Gespräch mit Experten – Dr. Sacha Szabo zu den Luna-Parks

Dr. Sacha Szabo, Popsoziologe am Institut für Theoriekultur in Freiburg, ist seit langem anerkannter Unterhaltungswissenschaftler. Er promovierte mit einer Arbeit über Jahrmarktsattraktionen und hat seitdem mehrere Publikationen zu anderen Vergnügungswelten veröffentlicht. Er ist einer der führenden Forscher über Festkultur in Deutschland, das ihn zu einem gefragten Experten für Funk und Fernsehen und andere Medien gemacht hat.

Dr. phil. Sacha Szabo
Soziologe, Kulturmanager, Erlebnispädagoge


Seine Doktorarbeit über Vergnügungsattraktionen auf Festplätzen wurde 2006 unter dem Titel „Rausch und Rummel“ veröffentlicht. Aus dieser Forschung heraus entwickelten sich zahlreiche weitere Autorenprojekte, wie „Ballermann. Das Buch“ 2006, dem „Rummel im Plänterwald“ 2018 und den „Luna Parks“ 2017. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit Alltagskulturen und den unscheinbaren alltäglichen Dingen, wie „BBQ. Grillen eine Wissenschaft für sich“ 2014 oder „Bubble Gum Studies“ 2020. Foto: Pascal Jesser.
Luna Parks
Auf den Spuren einer vergessenen Vergnügungskultur

Büchner Verlag, Marburg (Hg.)

ISBN 978-3-941310-83-4
Auflage: 1. Auflage 2017
Maße: 20 x 20 x 1,5 cm
Umfang: 176 Seiten
Gebundene Ausgabe
mit Fadenheftung
auch als ePDF

Preis: 35,00 €

Herr Szabo, Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Luna Parks. Wie kamen Sie dazu und was hat Sie dazu bewogen, ein Buch darüber zu schreiben?

Mein Interesse an den alten Luna Parks entstand durch meine Dissertation als ich mich mit den verschiedenen Festplätzen beschäftigte und bei meiner Recherche auf eine Reihe alter Ansichtskarten von deutschen Luna Parks stieß. Daraus entstand 2008 in Zusammenarbeit mit Claudia Puttkammer ein erstes kleines Büchlein. Unser Interesse galt dabei in erster Linie gar nicht so sehr der Geschichte der einzelnen Parks, die für einige Parks in verschiedenen Monographien bereits aufgearbeitet wurde, wie etwa der schönen Broschüre von dem Bürgerverein Möckern/ Wahren. Wir wollten vielmehr diese untergegangene Vergnügungskultur als Gesamtphänomen abbilden und zeigen, dass die vielen einzelnen Parks Teile einer Gesamtkultur waren. Aus diesem kleinen Buch entwickelte sich dann über die Jahre der große Bildband, der 2018 erschien.

Welche Erkenntnisse haben Sie beim Schreiben Ihres Buchs gewinnen können?

Es ist eine untergegangene verschwundene und fast vergessene Vergnügungswelt, die einerseits eine europäische Parkkultur mit den aus den USA stammenden Vergnügungsvierteln wie Coney Island verband, und zugleich Impulsgeber für die nach Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entstehenden Freizeitparks wurde. Es zeigt aber auch, wie schnelllebig moderne Massenkultur sein kann, die in dem einen Moment omnipräsent scheint und bereits im nächsten fast spurlos verschwunden ist.

Welche Idee stand hinter dem ersten Luna Park und wie hat sich das Konzept im Laufe der Zeit entwickelt?

Ein Impulsgeber der deutschen Luna Parks ist Coney Island, ein New York vorgelagertes und bis heute bestehendes Vergnügungsviertel. Ab Ende des neunzehnten Jahrhunderts siedelten sich dort die ersten Vergnügungsparks an. Das Besondere war, dass zeitweilig mehrere Parks nebeneinander existierten und sich durch die gegenseitige Konkurrenz überboten. Dies setzte eine Kettenreaktion des Vergnügens in Gang, so dass dieser Ort zum Nukleus moderner Vergnügungskultur wurde. Aber Coney Island war nur ein Einfluss, ein weiterer ist in der europäischen Parkkultur zu finden, da viele der adligen Lustgärten im Beginn der Neuzeit nicht mehr nur ein exklusives adliges Vergnügen waren, sondern auch für das „gemeine“ Volk geöffnet wurden. Dies wird in den Luna Parks insofern sichtbar, als dass die Attraktionen nicht so dichtgedrängt wie auf Coney Island angeordnet waren, sondern großzügiger mit dem verfügbaren Raum umgegangen wurde.

Welche Rolle spielten die Luna Parks im Stadtbild und haben sich diese Standorte im Laufe der Zeit verändert?

Die Luna Parks entstanden häufig aus größeren Ausflugslokalen mit eigenen Parkanlagen, die am Stadtrand angesiedelt waren. Diese erweiterten nach und nach ihr Angebot um technische Attraktionen, wie etwa eine Berg- und Talbahn, also eine Art Holzachterbahn, die zudem noch in eine Kulisse integriert war. Der Höhepunkt dieser Vergnügungsorte war im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei bereits der Erste Weltkrieg eine Zäsur war und die Weltwirtschaftskrise für viele Parks, die zudem auch unter der Konkurrenz der boomenden städtischen Angebote litten, das Aus bedeutete. Geblieben ist von den Parks wenig, manchmal ein Straßenschild, manchmal noch Gebäude wie in Leipzig, manchmal auch nur die Erinnerung und eine große Zahl Ansichtskarten.

Welche Bedeutung hatten die Luna Parks für die Gesellschaft?

Die Luna Parks waren eine Gegenwelt in der der Alltag nicht nur verdrängt, sondern vergessen werden konnte. Spannend ist dabei, dass die Gestaltung häufig mit einer idealisierten Naturidylle spielte, als ein Gegenentwurf zur urbanen und industrialisierten Moderne. Aber das, was wir heute mit einem Ausflug in die Natur verbinden, also Entschleunigung, Stille und Kontemplation, nicht realisierte, sondern im Gegenteil, die Luna Parks waren ein rauschhaftes Abenteuerland. Viele Vergnügungsangebote, die später ein Teil der städtischen Unterhaltungsbranche waren, wurden hier häufig erstmals einem breiten Publikum dauerhaft präsentiert. Aber das Abenteuer bezog sich nicht allein nur auf die technischen Attraktionen, es war auch ein Ort amouröser Abenteuer. Denn die Parks boten viele gute Möglichkeiten jemanden, etwa beim Tanz kennen zu lernen und dann eine aufregende gemeinsame Zeit zu verbringen.

Was unterscheidet die Luna Parks von den heutigen Kleinmessen?

Die Unterhaltungsangebote! In allen Parks war das gastronomische Angebot deutlich größer als auf einer Kirmes. Gastronomie bedeutet dabei nicht Verpflegungsstände, sondern vor allem Vergnügungsorte. Speisesäle, Tanzsäle und Ballsäle bildeten die Zentren und die Attraktionen ergänzten dieses Angebot, oder intensivierten es vielmehr. So dass man, nachdem man sich beim Tanzen kennengelernt hat, die aufkommenden Gefühle bei der Fahrt auf der Berg- und Talbahn intensivieren und diese dann den Blicken entzogen in der Zweisamkeit einer nächtlichen Bootsfahrt vertiefen konnte.

Welche Erkenntnisse haben Sie über die Luna-Parks, die es in Leipzig gab?

Es gab in Leipzig drei Parks. Neben dem großen in Leipzig-Wahren, noch die Parks in Meusdorf und Böhlitz-Ehrenberg. Letzterer wirkt auf den alten Ansichtskarten mehr wie eine Großgastronomie mit verschiedenen Tanzsälen. Der Park in Meusdorf entwickelte sich aus einem Ausflugslokal, das im Rahmen des Jubiläums der Völkerschlacht großen Zuspruch erhielt, zwar wurde auch dieser Park um einige Attraktionen wie etwa einem Diorama und vor allem einem Aussichtsturm erweitert, aber insgesamt wirkt dieser Park im Vergleich mit dem Park in Leipzig Wahren, eher wie eine Erlebnisgastronomie. Von den Parks ragt für mich der Park in Leipzig-Wahren auf eine besondere Art heraus. Nicht allein wegen seiner Attraktionen, die es vergleichbar auch in anderen Parks gab, sondern weil er an diesem riesigen See angelegt wurde und mit diesem auch selbstbewusst warb. An diesem See zeigte sich eine Badekultur, zumal dieser bereits Heimat von Sport- und Schwimmvereinen war, die auf den Abbildungen der anderen Parks so nicht sichtbar wird und an die Seebäder in Blackpool und natürlich auch auf Coney Island erinnert. Badespaß als Vergnügungsangebot, Schwimmen als Attraktion, das ist, was für mich den Leipziger Park in Wahren im Vergleich zu den anderen Luna Parks auszeichnet. Er wirkt in der Rückschau wie ein früher Urahn der heutigen Badewelten und Erlebnisbäder.

Mehr Informationen erfahren Sie in meinem Buch.

Aktuelles: www.sacha-szabo.de, www.institut-theoriekultur.de


Autor/in

  • studierte Verlagswirtschaft, Hobbyhistoriker und Veranstalter in Leipzig. Über ein Jahrzehnt ist er mitentscheidend beim Wiederaufbau des Leipziger Musikpavillons zu einem generationsübergreifenden Treffpunkt. In verschiedenen Engagements setzt er sich für Projekte ein, die einen lokalhistorischen Bezug haben. Ehrenamtliches Mitglied in mehreren Vereinen, Förderer und Jury-Mitglied beim Gert-Triller-Preis für Musikkultur der Leipziger Notenspur e.V.

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