Die Lage des Unternehmens der Aktiengesellschaft Leipziger Palmengarten ist heute eine solche, daß es gar keinen Zweck hat, ihr gegenüber die „Vogel-Strauß-Politik“ zu treiben in der Hoffnung, daß hierdurch, d. h. in aller Stille, eine Gesundung der Verhältnisse erreicht werden könnte. Seit Jahren arbeitet die Gesellschaft – leider – mit großen Fehlbeträgen. Und das schlimme ist, daß diese Fehlbeträge immer gewachsen sind. In den letzten sechs Jahren (1910 bis 1915) bezifferten sie sich im ganzen auf rund 323 000 Mark. Dieser Umstand wird das Herz eines jeden, der – kurz gesagt – unsere Stadt Leipzig liebt, mit aufrichtiger Trauer erfüllen. Die Stadtgemeinde hat es dabei an ausgiebiger Hilfe nicht fehlen lassen. Insgesamt hat die Gesellschaft von der Stadt in neun Jahren über 800 000 Mark erhalten, von denen 590 000 Mark auf das Erbbaurecht eingetragen sind. Trotz alledem sah sich die Gesellschaft genötigt, Ende 1915 erneut mit einem Gesuche an die Stadt um Unterstützung heranzutreten. Rat und Stadtverordnete haben dem entsprochen. In der Sitzung der Stadtverordneten vom 12. Januar 1916 wurde beschlossen, der Gesellschaft zur Weiterführung des Betriebes den Betrag von 20 000 Mark zur Verfügung zu stellen. Außerdem wurde verschiedenen Anträgen des Rates zugestimmt, die u. a. dahin gingen:
- Unter der Voraussetzung, daß die Obligationäre so lange auf Zinsen verzichten, als diese nicht aus den Ueberschüssen des Palmengartens unter Berücksichtigung normaler Abschreibungen gewährt werden können, den bisher in Konto 7 eingestellten Betrag für Verzinsung der Obligationen (24 870 Mark) vom Jahre 1916 ab der Palmengarten-AG zu überlassen.
- Von Einforderung der Zinsen in Höhe von etwa 16 000 Mark jährlich für die der Gesellschaft überlassenen städtischen Darlehne vom 1. Januar 1915 ab bis auf weiteres abzusehen.
- Den Erbpachtzins von jährlich 4000 Mark vom Jahre 1915 ab bis auf weiteres zu erlassen.
Außerdem sollten die noch zu deckenden Fehlbeträge für 1915 und 1916 mit etwa 7000 Mark und 42 000 Mark zu Lasten des Betriebsvermögens der Stadt übernommen und zu den im Jahre 1914 bewilligten 105 000 Mark zugeschlagen werden.
Die Opfer, zu deren Uebernahme sich die Stadt bereit erklärte, waren also sehr erheblich. Daneben sollten allerdings auch die Inhaber der Schuldverschreibungen (Obligationen) ein Opfer bringen. Diese außer dem Aktienkapital von 200 000 Mark vorhandenen Schuldverschreibungen belaufen sich auf 829 000 Mark und wurden von der Stadt mit 3 Prozent verzinst. Auf die Zinsen (24 870 Mark) sollen die Obligationäre so lange verzichten, bis das Unternehmen Ueberschüsse erzielt.
Am vergangenen Donnerstag hat nun die Versammlung der Obligationäre, die hierzu Beschluß fassen sollte, stattgefunden. Sie war beschlußunfähig, es wurde aber vom Vorsitzenden die Mitteilung gemacht, daß die von den städtischen Kollegien zur Aufrechterhaltung des Betriebes bewilligten 20 000 Mark aufgebraucht sind. Sollte auch die nächste Versammlung (am 6. April) beschlußunfähig sein, so daß die Bedingungen der Stadt nicht zur Annahme gelangen könnten, so wäre das Schicksal der Gesellschaft besiegelt, denn daß die Stadt über das gestellte Angebot herausginge, sei auf keinen Fall zu erwarten. So die gegenwärtige Sachlage, die erkennen läßt, daß irgendeine Entscheidung binnen kurzem getroffen werden muß.
Wir haben die vorstehenden Ausführungen gemacht, um den vielen Tausenden, die sich für unseren schönen Palmengarten interessieren, ein Bild von der Lage des Unternehmens zu geben. Aber unseres Erachtens kann es sich in der Hauptsache nicht darum handeln, nur für, den Augenblick einen Ausgleich herzustellen, sondern vielmehr darum, für die Zukunft das Unternehmen in bessere Verhältnisse zu bringen. Denn der Ausgleich nützt gar nichts, wenn alles beim alten bleibt, und die Stadt jedes Jahr von neuem tief in den Geldbeutel greifen muß.
Auch über diese Zukunft ist in der Stadtverordnetensitzung am 12. Januar gesprochen worden. Ein Redner war hierbei der Ansicht, daß es nur einen Weg gebe, um den Palmengarten endgültig herauszubringen, und zwar sei das leicht dadurch zu erreichen, daß man den Palmengarten bis an das Westufer der neugeschaffenen Flutrinne erweitert und am Ufer einen Elster-Pavillon errichtet, gleich dem schönen Bauwerk, das wir als Alster-Pavillon in Hamburg bewundern. Diesem „einen Weg“ ist jedoch in der Versammlung nicht rückhaltlos beigepflichtet worden. Es wurde darauf hingewiesen, daß eine beträchtliche Summe dazu gehörte, um das zwischen dem jetzigen Palmengarten und der Flutrinne liegende Land (es handelt sich wohl um 40 000 Quadratmeter) in Anlagen zu verwandeln und daß auch ein großer Pavillon – denn um einen solchen kann es sich nur handeln – nicht billig sein würde. Es sei aber mindestens bedenklich, in das Unternehmen von neuem Hunderttausende hineinzuwenden. Von anderer Seite wurde angeregt, daß der Palmengarten mehr der Allgemeinheit zunutze gemacht, also vielleicht unentgeltlich geöffnet werde; das würde sicher dem Wirtschaftsbetriebe sehr zustatten kommen. Dieser Gedanke fand vielen Beifall. Auch wir glauben, daß hiermit wenigstens ein Versuch gemacht werden möge. Es brauchen deshalb die Dauerkarten (die in ihren Erträgen übrigens stetig herabgegangen sind) nicht ganz abgeschafft werden und man braucht andererseits nicht zur völligen Unentgeltlichkeit zu gehen. Aber wenn man an verschiedenen Tagen der Woche den Palmengarten, der einer der prächtigsten Aufenthaltsorte unserer Stadt ist, für ein Eintrittsgeld von 10 Pfennig öffnete, so würde der Zuspruch sicher sehr erheblich sein. Wer jetzt an schönen Wochentagen im Sommer die herrlichen Anlagen besucht, dem tut es wahrlich leid, daß sie so unbenutzt bleiben. Hier Wandel zu schaffen, muß allseitiges Bestreben sein.
Die Stadt als erste Geldgeberin hat wohl einen Anspruch, bei der künftigen Gestaltung der Verhältnisse unseres Palmengartens, auf den wir Leipziger mit Recht stolz sind, ein Wort mitzureden. Wir zweifeln auch nicht, daß es in der Richtung geschehen wird, das ganze Unternehmen volkstümlicher zu machen. An der Einwohnerschaft wird es aber sein, ihm die nötige Unterstützung angedeihen zu lassen. Es mag in den jetzigen Kriegszeiten schwer sein, aber das eine muß gesagt werden: mit dem bloßen Bedauern, und mag es noch so „herzlich“ und „innig“ sein, ist dem Unternehmen nicht geholfen, sondern nur mit der Tat. Und unbedingt muß der Palmengarten unserer Stadt erhalten bleiben. Geschähe es nicht, so würde das einen bedenklichen Schatten auf unsere Stadt werfen. Von der Leitung des Unternehmens muß allerdings ebenfalls erwartet werden, daß sie alles tut, um die Anziehungskraft des Unternehmens zu heben. Und mehr als einen Weg gibt es hierbei, den man betreten kann. – id.
Aus Leipzig und Umgebung, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Handelsblatt vom 21. März 1916. Frühausgabe, 2. Beilage, S. 9.