Wer in früherer Zeit nach Leipzig kam und nicht gerade ein Hypochonder und abgesagter Feind aller Lebensgenüsse war, der versäumte nicht, das sogen. Schützenhaus zu besuchen, welches sich als ein Vergnügungsinstitut ersten Ranges einen weitverbreiteten Ruf erfreute. Infolge ungünstiger Zeitverhältnisse und verfehlter Speculationen verlor jedoch das altrenommirte Etablissement immer mehr von seiner einstigen Zugkraft, und endlich, nachdem eine Feuersbrunst im verflossenen Jahr einen Theil desselben, das Trianon, in Asche gelegt hatte, schien es mit der Existenz des Schützenhauses überhaupt zu Ende zu sein. Da brachte ein gewandter energischer Unternehmer, Hr. Eduard Berthold, das Schützenhaus käuflich an sich und ließ im Anschluß an das alte ein neues Etablissement, den „Krystallpalst“, entstehen, welcher am 16. April während der diesjährigen Ostermesse dem Publikum seine Pforten öffnete. Der nach dem Plan eines jungen Architekten, des Hrn. C. Planer, und unter dessen Leitung in kürzester Frist fertig gestellte Neubau ist großentheils aus Glas und Eisen ausgeführt und rechtfertigt somit seinen Taufnamen. Die unmittelbar mit den Sälen des frühern Schützenhauses verbundenen Neubauten des Krystallpalastes zerfallen in den großen Parterresaal, welcher Restauration, Wiener Café und ein kleines Theater enthält, und in den mit Galerien und reicher Ornamentik geschmückten Haupttheater- und Musiksaal, welcher, von azurblauer Glaskuppel überwölbt, sich in großartigen Dimensionen ausdehnt. Auf der geräumigen Bühne, die derselbe enthält, werden kleine Lustspiele, Operetten, Ballets u. f. m. aufgeführt und geben Salonkünstler aller Art ihre eleganten Productionen zum besten. Die artistische Leitung des Theaters und die der beiden Hauskapellen, welche allabendlich concertiren, ist bewährten Kräften anvertraut. Unter dem Parterresaal befindet sich eine Centralheizung, durch welche die großen Säle und Nebenräume bei dem Kältegrad bis zu 20 Grad und mehr erwärmt werden können. Diese Centralheizung ist nach bestem System mit kräftiger Ventilation angelegt, welche noch durch einen turbinenartigen großen Ventilator verstärkt werden kann. Derselbe wird gleich der elektrischen Gartenbeleuchtung durch starke Gasmotore in Betrieb gesetzt. Die Beleuchtung des Großen Saals erfolgt durch zwei Grove’sche Sonnenbrenner von je 1760 Normalkerzenstärke, während die übrigen Räumlichkeiten durch Gas erleuchtet werden. Nach der Gartenseite schließen sich an diese Säle Colonnaden und Veranden in ein und zwei Stockwerk-Höhe, die rund um den ganzen Garten gehen. Diese Colonnaden sollen zugleich als Skating-Rink dienen, während die Veranden dem Besucher eine reizende Aussicht auf die neugeschaffenen, abends in effectvoller elektrischer Beleuchtung strahlenden Gartenanlagen gewähren.
Dies das Etablissement, welches gewiß allen Anforderungen der Neuzeit entspricht und daher auch seit seiner Eröffnung den Hauptanziehungspunkt für Einheimische und Fremde bildet. Wenn sich abends die strahlenden Theatersäle öffnen, in welchen während der Messe gleichzeitig gespielt und concertirt wird, dann füllen sich die Räume rasch mit fröhlichen Menschen, welche sich von der heitern leichtgeschürzten Muse, die hier das Wort führt, die Alltagssorgen hinwegscherzen lassen. Aber nicht nur dem großen Publikum, sondern auch geschlossenen Gesellschaften bietet der Krystallpalast einen comfortablen Versammlungsort. So wird beispielsweise die erste Privatfestivität, welche in seinen Räumen in Aussicht genommen ist, das große Cantate-Festessen der Buchhändler sein, welches alljährlich zur Ostermesse stattfindet. Möge denn dieses zeitgemäße und von seinem Unternehmer in großartiger Weise geleitete Etablissement, welches der Entwicklung Leipzigs zur Großstadt Ausdruck verleiht und bei dem starken Verkehrswesen der alten Handelsmetropole einem thatsächlichen Bedürfniß entspricht, einer recht glücklichen Zukunft entgegengehen und im Krystallpalast zu Leipzig der Ruhm des alten Schützenhauses wiederaufleben.
Der neue Krystallpalast in Leipzig, in: Illustrierte Zeitung Leipzig vom 6. Mai 1882. Band 78, 1. Halbjahr, S. 365-368.