Der 1899 eröffnete Palmengarten am Ufer der Elster war nicht nur eines der beliebtesten Ausflugsziele der Leipziger Bürgerschaft, sondern auch ein wichtiger Schauplatz des Musiklebens der Messestadt. Neben einem reizvoll gestalteten Landschaftspark samt Wasserspielen und mehreren Lokalen bot die Anlage die Möglichkeit, Konzerte im zentralen Gesellschaftshaus oder unter freiem Himmel zu veranstalten. Bereits die Eröffnungsfeier des Palmengartens im Frühjahr 1899 wurde durch ein Festkonzert bereichert und ab der ersten Saison spielten diverse lokale Orchester und Kapellen an so gut wie jedem Wochentag. Bei guten Wetter begannen Musikvorführungen am späten Nachmittag auf dem „Concertplatz“ am Rande des künstlich angelegten Sees und reichten bis in die Abendstunden. Diese Konzerte ziviler wie militärischer Musikgruppen wechselten häufig mit anderen Attraktionen wie Feuerwerk oder „kinematographischen Vorführungen“, einer Frühform des Kinos, ab und wurden von der Betreibergesellschaft des Parks ausführlich beworben. Der Palmengarten war allerdings nicht nur für Leipziger Orchester und Militärkapellen aus der näheren Umgebung interessant, sondern zog bald auch internationale Musikgruppen an. Zu den denkwürdigsten Auftritten ausländischer Gäste zählen sicherlich die Konzerte des US-Amerikaners John Philip Sousa und der von ihm geleiteten Sousa’s Band im Sommer des Jahres 1900.

John Philip Sousa und seine Band, die aus der Tradition der US-amerikanischen Militärkapellen entstanden war, besuchten ab Mai 1900 im Rahmen einer ausgedehnten Tournee erstmals Europa. Dabei waren die mehr als 60 Musiker und ihr Dirigent keine Unbekannten, da die europäische Presse schon zuvor über den als „March King“ bezeichneten Sousa berichtet und ihn als Botschafter einer „typisch amerikanischen“ Musik vorgestellt hatte. Tatsächlich hatten sich Sousa und seine Band auf mehreren USA-Tourneen den Ruf einer außergewöhnlich leistungsfähigen und professionell geführten Marching Band erworben. Neben dem einheitlichen Auftreten der Musiker in eigens angefertigten Uniformen fanden besonders die starke Besetzung des Ensembles sowie das von Sousa selbst entwickelte „Sousaphon“, ein besonders tiefes Blechblasinstrument, das den Spieler komplett umschließt, große Beachtung in der europäischen Öffentlichkeit. Das Repertoire der Sousa’s Band setzte sich einerseits aus typischen Militärmärschen und anderseits aus von Sousa für sein Ensemble angefertigten Arrangements bekannter klassischer Werke zusammen. Ein wichtiger Bestandteil waren zudem virtuose Stücke, in denen Solisten aus den Reihen der Band ihr Können unter Beweis stellen konnten. Die Sousa’s Band konkurrierte also durchaus mit den sonst im Palmengarten auftretenden, mitteldeutschen Militärkapellen und wurde von der Musikpresse entsprechend ambivalent betrachtet. Während diese einerseits die außerordentliche Leistungsfähigkeit und Disziplin des Ensembles lobte, wurde insbesondere die Interpretation der Musik Richard Wagners zurückhaltend besprochen und die schiere Größe der Band als typisch amerikanische „Gigantomanie“ wahrgenommen.
Insgesamt spielten Sousa und Band acht Konzerte im Palmengarten, ab dem 10. Juni, einem Sonntag, zweimal täglich, jeweils einmal nachmittags und am Abend. Für das erste dieser Konzerte, das offenbar bei bestem Wetter stattfand, schätzen die Leipziger Neuesten Nachrichten das Publikum auf mehr als 10.000 Menschen, das Leipziger Tageblatt und Anzeiger ging sogar von 12.000 Zuhörenden aus. Die Leipziger Zeitungen ließen in den nächsten Tagen kaum eine Gelegenheit aus, über die Konzerte der US-Amerikaner zu berichten und ihre Leserschaft über die noch ausstehenden Auftritte zu informieren. Dass die Reaktionen auf die dargebotene Musik wie bereits erwähnt nicht nur positiv ausfielen, verdeutlicht der Artikel eines Kritikers, der zwar Sousas sicheres und ungezwungenes Dirigat lobte, ihm jedoch zugleich vorwarf, „schwierige Musikstücke“ wie die Tannhäuser-Ouvertüre „auf die leichte Achsel“ zu nehmen. Das Publikum nahm Sousa und seine Band jedenfalls so positiv auf, sodass auch die Konzerte in den nächsten Tagen überaus gut besucht waren. Dass es trotzdem zu einigen kleineren Verständnisschwierigkeiten kam, belegt ein Leserbrief, der einige Tage nach Sousa’s erstem Auftritt im Palmengarten im Leipziger Tageblatt und Anzeiger erschien: der nicht namentlich genannte Verfasser verweist auf die nur in englischer Sprache verfügbaren Programmzettel und beklagt in diesem Zusammenhang die mangelnde Höflichkeit der Gäste aus Übersee und den Umstand, „daß sich das amerikanische Publicum im umgekehrten Falle niemals ein deutsches Programm gefallen lassen würde“.
Der veröffentlichte Text erschien im Lotterbrief 15 | August 2025, Seite 26 f., der Hieronymus-Lotter-Gesellschaft zur Förderung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig e.V. (HLG). Abonnieren Sie den Lotterbrief unter www.lotter-gesellschaft.de/wir-ueber-uns/lotterbrief.
Siehe auch – Amerikanischer Marschkönig John Philip Sousa – Dirigent
„Sousa Band Press Books“, auf Marines. The official website of the United States Marine Corps, www.marineband.marines.mil/About/For-Researchers/Sousa-Band-Press-Books/
„John Philip Sousa“, auf Marines. The official website of the United States Marine Corps, www.marineband.marines.mil/About/Our-History/John-Philip-Sousa/
Tobias Faßhauer, »Hands Across the Sea« – John Philip Sousa und der musikalische Amerikanismus in Kontinentaleuropa
Digitale Sammlungen der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden unter < www.digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/188075/1 > (Leipziger Tageblatt und Anzeiger) und < www.digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/141582/1 > (Leipziger Volkszeitung).
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