher gern an ein geschichtlich wichtiges Ereignis anknüpften so ist auch die Leipziger Ausstellung in Erinnerung an das Jahr 1497, in dem die bedeutungsvolle Einrichtung der Leipziger Messen von Kaiser Maximilian I. bestätigt und konfirmiert wurde, ins Leben gerufen worden. Die Ausstellung, welche am 24. April dieses Jahres in Anwesenheit des Königs Albert von Sachsen feierlichst eröffnet wurde, hat ihren Platz im westlichen Teile der Stadt auf den zwischen Karl Tauchnitz- und Bismarckstraße sich hinziehenden Parkwiesen erhalten. Sie ist also für den Besucher leicht erreichbar, dem überdies durch elektrische Bahnen jederzeit die schnellste Fahrgelegenheit nach allen Himmelsrichtungen geboten wird. Treten wir durch das von zwei hohen Obelisken flankierte Hauptthor in den Ausstellungspark ein, dessen Fläche 400 000 qm umfaßt, so wird uns ein überraschend schöner Anblick zu teil. Vor uns dehnt sich eine überaus reizvolle Landschaft aus. Inmitten herrlicher Anpflanzungen liegt ein blinkender Weiher eingebettet, der von Schwänen belebt und von zierlichen Statuen umrahmt ist, und im Hintergrunde ist das imposante Hauptgebäude sichtbar, das wie ein weißes Schloß zu uns herübergrüßt. Das ist unser Ziel. Wir schreiten die um das Wasser führende breite Lindenallee entlang, die sich durch prächtige Gartenanlagen hinzieht, in denen Kioske und Tempelchen malerisch verstreut liegen, und gelangen über die Flutkanalbrücke, die mit Statuen geschmückt ist, welche Sachsen und Thüringen, Industrie und Gewerbe verkörpern, bis vor das mächtige Hauptgebäude. Dicht vor demselben ist ein Reiterstandbild des Protektors der Ausstellung, König Alberts von Sachsen, errichtet. Das in Renaissancestil gehaltene Bauwerk selbst, das samt der mit ihm vereinigten Maschinenhalle einen Flächenraum von über 40 000 qm einnimmt, ist mit einer Anzahl kleiner Türmchen geziert und zeigt vor der Front die von Säulen getragenen allegorischen Figuren der Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz und Erfurt. Wir begeben uns durch das mittelste der drei Portale in den hochgewölbten Kuppelbau, dessen Decken- und Wandmalerei einen hübschen Gedanken zum Ausdruck bringt. Vier mächtige Eichbäume, deren Zweige Putten mit den bezüglichen Attributen beleben, sollen die einzelnen Gewerbarten darstellen. Sie wachsen an den Wänden zur Decke empor, an der sich ihre Laubkronen zur Umkränzung des Symbols der Industrie, eines großen Zahnrades mit dem sächsischen Wappen, vereinen. An der dem Eingang gegenüberliegenden Galeriewand ist eine Orgel aufgestellt und auch im übrigen haben hier besonders wirksam gruppierte und ins Auge fallende Gegenstände Platz gefunden. In einem der nächsten Räume nimmt die Ausstellung des Buchgewerbes ihren Anfang, als deren mächtigste Vertreterin Leipzig obenan steht. Die Halle, in deren Mitte sich die Statue Gutenbergs erhebt, und von deren Wänden die Riesenbilder der vier Evangelisten herabgrüßen, ist mit düsterer Holzdecke ausgestattet und mutet wie eine Klosterbibliothek an. Hier hat auch die Verlagshandlung unseres Blattes ausgestellt. In dem Bestreben, ihrem Platz ein gefälliges Aussehen zu verleihen, ist sie aus begreiflichen Gründen auf den Gedanken gekommen, ihn mit einer grün umrankten Gartenlaube zu umgeben. Hier finden wir sämtliche Jahrgänge der „Gartenlaube“, die seit ihrer Gründung durch Ernst Keil im Jahre 1853 erschienen sind, in stattlicher Reihe aufgestellt. Ein charakteristisches Bild Ernst Keils schmückt die Mittelwand der Laube und die übrige Wandfläche bedecken Originalbilder von berühmter Künstlerhand. Nebenan hat sich das graphische Gewerbe niedergelassen, das uns unter anderem den Dreifarbendruck praktisch vorführt und dem sich die photographischen Künste, die Papierfabrikation und sämtliche andere verwandte Geschäftszweige anschließen. Ein interessantes Bild gewährt der Raum, in dem uns klargemacht wird, welche große Bedeutung die Chemie für die Industrie gewonnen hat. Denken wir nur an das kleine Zündholz, dessen Erzeugung hierher gehört. Welche wichtige Rolle spielt es nicht in unserem Leben! Hat man doch ausgerechnet, daß auf den Kopf der Bevölkerung Deutschlands täglich 6 Zündhölzchen kommen, d. i. bei 52 247 000 Einwohnern also ein Verbrauch von 313 482 000 Stück. Ein hoher Obelisk, der aus Schachteln sogenannter Schwedischer Zündhölzer aufgebaut ist, erinnert zugleich daran, wie segensreich diese deutsche Erfindung wirkt, indem sie die gesundheitsschädliche Herstellung der giftigen Phosphorhölzer immer mehr verdrängt. Gut beschickt ist auch die Abteilung für Musikinstrumente, auf welchem Gebiete sich Klingenthal, Markneukirchen und andere Orte des Vogtlandes einen Weltruf erworben haben, ferner die für Pianofortebau, in dem wieder Leipzig Mustergültiges leistet. Unerreicht in der ganzen Welt steht die Uhrenfabrikation der sächsischen Stadt Glashütte da, die selbst den berühmten Genfer Erzeugnissen gegenüber den Vorzug genießt. Einen bedeutenden Industriezweig Sachsens und Thüringens bildet die Keramik. Allen anderen Städten voran marschiert hier Meißen mit seiner Königlichen Porzellanmanufaktur, die zahlreiche künstlerische Erzeugnisse aufgestellt hat. Ferner festigen die Galanterie- und Spielwarenindustrie des Ausstellungsgebietes durch das, was sie herbeigeschafft, die hohe Meinung, die man schon längst überall von ihnen hegt. Einen gewaltigen Eindruck hinterläßt die Gruppe „Berg-und Hüttenwesen“, deren Produkte ganz ausgezeichnete sind. Und auch die anderen Zweige alle sind vertreten und verdienen Anerkennung und vollstes Lob. Hervorragendes Interesse erweckt die Maschinenhalle mit ihren unzähligen großen und kleinen Betrieben. Eisenbahnzüge, die mit allen Ausrüstungen der Neuzeit versehen sind, können wir besteigen und besichtigen. Der Schnellzug mit seinen Brems- und … Weiterlesen

Aus der Presse – Letzte Worte zum Abschied der STIGA

Sechs Monate lang hat der braune Jüngling im grünen Grunde mit der Rechten den Lorbeer emporgehoben, und mit diesem Attribut stolzer Ehrung auf die goldenen Früchte gedeutet, die im Wipfel des Baumes schimmerten. Während die Einen diesen reichen Obstsegen des Placates als den Erfolg ehrlichen, rühmlichen Strebens aus allen auf der Ausstellung vertretenen Gebieten der Industrie und des Gewerbes nunmehr gedeutet wissen wollen, weisen tiefsinnigere Naturen damit den über alles Erwarten reich ausgefallenen Besuch nach, bei dem in der That „kein Apfel zur Erde konnte“. Dir Symboliker beider Anschauungen dürfen und müssen Recht behalten: Ehre und Ruhm wurde allen Betheiligten an dem glanzvollen Werke zu Theil, reger Zufluß von Besuchern aus allen deutschen Gauen und vom Auslande her ließ die Wallfahrt an manchen Tagen zu einem riesigen Umfang anwachsen. Jetzt, wo es an‘s Scheiden geht, überkommt Manchem eine gewisse Wehmuth über das Zerstören, Auflösen, Vergehen eines glänzenden Werkes, welches, das darf man bedingungslos aussprechen, unserer Leipziger Bewohnerschaft so ganz ans Herz gewachsen war und der letzteren ein Semester lang immer den willkommensten und freudigsten Anlaß gegeben hatte, weitesten Kreisen außerhalb der freundlichen Lindenstadt die Schönheit und Gediegenheit ihrer in jeder Beziehung wohlgelungenen Ausstellung bewußt werden zu lassen. Je nach der individuellen Geschmacksrichtung fand zudem dort Jeder seine Rechnung, der eine im ästhetischen Genuß ausgiebige Anschauung Dessen, was Natur, Kunst, Gewerbe und Industrie geschaffen, der andere in der Huldigung des Gedankens, daß neben der Betrachtung, sollte sie eindrucksvoll bleiben, auch der materiellen Stärkung zu ihrem Jahrtausende alten Recht verholfen werde. An Mitteln zur Ausführung dieser Idee hat es wahrlich nicht gefehlt. Am südöstlichen Uferrand des großen Sees von der Stelle an, wo der „Dürkheimer“ den Weg wie ein Raubritter verlegte, um frohe Bacchusjünger zu fangen, bis hin zum „Bratwurst-Glöckli“, dessen letzte Stunde jüngst schon geschlagen, legte sich bogenförmig das Kneipenviertel, der beliebte Treffpunct aller durstigen Seelen. Es war die Mausefalle für Hunderttausende. Wer einmal drin saß, kam nicht wieder heraus. Nun sind auch die Herrlichkeiten aller dieser Stätten im Schwinden. Es wird die Facade des freundlichen „Tucherbräu“ mit der gemalten Mohrenkopfmarke in Trümmer sinken, es wird der von der Leipziger Damenwelt in täglichem Ansturm seiner Küchenbuffets genommene „Rothenburger Erker“, den Stunde für Stunde schrille Zigeunermusik „umsäuselte“, den Weg alles Gipses wandeln, und die grellweiß getünchte Osteria am Teichgestade vergehen, dort, wo das weithinleuchtende Wort Aqua sola den Unkundigen zu der Meinung führte, daß der gewässerte Titel gleichwerthig mit Aqua soda, Sodawasser, sei. Wo einst das „Willkommen“ zum Eintritt und zum Beschauen winkte, macht sich seit Kurzem das häßliche „Verkäuflich“ breit. Allerorten wird ausverkauft. Die Fischkosthalle sucht für ihre 15 000 Biermarken Abnehmer; alles kommt zum Angebot: Pavillons, Schränke, Tische, Stühle, Palmen, Büsten, Villen, Bänke, Gläser und Flaschen, denn die Uhr ist abgelaufen und die Logis sind gekündigt. Ungern trennt man sich von dem köstlichen architektonischen Bilde auf waldumzogenem Plan. Wie oft hat der alte, von flatternden Wimpeln gekrönte Wartburgthurm freudig auslugende Bewunderer auf seinen Zinnen gesehen, Hunderte von idealen „Strebern“, die im Innern des viereckigen Kolosses langsam zur ersehnten Höhe emporgewunden wurden. Was sie sahen, das war bezaubernd. Vor sich Wasser und Wald, dazwischen farbig aufleuchtende Bauten mit Kuppeln, Thürmen und Thürmchen, Kiosken und Tempeln, Brücken und Terrassen, mit einem Wort eine herrliche Welt, in der nur Freude und Vergnügen zu Worte kamen, hinter sich aber bis zur Grenze des idyllischen Blockhauses das Thüringer Dörfchen in der ganzen Ursprünglichkeit von Raum und Form. Jetzt steht das Mühlrad still; der Esel, diese reizende Staffage der Lindenmühle, hat seine Schuldigkeit gethan und geht, auch ist das Schicksal der wohlgemästeten Gänsecolonie im Dorfteich, dem heiligen Martinus zu Ehren geopfert zu werden, nunmehr unwiderruflich besiegelt, der Dorfteich selbst dem Austrocknen verfallen. Bei den letzten Gemeinderaths-Sitzungen im Gemeindehause tauchte bei feurigem Most der Wunsch auf, Manches erhalten zu sehen, was für die Nachwelt als Relicten-Architektur von Werth sein könne, doch resignirt blieb Alles bei Wunsch und Most. „Menschen, Menschen sein mer Alle, Fehler hat a Jeder gnua, Alle können doch nicht gleich sein, das liegt schon in der Natur“ sang noch einmal die lustige Capelle, dann schloß auch diese denkwürdige Sitzung. Noch einige Male wird der Tanzboden in der „Tanne“ schwanken, werden die Musikanten im Felsgewölbe der Wernesgrüner Schänke fiedeln, dann ist es aus. Was war das für ein Leben in diesem Sommer dort oben auf der Terrasse der Wernesgrüner Schänke, wie schäumte und perlte dort die Wernesgrüner Weiße! Herrliche Tage verleibt der Himmel auch jetzt noch in seiner Gunst dem Werke, Tage voll Sonnenscheins und wahrer Frühlingsstimmung, gleichsam als wollte er Das, was er in den letzten Wochen versagt, nun am Schlusse wieder in vollstem Maße gut machen und ein glänzendes sonniges „Finis coronat opus“ aufleuchten lassen. Und dankbar genießt unser Publicum diese Himmelsgunst und strömt in vollen Schaaren hinaus auf den Ausstellungsplatz, um den letzten wehmüthigen Abschied von den Herrlichkeiten zu nehmen, die unser Leipzig für ein halbes Jahr mit einem Leben erfüllt hatten, das uns sonst nur die Messen zu bringen pflegten. Vor einigen Tagen allerdings fröstelte es stark in der Natur. Es war Herbststimmung, es war ein anderes Bild. … Der Wind trug fahle Blätter aus dem „Scheibenholz“ herüber und streute sie auf Bank und Weg. Fast passagierlos polterte der Train der elektrischen Rundbahn durchs Gehölz, über die Fluthcanalbrücken, an der Boma der Schwarzen vorbei, am Alten Meßviertel vorüber, dann huschte sie hinter den Nietzschmann‘schen Wursttempel, hinter das Panorama und den anderen Kolossalbauten dieser Schaustellungslinie, um später am Eismeerpanorama wieder zum Vorschein zu kommen. Nun ist der Moment, an dem die imitirten Eisschollen zu Feuerholz zerhackt, die Eisbären und Seelöwen verpackt und die nimmersatten Möven und Taucher anderwärts einquartiert werden sollen, unwiderruflich gekommen. Welcher Ohrenschmaus bisher, als die Seelöwen in klagendem, abgehacktem Bellen theils Hunger, theils Wohlbefinden verriethen, als die Capelle der ihre Insassen quirlartig drehenden elektrischen Stufenbahn mit der zwingenden Gewalt des Bleches das Surren und Rasseln der mächtigen, mit Glühlampen überreich decorirten Drehscheibe übertönte, als das Schmettern der Trompeten das Einreiten sportkundiger Jünglinge und verwegener Amazonen in die Arena des Hippodroms verkündete. Jetzt wird an allen Ecken und Enden … Weiterlesen

Aus der Presse – Unsere Ausstellung V. Am Kneipenteich

Vorn an der Hauptallee, zu beiden Seiten des Kneipenteiches, liegen die runden Konzertpavillons, die recht ungeschickt dort ihren Platz gefunden haben, da alle, die in das nasse Viertel wollen, durch die wandelnde musikfreundliche Menge sich drängen müssen. Wiederum ist es durch dieses Durchdrängen unmöglich, eine ungestörte musikalische Promenade zu machen, wie es z.B. in Berlin möglich war, wo die Menge in einer langgezogenen Ellipse auf und nieder wandeln konnte. Das erste Gebäude links, das die Ecke der Hauptallee und des Kneipenteichweges bildet, ist das große Hauptrestaurant, in dessen vorderer, der Hauptallee zugewendeter Hälfte nur Wein ausgeschänkt wird und der Genußbürger, der über das nötige geprägte Metall verfügt, Table d’hote speisen kann. In der hinteren Hälfte giebt es aber ein nicht übles Münchener. Hinter dem Hauptrestaurant ist ein geschmackvoll verkleidetes Maschinenhaus und gegenüber, am Teichufer, legen die Spreewälderinnen mit ihren Flachkähnen an, mit denen man eine Rundfahrt auf dem Teiche machen kann, die in abendlicher Dunkelheit am reizvollsten ist. Dann werden leuchtende Lampions an den Baldachinen über den Kähnen aufgehängt – langsam geht es am Ufer entlang, vorbei an den lichthellen Kneipen und den bunten Glühlichtgewinden der Ruine Schlosseck. In der Mitte des Teiches sprudeln plötzlich die Lichtfluten der Leuchtfontäne auf. Hellblau und hellgrün – rosa – flammenrot – in allen Farben schillernd quellen sie aus dem Wasser auf, überschlagen sich und fallen, Gischt spritzend, zurück. – Prächtige neue Farbenwirkungen werden dort erzielt. Hinter dem Maschinenhaus liegt das einfache, anheimelnde Holländerhäuschen von Erben Lucas Bols, in dem es einen ausgesucht vornehmen Schnaps giebt. Daneben ist der Pavillon der Kaffeefirma Richard Poeßsch. Steigt man die wenigen Stufen zum Türmchen hinauf, so kann man eine große, elektrisch betriebene Kaffee-Röstmaschine sehen, in deren Trommel zwanzig bis achtzig Pfund Kaffeebohnen mit einemmal über einem Coaksfeuer geröstet werden können. Unter der Trommel ist ein flacher Kessel, in dem der Kaffee gleich nach dem Rösten abgekühlt und durch ein in ihm mündendes Rohr sofort nach dem unteren Verkaufsraum hinabgleitet, wo er in einem Sacke aufgefangen wird. Man kann hier sehen, wie bequem, wie einfach der Großbetrieb ist, wie er des Menschen mühselige Arbeit von Maschinen verrichten läßt, ihn so zu einem immer vollendeteren Herren und Meistern der Natur macht und dem Sozialismus vorarbeitet. Gegenüber dem Kaffeetürmchen liegt am Teichufer die idealisierte Nachahmung der Ruine Schlosseck bei Dürkheim. Dort trinkt man unter Laubengängen einen 2/10 Römer Dürkheimer für 40-50 Pfennige und muß dann aber auch hineingehen in die Ruine, um die Wandmalereien des Münchener Malers Toni Aron zu sehen. Da ist unter anderem ein mit einer Sektflasche tanzendes Mädchen, dessen warmblütiger Leib aus der leicht lila gefärbten, duftigen Gaze-Bekleidung hervorleuchtet, und eine ganze Menge in Linien und Farben merkwürdiger Scenen, von denen manche aussehen wie vergrößerte Ausschnitte aus der Jugend und aus dem Simplicissimus. Unstreitig erkennt man in den Einfluß des Th. Th. Heine. Am gleichen Ende des Teiches, gewissermaßen als Gegenstück zu Schlosseck, ist die italienische Osteria, von der schon in den vohergehenden Ausstellungsberichten genug gesagt ist. Nur noch soviel: Es giebt dort nur Wein. Hinter diesen beiden Lokalen dehnt sich ein weiter, halbrunder Platz, in dessen Mitte eine hölzerne Musikhalle steht, die einzige in der ganzen Ausstellung, um die man eine Musik-Promenade machen kann. Den Platz säumen im Halbkreis eine Menge Kneipen ein. Da ist erst links die Fischkosthalle, daneben liegt das Café zum Rothenburger Erker. Dieses Café birgt für Nichtkenner ein sonderbares, unangenehmes Geheimnis. Wenn man sich dort mit müden Beinen niedergelassen hat, bringt der Kellner verschmitzt lächelnd die verlangte Portion Kaffee. Das Zeug schmeckt merkwürdig friedlich und dünn – der Kellner wendet sich mit ganz unschuldig aussehendem Gesicht ab, wenn man ihn ansieht. Die Provinzialen trinken ihr Schälchen Kaffee ganz ohne Arg, bis ihnen der Kellner beim Fortgehen ein kleines Andenken an den Rothenburger Erker überreicht. Aus dem kleinen Heftchen erfahren sie, daß sie – Kneipp-Kaffee getrunken haben, ohne es zu schmecken. Ja, das soll nun ein Scherz sein, die Gäste so zum Narren zu halten. Neben dem Café liegt das Tucherbräu, einige Schritte weiter der Ausschank der Brauerei Zwenkau. Wer dort aufmerksam hineinsieht, findet gewiß Bekannte dort. Wer das ist, wird nicht verraten – es sind jedenfalls ganz populäre Leutchen. Hieran reiht sich das Münchener Löwenbräu, in dessen heller Halle die weiche Musik eines Streichorchesters ertönt und wo echte Bayerinnen bedienen. Dann kommt die hellgraue Terrassen-Burg des Kulmbacher Petzbräu und dahinter, am Rande des Hochflutbettes, an der Brücke nach dem Thüringer Dörfchen das Münchener Bürgerbräu im Bratwurstglöckle. Gegenüber liegt hinter der Riebeckschen Brauerei der Wartburgturm, dessen Fahrstuhl noch nicht fertig ist, so daß man die Üebersicht über den Kneipenteich noch nicht genießen kann. Aber den daran angebauten Rittersaal der Wartburg muß man sich ansehen. Die an Ketten hängenden Deckenleuchter und die bunten, verschlungenen Ornamente und Figuren der Wandmalereien zeugen von einer so reichen, fruchtbaren Phantasie der Zeit des gotischen Stiles, daß man nur wünschen kann, auch unsere Künstler und Kunstgewerbler möchten aus der Wiederbelebung und der Hineinziehung des Natürlichen in die Kunstformen, ebenso wie die Künstler der Gotik, so mannigfache Formen erreichen. Unten in den Rundgewölben und auf den Terrassen bedienen freundliche Thüringerinnen, von denen man nach der Kneipenreife durch sämtliche aufgeführten Lokale ungern Abschied nimmt, um im Hauptcafé, das mit der Front nach der Hauptallee liegt, sich durch einen Kaffee wieder ins geistige Gleichgewicht zu bringen. In den luftigen Holzhallen sitzen die Damen unserer Geldbürger – mit Lorgnetten fixieren sie die gegenüber sitzenden, die gekleideten, halb übermütig, halb verächtlich lächelnden Freundinnen der Liebe, die von der gleichen Torte essen wie ihr unwillig und neugierig blickendes Gegenüber. – Aber abends und bei kühlerem Wetter kann man nicht in diesem Café sitzen, denn seine Hallen sind doch gar zu luftig. Man muß dann schon wo anders den Schluß eines Ganges um den Kneipenteich machen. Von Perkeo. Leipzig, 8. Mai 1897. Unsere Ausstellung V. Am Kneipenteich, in: SLUB Dresden. Leipziger Volkszeitung vom 8. Mai 1897. Sonnabend, S. 3.

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