Gespräch mit Experten – Michael Liebmann zum Brandvorwerk

Michael Liebmann hat mit seinen Recherchen über das Leipziger Brandvorwerk die Geschichte eines nahezu vergessenen Ortes wieder zum Leben erweckt und ein gut lesbares Buch geschrieben, das auf Grundlage akribischer Archivrecherche qualitative Maßstäbe zur Erforschung der Stadtgeschichte setzt. Dabei stellte er unter anderem heraus, wie die Besitzer des Vorwerks über die Jahrhunderte hinweg mit den Rechten und Privilegien jonglierten, wie der Ort mit der Siedlungsgeschichte und den Calvinistensturm in Leipzig verknüpft ist. Er verdeutlicht anschaulich, welchen Anteil das Brandvorwerk für die Entwicklung der heutigen Südvorstadt hatte. Empfehlenswert nicht nur für Geschichtsinteressierte, sondern für alle, die die Vergangenheit anhand historischer Quellen aus einer anderen Perspektive entdecken wollen. Herr Liebmann, Sie haben sich mit der Geschichte des Brandvorwerks in Leipzig beschäftigt und ein Buch geschrieben. Wie kamen Sie dazu, was hat Sie dazu bewogen, zur Lokalgeschichte zu forschen? Von Hause aus bin ich Gymnasiallehrer für Geschichte, Politik und Deutsch, arbeite aber seit nunmehr 15 Jahren als freier Autor, schreibe Fachartikel und Sachbücher und arbeite aktiv im Bürgerverein Pro Leipzig e.V. mit. In meinen Texten geht es meist um die Vorgeschichte nach Leipzig eingemeindeter Orte. Meiner Meinung nach lag das Hauptaugenmerk der Geschichtswissenschaft früher etwas zu sehr auf Alt-Leipzig. Dies ist natürlich nachvollziehbar und generiert auch eine größere Leserschaft. Aber die Historie der im 19. und 20. Jahrhundert angeschlossenen Gemeinden kam mir da zu kurz, steht erst seit den Forschungen zur vierbändigen Stadtgeschichte um 2015 mehr im Fokus. Das begrüße ich sehr, denn was gibt es Spannenderes, als den Kontrast von Stadt und Dorf zu beschreiben und die komplexen Stadt-Vorort-Beziehungen zu erforschen? Jemand, der in Böhlitz-Ehrenberg wohnt, hat doch ein ganz anderes Leipzig-Bild als ein Innenstädter. Die Leipziger Identität ist doch die Summe der Erfahrungen aller Bürgerinnen und Bürger – ob sie im Zentrum wohnen oder in der Peripherie. Das ist es, was mich interessiert. Der Marktplatz dagegen ist schon tausendmal beschrieben und bebildert. Ihr Buch widmet sich dem Brandvorwerk und den Anfängen der Leipziger Südvorstadt. Könnten Sie uns einen Einblick in die Entstehungsgeschichte geben und erklären, was Sie dazu inspiriert hat? Als ich 2008 nach vier Jahrzehnten Abwesenheit in meine Geburtsstadt Leipzig zurückzog, verschlug es mich in die Südvorstadt. Und weil ich den inneren Drang habe, von jedem Ort, an dem ich mich länger als eine Stunde aufhalte, auch die Historie zu erkunden, war es natürlich ganz selbstverständlich, mich auch mit meinem direkten Wohnumfeld zu beschäftigen. Da kam ich dann auch an einem Schild mit dem Namen „Brandvorwerkstraße“ nicht vorbei. Eine Straße, die nach einem Vorwerk benannt ist? Das klang interessant. Darüber wollte ich mehr erfahren. Aber die Suche nach Informationen in der einschlägigen Literatur enttäuschte: Das Brandvorwerk kam nirgends vor oder wurde nur in knappen Fußnoten abgetan. Ich habe mich damals dort sogar einen Samstag-Nachmittag an eine Straßenecke gestellt und über 60 Passanten gefragt, was es mit diesem Vorwerk auf sich hat. Nur einer konnte mir grob eine Antwort geben. Da dachte ich: Okay, muss ich das eben selber machen. Das Brandvorwerk ist vielen Menschen heute weniger bekannt. Könnten Sie uns kurz erläutern, warum der Ort in der Geschichte Leipzigs eine bedeutende Rolle spielte? Gab es mehrere dieser Orte? Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nannte man einen landwirtschaftlichen Gutshof, der sich außerhalb einer Burg oder Befestigungsanlage befand, ein Vorwerk. Und weil das Wort Bürger von Burg kommt, bezeichneten die Leipziger die ihnen gehörigen Gutshöfe vor den Toren der Stadt ebenfalls als Vorwerke. Davon gab es allerdings mehrere, diesbezüglich war das Brandvorwerk nichts Besonderes. Außergewöhnlich – und heute fast vergessen – ist allerdings der Fakt, dass dieser Gutshof den Großteil der Flur eines wüst gefallenen Dorfes besetzte. Dieses einst von den Slawen gegründete und wohl Ende des 14. Jahrhunderts verlassene Lusitz ist heute noch weniger Leuten bekannt als das Brandvorwerk – an diesen Leipziger Vorort erinnert nicht einmal ein Straßenname. Und doch handelt es sich dabei um die historische Wurzel der heutigen Südvorstadt. Die umfasst heute ein Gebiet von etwa 2,5 km2, aber im Hochmittelalter war die Lusitzer Gemarkung sogar 3,2 km2 groß. Das bedeutet, dass sich Leipzig und Connewitz Teile davon einverleibt haben müssen, nachdem die letzten Lusitzer Bauern ihr Dorf verlassen hatten. Land und Leute gehörten übrigens seit Mitte des 13. Jahrhunderts dem Leipziger Nonnenkloster St. Georg. Dazu zählte auch eine Wassermühle, die in etwa dort stand, wo sich heute der kleine Dürrplatz befindet: westlich der Kreuzung Wundt- und Kurt-Eisner-Straße. Das Kloster seinerseits stand im Schatten der Pleißenburg und also fast zwei Kilometer nördlich der Mühle. Deshalb baten die Nonnen den Landesherrn und die Stadt im Jahr 1287, den Pleißemühlgraben bis nach Lusitz zu verlängern und die Mühle direkt ans Kloster versetzen zu dürfen. Die Nonnenmühle existierte dann dort, vis a vis der Pleißenburg, noch bis 1890. Den Pleißemühlgraben gibt es, teils verrohrt, teils wieder geöffnet, noch heute. Von seiner Verbindung mit Lusitz wissen nur wenige. Im Übrigen haben die Georgennonnen dann im 15. Jahrhundert auf der verlassenen Lusitzer Flur eine Schäferei eingerichtet. Seitdem besetzte also ein Vorwerk eine Dorfgemarkung. Ein solches Rechtskonstrukt gab es auch im wüst gefallenen Pfaffendorf, auf dessen Flur sich heute der Leipziger Zoo ausbreitet. Ihre Forschung basiert auf umfangreichen Archivrecherchen. Könnten Sie uns etwas über die Quellen und Materialien erzählen, auf die Sie während Ihrer Arbeit gestoßen sind und wie Sie diese genutzt haben? Als ich wegen des Buches den Sommer 2011 im Stadtarchiv und Staatsarchiv verbrachte, war die Quellensuche noch viel beschwerlicher als heute. Die Aktentitel waren noch nicht digital eingepflegt. Man konnte nicht einfach „Brandvorwerk“ in eine Suchmaschine eingeben und die vorhandenen Titel einsehen. Stattdessen galt es, dutzende handgeschriebene Katalogbücher auf Hinweise zu durchforsten. Das gestaltete sich schwierig, weil die Findmittel im Stadtarchiv und im Stadtgeschichtlichen Museum nach Stadtteilen geordnet waren – und da kam „Brandvorwerk“ gar nicht vor. Der Ort war derart in Vergessenheit geraten, dass ihn nicht einmal die Archivare auf dem Zettel hatten. Ich musste also mühselig sämtliche Akten auf Verdacht anfordern und durchsehen, die irgendwie das Wort Vorwerk beinhalteten. Eine Sisyphusarbeit. Heutzutage sind die Archive viel benutzerfreundlicher. Da braucht man nur noch das Schlagwort Brandvorwerk eingeben … Weiterlesen

Aus der Presse – Das Gosenthal im Brandvorwerk vorm Abriss

Eins der älteren Tanzlokale in unserer Stadt, „Das Gosenthal“ am Ausgange der Dufourstraße, wird demnächst abgebrochen werden. Auf dem Areal, das sich im Besitz von Oelschlegels Erben befindet, sollen Wohngebäude ausgeführt werden. Das „Gosenthal“ wurde im Jahre 1862 vom Restaurateur Barthmann erbaut. Es hat also ein Alter von etwas über 40 Jahren erreicht. [Anm. Red.: Das Gosenthal existierte bereits vor 1862.] Das Gosental, dessen bevorstehenden Abbruch wir schon kurz gemeldet haben, ist der letzte Rest des ehemaligen Brandvorwerks, das seinen Namen davon erhalten hatte, daß es am 27. Juni 1593, weil es für einen Hauptversammlungsort der heimlichen Calvinisten (Kryptocalvinisten) Leipzigs galt – es war damals in dem Besitz eines Dr. Peter Roth –, von deren Gegnern in Brand gesetzt worden war. Im 17. und 18. Jahrhundert war das Brandvorwerk ein Hauptvergnügungsort der Leipziger. Wer wissen will, wie es da zuging, der lese die ausführliche zweihändige Beschreibung, die 1746 unter dem Titel „Angenehmer Zeitvertreib des großen und mannigfaltigen Vergnügens auf dem weltberühmten Lustsaale des sogenannten Brandvorwerks ohnweit Leipzig“ erschien. Die Besitzer hatten das Wohnhaus mit Garten an Bierwirte verpachtet und zahlten für die Erlaubnis, fremdes Bier hier verzapfen zu lassen, ein bestimmtes jährliches Spundgeld an den Burgkeller, anfangs 100, später 150 Taler. Zu diesen Besitzern des Vorwerks gehörte auch der bekannte Leipziger Dichter und Schriftsteller Mahlmann, und später dessen Witwe. Ihnen wurde das Spundgeld bedeutend herabgesetzt. Die Witwe bezahlte nur noch 60, seit 1836 bloß noch 40 Taler, bis mit dem Jahre 1838 alle Spundgelder des Burgkellers wegfielen. Im Jahre 1839 parzellierten die Mahlmannschen Erben ihren Besitz, das Schankgut mit Garten erstand ein gewisser Hesse, der die Absicht hatte, eine „seine Restauration“ (!) hier einzurichten, und, nachdem er die Konzession dazu erlangt hatte, die neue Schankwirtschaft 1842 mit dem Namen Gosental belegte, auf dessen Erfindung er nicht wenig stolz gewesen sein mag. Aber schon 200 Jahre früher, 1643, hatte der damalige Besitzer des Brandvorwerks ein Stück seines Gartens verkauft, und aus diesem abgetrennten Stück richtete in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Nachbesitzer ebenfalls eine Schänke ein, so daß man nun zwischen der vorderen und der hinteren Brandschänke unterschied. Da aber an dem Betriebe der hinteren Schänke wiederholt Bäcker beteiligt waren, so nahm sie mehr den Charakter eines Kuchengartens an. Aeltere Leipziger werden sich noch mit Vergnügen der Brandbäckerei erinnern, deren kleiner Vorgarten mit seiner Ecklaube im Sommer, und deren oberes Stockwerk im Winter Sonn- und Wochentags viel besucht wurde, und wo der Student Sonnabends nach Tische einen stillen, gesitteten Kaffeeskat spielte. Der Gang nach dem Brandvorwerk oder, wie man kurz sagte, „aufs Brand“, war noch Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts ein Spaziergang im Freien, denn die Stadt war hinter dem Peterschießgraben zu Ende; dahinter lag der Floßplatz, auf dem das winterliche Stipendienholz für den armen kaffeeskatspielenden Bruder Studio fein säuberlich klasterweise aufgeschichtet stand. Das Alte stürzt!, in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Frühausgabe. 2. Beilage vom 20. Januar 1904, S. 433. Das Gosenthal., in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Frühausgabe. 2. Beilage vom 21. Januar 1904, S. 457.

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