Gespräch mit Experten – Rolf Engelmann zum Botanischen Garten in Leipzig
Rolf Engelmann ist seit 2021 als Koordinator für Wissenstransfer im Botanischen Garten der Universität Leipzig tätig. Mit einem Studium zum Biologen in Halle und Leipzig bringt er fundiertes Fachwissen und eine Leidenschaft für die verständliche Vermittlung von Wissenschaft mit. Sein Fokus liegt darauf, den Botanischen Garten als lebendigen Ort des Austauschs und Lernens zu gestalten. Hier schafft er Bildungsangebote für Menschen jeden Alters und stärkt damit die Rolle des Gartens als Brücke zwischen Universität und Öffentlichkeit in einer der ältesten botanischen Einrichtungen Deutschlands. Herr Engelmann, können Sie uns bitte erklären, welche Bedeutung der Botanische Garten für die Universität und die Stadt Leipzig hat? Der Botanische Garten der Universität Leipzig ist ein Ort der Wissenschaft, also der Forschung und Lehre. Im Garten wird mit Pflanzen experimentiert, Pflanzen für Bestimmungskurse angezogen und unsere Pflanzensammlung dient im Rahmen der Ausbildung von Studierenden botanischen und vegetationskundlichen Führungen. Doch auch für die Menschen der Stadt Leipzig hat der Garten eine große Bedeutung. Als Grünes Schaufenster der Universität gestalten wir hier einen intensiven Austausch im Bereich des Wissenstransfers. Gemeinsam mit unserem Förderverein organisieren wir ein vielfältiges Jahresprogram mit Führungen, Exkursionen, Vorträgen, Pflanzenmärkten und Ausstellungen. Auch der Bildungsbereich im Botanischen Garten ist hervorzuheben: wir haben Angebote für alle Altersbereiche ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Wie hat sich der Botanische Garten der Universität Leipzig im Laufe seiner Geschichte entwickelt? Der Botanische Garten der Universität Leipzig gilt als der älteste Botanische Garten an einer Universität in Deutschland. Der Ursprung liegt im Jahr 1542 als das Dominikanerkloster St. Pauli mit dem zugehörigen Medizinal-Garten der damals noch jungen Universität Leipzig übertragen wurde. Bereits 1580 erfolgte eine Integration in die Lehre und Forschung der Universität mit der Ernennung von Moritz Steinmetz zum ersten Präfekten des Gartens. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Standort des Botanischen Gartens mehrfach verlegt und befindet sich nun seit 1877 am jetzigen Standort. Heute blicken wir im Botanischen Garten auf eine wechselvolle Geschichte zurück. In den über 450 Jahren seiner Existenz ist er Teil der wissenschaftlichen und kulturellen Identität der Universität Leipzig und der Stadt Leipzig geworden. Ist sein Status als ältester Botanischer Garten in Deutschland gerechtfertigt? Wie bereits verdeutlicht liegen die Anfänge des Gartens in der Mitte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit sind auch die ältesten europäischen Botanischen Gärten Norditaliens in Pisa (1544), Padua (1545) und Bologna (1568) gegründet worden. Der Leipziger Botanische Garten ist somit keine Besonderheit, sondern unterstreicht die Bedeutung Botanischer Gärten bzw. Medizinalgärten für die Lehre und Forschung an den Universitäten zu der damaligen Zeit. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Leipziger Garten seitdem mehrmals umgezogen ist und die Schwerpunkte der Pflanzensammlung sich abhängig von den jeweils aktuellen Forschungsschwerpunkten verändert haben. Aus einem Medizinalgarten (lat. hortus botanicus) entwickelte sich ein Botanischer Garten, in dem heute die verschiedenen Facetten der Vielfalt im Pflanzenreich im Fokus stehen. Mit heute rund 6.300 verschiedenen Arten wollen wir als Garten der Vielfalt eine Brücke schlagen und vor allem botanisch-ökologische Themen im Kontext von Klimawandel, Transformation, Nachhaltigkeit oder Biodiversitätskrise betrachten. Gibt es bestimmte Personen, die eine zentrale Rolle gespielt haben, die heute nicht vergessen werden dürfen? Als Einrichtung mit so langer Geschichte ist es sicher nicht einfach einzelne Personen herauszustellen und gleichzeitig andere nicht zu würdigen. Diplomatisch ausgedrückt gibt es eine Vielzahl an Personen oder besser an Personengruppen, ohne die ein Botanischer Garten nicht erfolgreich arbeiten kann. Zu Nennen sind dabei an erster Stelle natürlich die Gärtnerinnen und Gärtner. Sie bringen gärtnerischen Sachverstand und Leidenschaft in unsere artenreiche Pflanzensammlung. In den früheren Jahrhunderten wurden sie, unterstützt von weiteren Personen, wie beispielsweise Heizern (lange Zeit wurden die Gewächshäuser des Botanischen Gartens mit Kohle beheizt) oder anderen Personen, die essentielle Hilfstätigkeiten ausgeführt haben. Ich stelle diesen Personenkreis ganz bewusst an den Anfang meiner Aufzählung, sie werden im Laufe der Geschichte mitunter zu selten gewürdigt – hier würde ich mich über neue Erkenntnisse und Anekdoten bei der Aufarbeitung unserer Geschichte sehr freuen. Des Weiteren hatten wir seit 1580 viele sehr namhafte Direktoren, die die Geschicke des Gartens maßgeblich prägten und nicht selten weltweit bekannte Botaniker ihrer Zeit waren. Doch auch die Garteninspektoren, heute eher als Betriebsleiter bezeichnet, gestalteten die Entwicklung des Botanischen Gartens über die Jahrhunderte und sind wichtige Brückenbauer zwischen Wissenschaft und gärtnerischer Praxis. Nicht zu vergessen sind auch die Kustoden, also die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Botanischen Gartens. Sie betreuen die artenreiche Sammlung, organisieren den fachlichen Austausch mit anderen Botanischen Gärten und entwickeln die Sammlung des Botanischen Gartens stetig weiter. Wie würden Sie die Pflanzensammlung des Gartens beschreiben? Heute haben wir im Botanischen Garten rund 6.300 verschiedene Pflanzenarten in rund 10.000 verschiedenen Akzessionen. Grob könnte man sagen, dass die Hälfte der Arten im Freiland zu finden sind und die andere Hälfte der Arten unsere Gewächshäuser benötigt. Als „Garten der Vielfalt“ möchten wir die Vielfalt im Pflanzenreich in möglichst vielen Facetten erlebbar machen. Im System kann man sich mit der Verwandtschaft im Pflanzenreich beschäftigen, in den geographischen Abteilungen sieht man die Arten gleicher klimatischer oder geographischer Regionen und die biochemische Vielfalt ist in den Beeten des Apothekergartens ersichtlich. Hier sind die gezeigten Pflanzen nach ihren medizinisch genutzten Inhaltsstoffen sortiert. Gibt es spezielle oder seltene Pflanzenarten, die im Botanischen Garten besonders hervorstechen? Als Botanischer Garten liegt unserer Fokus auf Wildarten, das heißt Pflanzenarten, die so auch in der Natur vorkommen. Nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen bei uns Sorten oder Züchtungen. Aus diesem Grund sind in unserer Sammlung mitunter sehr viele seltene und besonders interessante Pflanzen. Für unsere Besucher sind sicherlich solche Pflanzen von großem Interesse, die nicht vor unserer Haustür in der Natur oder im Garten wachsen. Ich denke hier beispielsweise an Palmen, die Riesenseerose oder auch das Mammutblatt – alles Pflanzen die Staunen und Interesse wecken. Arbeiten Sie dabei mit anderen Forschungseinrichtungen zusammen? Ja, in allen Belangen. Zuerst einmal ist der Botanische Garten mit der Arbeitsgruppe Spezielle Botanik und Funktionelle Biodiversität verknüpft, arbeitet aber auch mit anderen Arbeitsgruppen der Universität Leipzig zusammen. Darüber hinaus betreibt das Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig ein Forschungsgewächshaus im Botanischen Garten. Zusätzlich gibt es gemeinsame Projekte mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), … Weiterlesen