Aus der Presse – Palmengarten-Prozess am Königlichen Landgericht

Nach Wiedereröffnung der Verhandlung durch den Vorsitzenden Herrn Landgerichtsrat Justizrat Barth äußerten sich zunächst die Sachverständigen über die von ihnen heute früh im Palmengartensaale vorgenommenen Messungen und Beobachtungen. Nach dem Referate des Herrn Regierungsbauführers Prof. Töpel hat sich zwar ergeben, daß eine Senkung der Dachkonstruktion stattgefunden hat, dieselbe ist aber eine nur minimale gewesen. Es mag auch ein in der Diagonale wirkender Druck infolgedessen stattgefunden haben; dies kann aber nach Ansicht des Sachverständigen nicht erheblich gewesen sein. Die von dem Sachverständigen Civilingenieur Leidholdt angegebenen Zahlen erachtete Prof. Töpel als etwas zu reichlich bemessen. Civilingenieur Leidholdt gibt zu, daß er in der Kürze der Zeit nicht alle Entfernungen habe messen können, sowie, daß ihm ein Rechenfehler unterlaufen sei; er hält aber die Konstruktion des Daches im allgemeinen für zu schwach. Auch die beiden anderen Berliner Sachverständigen Prof. Dietrich und Ratszimmermeister a. D. Schwager bleiben bei ihrem gestrigen Gutachten stehen, daß der fehlerhaften Dachkonstruktion die Hauptschuld an dem Unfalle beizumessen sei. Auf Antrag des Herrn Staatsanwaltes Justizrat Dr. Kunz soll dann der im Saale anwesende Zimmermeister Herr Lincke als Zeuge vernommen werden. Herr Rechtsanwalt Neu widerspricht der Vereidigung des Zeugen auf Grund von § 56 der Strafprozeßordnung, da nach seiner Information aus den Akten die Dachkonstruktion ursprünglich nicht genehmigt worden sei. Herr Rechtsanwalt Dr. Gottschalck schloß sich diesem Antrage an, denn es sei mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Angeklagten für unschuldig befunden werden und nachträglich die Konstrukteure des Daches zur Verantwortung gezogen werden. Der Gerichtshof beschloß, die Vereidigung auszusetzen. Herr Lincke erklärt, die Konstruktion des Daches sei keine zu schwache, dieselbe sei auch von unserer Baupolizei, die sehr gewissenhaft vorgehe, genehmigt worden. Richtig sei, daß eine kleine Senkung stattgefunden habe; dieselbe käme aber bei jeder Konstruktion in solcher Dimension vor, damit müsse man rechnen, der Dachstuhl setze sich immer. Es habe keine oder nur eine ganz minimale Ueberhöhung stattgefunden. Er habe eine gleiche oder doch mindestens sehr ähnliche Deckenkonstruktion im Neuen Theater angebracht, die gleichfalls anstandslos von der Baupolizei genehmigt worden wäre. Demgegenüber behauptete Herr Civilingenieur Leidholdt, daß die Prüfung nur für lotrechte Belastung stattgefunden hätte, auf eine einseitige Belastung durch den Winddruck hätte man nicht Rücksicht genommen. Hierauf wurden die bei der Ausführung der Rabitz- und Stuckarbeiten beschäftigten Leute als Zeugen vernommen. Einer von ihnen erklärt, daß man Kienhöfer darauf aufmerksam gemacht habe, daß zu viel Material daran hänge und daß es wohl notwendig sei, daß man eine Rohrbausche oder einen Eisenbügel hineinmachen und eine Eisenstange lang durchziehen solle, damit die Sache fester werde. Kienhöfer habe aber entgegnet: „Das hält schon, macht‘s nur so hin, wie es ist.“ Von mehreren Stuckateuren war ein Riß am Simse beobachtet worden, der dadurch entstanden sein soll, daß man auf dem Dachboden ungefähr einen Meter hoch Dachziegel aufgeschichtet hatte. Streitzig hatte gegen diese unzulässige Belastung protestiert, worauf die Dachziegel entfernt wurden. Als dann mehrere Tage vergingen, ohne daß sich der Riß vergrößerte, wurde er auf Anordnung Kienhöfers verschmiert. Eine Reihe von Zeugen sind der Meinung, dass Kienhöfer Polier gewesen sei, wenn er auch zeitweilig als Stuckateur mitgearbeitet hätte. Der Stuckateur Sachße, welcher mit an den Stuckornamentierungsarbeiten im Palmengarten beschäftigt war, hat sich seinen Kollegen gegenüber etwas sehr offenherzig über die nach seiner Meinung liederliche Arbeit bei Biswau & Knauer ausgesprochen und ist deshalb mit Kienhöfer in Differenzen gekommen, die seine Entlassung zur Folge hatten. Er hat nach dem Unfall den Direktor des Palmengartens auf einen von unten sichtbaren Riß in der Stuckdecke aufmerksam gemacht, der seiner (Sachßes) Ueberzeugung nach auch Kienhöfer nicht entgangen sein kann. Von seiten der Angeklagten ist nach den Angaben der Zeugen wiederholt an die Arbeiter die Mahnung ergangen, ja recht solid die Arbeiten auszuführen; dies hat namentlich Streitzig, der einige Male im Palmengarten war, aber sich sonst wenig um die Arbeiten gekümmert hat, getan. Auch Kietz hat sich wiederholt in gleicher Weise ausgesprochen, Kienhöfer ebenfalls. Hennig galt als Polier; er hat auch die Arbeiter angenommen und auch kontrolliert, ob die Arbeiten richtig gemacht worden sind. Nach einer kurzen Pause wurde vom Rechtsanwalt Ewald der Antrag auf Vertagung der Verhandlung und Einziehung eines Obergutachtens seitens eines Dresdener oder eines anderen nicht mit Leipzig in Beziehung stehenden Sachverständigen gestellt. Zur Begründung seines Antrages führte er aus, daß aus den Polizeiakten, die ihm erst jetzt zugänglich geworden seien, hervorginge, daß seitens der Baupolizei das für die Dachkonstruktion bestimmte Material nicht als genügend erachtet worden sei. Erst nachdem angegeben worden sei, dass eine leichte Holzdecke angebracht und nur vier Kronleuchter von je 60 kg Gewicht aufgehängt werden sollten, habe die Baupolizei von einer Beanstandung abgesehen. Es sei aber die Decke in Rabitzputz ausgeführt und Kronleuchter von 480 kg angebracht worden. Es mache sich daher eine eingehendere Prüfung auch in dieser Richtung erforderlich. Herr Staatsanwalt Dr. Kunz trat dem Antrag entgegen; der Gerichtshof behielt sich die Entschließung vor. Von G. Leipzig, 25. September 1903. Gerichtsverhandlungen. Königliches Landgericht. Palmengarten-Prozeß, in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 25. September 1903. Abendausgabe, Beilage, S. 6659.

Aus der Presse – Wiedereröffnung nach der Palmengarten-Katastrophe

Die frühlingsmilden Weihnachtsfeiertage waren in der That verlockend genug, um unsere Bewohnerschaft zu einem Gange nach dem Palmengarten und seinem neueröffneten Gesellschaftshause zu bewegen. Nach einer mehrmonatlichen Pause dem großen Verkehre wieder zurückgegeben und in neuer, glänzender Gestalt entstanden, hatte dieser Hauptraum durch sein verändertes Gewand und seine neue decorative Ausschmückung wohlberechtigten Anlaß zu einem erhöhten Besuche des Etablissements gegeben. Man war dabei allseitig überrascht, eine so wirkungsvolle, malerische Anordnung der Deckendecoration und ihrer Umgebung zu finden. Drei bewährte Kräfte haben in erstaunlich kurzer Zeit die überraschende Metamorphose herbeiführen helfen: nach dem Abbruch des plastischen Plasonds durch Maurermeister Eduard Steyer schuf Zimmermeister Franz Linke die vollständig neue, platte Holzdecke, malte Richard Hesse auf dieser, mit Leinwand überspannten, quadratischen Fläche in großen, kraftvollen Zügen ein höchst vornehm gegebenes Ornamentenwerk, das die vier mächtigen Kronen des Saales an ihren Ausläufern mit einem feinen, goldenen Linienwerk kreisförmig umzieht und daneben auf dunkelblauem Grunde eine Fülle goldener Blüthen in symmetrischer Anordnung mit zarten Goldfäden verbindet, so daß die Gesammtwirkung eine außerordentlich anziehende wird. Den Abschluß der Deckenbemalung bildet ein schweres, aus stilisirten Lorbeergewinden gebildetes, goldenes Ornament, das an nordische Motive gemahnt. Ebenso fein stilisirt erweisen sich die Malereien der in Holz construirten Plasondkehlen. Vor Allem wurde mit dieser neuen malerischen Decoration eine vollständige Uebereinstimmung mit der vorhandenen Ausschmückung des prachtvollen Festsaales erreicht, ja, es dürfte nicht zu viel gesagt sein, wenn betont wird, daß mit den veränderten malerischen Momenten unstreitig eine Steigerung des Effectes erreicht worden ist. Alle coloristischen Reize stimmen hier ungemein lebendig zusammen, und in das Blau und Gold der Decke, in den vornehmen Bronzeton der Galerien trägt durch die großen Scheiben des Palmenhauses das leuchtende Grün einer üppigen Tropenflora ein weiteres, wohlthuendes, farbiges Element. Mächtige Palmen und Baumfarne winken herein: die hoch emporgeschossene Kentia belmoreana mit breitem Schopf, die riesige Musa violacea und die herrliche Lévistonia chinensis – – – Für die Weihnachtsfeiertage war das Winderstein-Orchester für eine Reihe von Concerten gewonnen worden. Die Wahl der einzelnen Programmnummern deutete dabei darauf hin, daß nur Erlesenes in musikalischer Beziehung geboten werden sollte. Dem entsprach auch allenthalben die Ausführung. Nach der wirthschaftlichen Seite hin trat bei der Wiedereröffnung der Räume Herr Albin Oertel, eine allen Leipzigern wohlbekannte und auf gastronomischen Gebiete hervorragende Persönlichkeit, als Leiter der Gastwirthschaft zur Zufriedenheit aller Gäste in Function. – Leipzig, 26. December 1901. Leipziger Palmengarten, in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 27. Dezember 1901. Abendausgabe, S. 9232.

Aus der Presse – Palmengarten-Katastrophe im Gesellschaftshaus

Leipzig, 15. October 1901. — Das Gesellschafts-Concert im Palmengarten am heutigen Nachmittage erfuhr eine recht betrübende Unterbrechung dadurch, daß im zweiten Theile, kurz vor dem angekündigten Auftreten einer Sängerin, von der Wand nach dem Palmenhause zu ein etwa 3 Meter langes Stück Stuck des Deckensimses herabfiel, mehrere darunter stehende Tische mit Gypsstücken überschüttete, die auf den Tischen befindlichen Geschirre zum Theil zerschlug und drei Damen, die an diesen Tischen Platz genommen hatten, verletzte. Das Concert wurde abgebrochen. Die Besucher verließen sofort den Saal, da sich ergeben hatte, daß ein zwanzigjähriges Mädchen aus Stettin tödlich verunglückt war, anscheinend infolge des Schreckes, da eine äußere Verletzung an der Todten bei vorläufiger Besichtigung durch eingetroffene Aerzte nicht constatirt werden konnte. Eine der Damen hatte einen Beinbruch erlitten und konnte erst später in ihre Behausung gebracht werden, während zwei anscheinend leichter verletzte Damen sich entfernt hatten. Nachdem der Saal geräumt worden war, konnten die polizeilichen Erörterungen sofort beginnen, und wurde auch die verstorbene junge Dame mittels Siechkorbes fortgebracht. Selbstverständlich können in dem großen Saale des Palmengartens bis auf Weiteres gesellige Veranstaltungen nicht abgehalten werden. [1] Leipzig, 16. October 1901. — Mit inniger Theilnahme hat heute unsere Bewohnerschaft die schmerzliche Kunde von dem bedauernswerthen Schicksal einer jungen Dame vernommen, die gestern Abend das Opfer eines noch unaufgeklärten Unglücksfalles im Leipziger Palmengarten geworden und in Folge des Herabstürzens einer Stuckdekoration in wenig Minuten ihr junges Leben aushauchen mußte, während eine dicht neben ihr sitzende zweite Dame durch die Katastrophe den Bruch des linken Oberschenkels zu beklagen hatte. Das III. Gesellschaftsconcert im Leipziger Palmengarten, das, vom Günther Coblenz-Orchester ausgeführt, gestern Nachmittag 4 Uhr begann, hatte eine außergewöhnlich starke Zuhörerschaft, darunter, wie dies stets der Fall zu sein pflegt, viele Damen, nach den Räumen des großen Gesellschaftshauses gezogen, so daß bei Beginn der musikalischen Aufführung, zu welcher gleichzeitig die Mitwirkung der Sängerin Fräulein Leontine Kiesling vom Leipziger Stadttheater in Aussicht genommen war, alle Säle, sowie die Gallerien dicht besetzt sich erwiesen. Man schätzte die Besucherzahl auf etwa 1200 Personen. Es mochte etwa gegen ¾ 6 Uhr sein, – das Orchester hatte eben Weber’s „Aufforderung zum Tanz“ unter stürmischem Applaus des Auditoriums gespielt und Fräulein Kiesling schickte sich an, die Juwelen-Arie aus „Margarethe“ zu singen –, als in dieser Pause sich plötzlich ein etwa 3 m langes Stück der aus Stuck bestehenden Unterplatte des Deckengesimses vom Plasond löste und in mächtigen Stücken rapid 15 m herab in den Concertsaal sauste, mitten in eine Gruppe von Damen hinein, zwei von ihnen schwer verletzend, sowie Tischplatten und Eßgeräth zerschmetternd. Das geschah in wenig Secunden. Ueber den Umfang der Katastrophe selbst hatten bei dem Eintreten des Unglücksfalles die übrigen Anwesenden keine rechte Vorstellung, erst als nach einem gewaltigen Krach eine dichte Staubwolke an der Unglücksstelle aufwirbelte, als man die schwer Verletzten aus dem Saale trug, erkannte man ihre Größe. Der im Saal anwesende Director des Leipziger Palmengartens, Herr H. Miederer, welcher sofort vom Orchester aus Signal blasen ließ und die bestürzte und aufgeregte Zuschauerschaft zu Ruhe und Besonnenheit ermahnte, leitete unter Assistenz eines Herrn aus dem Publicum rasch die Ueberführung der beiden schwer verletzten Damen nach dem Weinzimmer des Restaurants an, während Herr Direktor Doebner sofort die nöthigen Absperrungsmaßregeln und die Räumung des Saales verfügte. Bewußtlos wurde ein junges blühendes Mädchen von 20 Jahren, Fräulein Frieda Klaus, das einzige Kind des Uhrmachers Klaus in Stettin, das in Leipzig zum Besuche weilte, aus Mund und Nase blutend aus dem Saal nach dem Weinrestaurant getragen. Dort verstarb die junge Dame schon nach wenigen Minuten, so daß der sofort herbeigerufene Arzt Herr Dr. Kloberg nur noch den Tod zu constatiren vermochte. Vermuthlich ist die Beklagenswerthe durch ein herabfallendes schweres Stuckstück im Genick tödtlich verletzt worden. Eine mit ihr gleichfalls an demselben Tische sitzende Dame, Frau Schuldirector Steinkopf aus Leipzig-Gohlis, erlitt oberhalb des Knies einen Bruch des linken Oberschenkels; trotz der großen Schmerzen, die sie auszustehen hatte, war sie doch sehr gefaßt. Sie wurde in Begleitung ihres herbeigerufenen Gatten mittels Krankenwagens nach ihrer Wohnung befördert, während man die Leiche des Fräulein Klaus dem Pathologischen Institut zuführte. Eine dritte Dame kam, zitternd und bebend, mit dem Schreck davon. Kurz nach der Katastrophe entfernte sich das gesammte Concertpublicum, so daß gegen ½ 8 Uhr bereits alle Säle geräumt waren. Bald nach Bekanntwerden der Katastrophe nahmen die Herren Polizeidirector Bretschneider, Baucommissar Haubold und Criminalcommissar Dr. Fincke die Unglücksstelle in Augenschein, wie auch heute Vormittag Herr Oberstaatsanwalt Böhme, sowie weiter die Herren Baurevisor Striegel, Baurath Johlige, Architekt Schmidt, Zimmermeister Lincke in Begleitung der Directoren Miederer und Doebner zur Besichtigung erschienen. Es wurde zunächst eine eingehende Untersuchung der gesammten Stuckarbeit im Concertsaale angeordnet und zu diesem Zwecke ein fahrbares Gerüst vorbereitet. Ueber die Ursache der Katastrophe selbst läßt sich vorläufig gar kein bestimmtes Urtheil abgeben. Soviel steht aber jetzt schon fest, daß das Eindringen von Feuchtigkeit aus dem neben den Concertsaal befindlichen Palmenhause ganz zur Unmöglichkeit gehört, da ein etwa 3 Meter starkes Mauerwerk die Stuckdecoration von der Palmenhauswand trennt. Die Decoration, seiner Zeit von der renommirten Firma Bosmau & Knauer in solider Weise hergestellt, bildete gleichsam den Abschluß der Kassettendecke und lief oberhalb des Tonnengewölbes über den großen südlichen Glasfenstern vor dem Palmenhause; sie trennte sich dicht neben der Cartouche oberhalb des Gewölbes in einer Länge von circa 3 m und fiel dann mit voller Wucht in mächtigen Stücken herab. Morgen wird die Baubehörde eine erneute Untersuchung des bis auf Weiteres geschlossenen Concertsaales vornehmen. — m. [2] Leipzig, 17. Oktober 1901. — Die außer dem getödteten Fräulein Frieda Klaus aus Stettin und der Frau Schuldirektor Steinkopf aus L.-Gohlis bei der Katastrophe im Palmengarten verletzte dritte Dame ist die Tochter des Postrathes Wichura, Fräulein Gertrud Wichura. Sie saß mit ihrer Mutter und drei Brüdern mit unter der Stelle, von welcher sich der Stuck abgelöst hat und wurde von einem größeren Stücke so heftig am Hinterkopfe getroffen, daß sie ihrem neben ihr sitzenden Bruder besinnungslos in die Arme fiel. Den Bemühungen ihrer Angehörigen gelang es zwar, die junge Dame bald wieder zur Besinnung zu bringen, die Verletzung erwies sich jedoch bei … Weiterlesen

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