Amerikanischer Marschkönig John Philip Sousa – Dirigent

Bild von John Philip Sousa um 1900 aus der Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C. 20540 USA.

Den Musikfreunden wird während der bevorstehenden Sommermonate eine ganz besonders reiche Abwechslung geboten werden. Wie bereits mitgetheilt, giebt in der Zeit vom 10. bis 13. Juni das aus 76 Künstlern bestehende amerikanische Orchester unter Leitung des Componisten John Philipp Sousa täglich zwei Concerte im Palmengarten. Dieses Gastspiel dürfte sich zu einem bedeutsamen Ereigniß für unsere Musikstadt Leipzig gestalten. Außer diesem hier zum erstenmale erscheinenden Orchesterkörper werden noch eine größere Anzahl von Militärcapellen aller Waffengattungen im Palmengarten concertiren, darunter auch das als beste deutsche Militärcapelle bekannte und von unserem Kaiser wiederholt ausgezeichnete Musikcorps des großherzoglich badischen Leib-Grenadierregiments aus Karlsruhe, dessen genialer Dirigent, der königliche Musikdirector Adolph Boettge, seine weit und breit berühmt gewordenen historischen Concerte bieten wird. Vielfachen Wünschen entsprechend sind auch für diesen Sommer wieder mit den Capellen des 27. Infanterie-Regiments aus Halberstadt und des 32. Infanterie-Regiments aus Meiningen Verträge abgeschlossen worden. [1]

Zum ersten Male seit 22 Jahren kommt eine amerikanische Kapelle nach Deutschland, und zwar die des Kapellmeisters und Komponisten John Philip Sousa aus Washington, die demnächst im Bergkeller Konzerte veranstalten wird. Sousa erhielt seine musikalische Ausbildung in Amerika, war schon mit elf Jahren Solo-Violinist, dirigierte mit 17 Jahren ein Orchester und ist jetzt der erfolgreichste Musiker der „Neuen Welt“. Sousas bisher veröffentlichte Kompositionen zählen 300 Nummern, die 70 seiner charakteristischen Märsche, vier erfolgreiche Operetten, symphonische Dichtungen, Suiten ec. umfassen. Diese deutsche Rundreise der John Philip Sousa-Kapelle ist dadurch ermöglicht worden, daß sie die offizielle amerikanische Kapelle bei der diesjährigen Pariser Weltausstellung ist. Die Programme sollen aus den besten Kompositionen aller Völker zusammengestellt sein. [2]

Concerte im Leipziger Palmengarten. Wie bei dem vortrefflichen Rufe, deren sich die Regimentscapelle der 27er aus Halberstadt erfreut, nicht anders zu erwarten ist, üben die Concerte derselben zur Zeit eine große Anziehungskraft aus. Herr Musikdirector Hellmann leistet mit seiner erprobten Schaar thatsächlich ganz Vorzügliches und erntet nach jedem Vortrage wohlverdienten Beifall. Die Concerte der 27er finden während dieser Woche einschließlich Sonntag, den 13. Mai, täglich Nachmittags und Abends statt. Vom 14. bis 19. Mai concertiren abwechselnd die hiesigen Militärcapellen, während am 20. Mai der bekannte Componist Franz von Blon mit seinem Berliner Philharmonischen Blas-Orchester ein auf 5 Tage, d. i. bis einschließlich Himmelfahrt, berechnetes Gastspiel eröffnet. Vom 31. Mai bis 5. Juni (Pfingsten) spielt die berühmte Capelle des 7. bayerischen Infanterie-Regiments aus Bayreuth, vom 10. bis 13. Juni die Amerikanische Militärcapelle unter Leitung des Componisten Sousa, Ende Juni erscheinen die beliebten 32er aus Meiningen, Anfang Juli auf einige Tage die Capelle des I. bayr. Ulanen-Regiments aus Bamberg, vom 8. bis 15. Juli königl. Musikdirector Adolf Boettge aus Karlsruhe mit seinen historischen Concerten, in den letzten Tagen des Juli die großherzogl. mecklenburgische Grenadier-Capelle, zugleich Hofcapelle des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz, im August die als vorzüglich bekannten Capelle des 9. bayer. Infanterie-Regiments „Wrede“ aus Würzburg und schließlich während der Manöverzeit das von der 1897er Ausstellung her noch bestens bekannte Musikcorps des kaiserl. I. Seebataillons aus Kiel. [3]

John Philip Sousa, unbestritten der hervorragendste unter den amerikanischen Capellmeistern und Componisten, wird von Sonntag, den 10., bis einschließlich Mittwoch, den 13. Juni 1900, seine vielbewunderte Capelle im Palmengarten vorführen. Sousa, dessen populären, frischen Märsche (Washington-Post, Liberty Bell, Stars and Stripes Forever, und viele andere) seinen Namen einen Weltruf verliehen haben, ist 12 Jahre lang Dirigent der Nationalcapelle der Vereinigten Staaten-Regierung gewesen und hat seine jetzt bestehende Concertcapelle, die unter den gegenwärtig existirenden Orchesterkörpern eine ganz eigenartige Stellung behauptet, selbst organisirt. In den letzten 8 Jahren hat diese Capelle nicht weniger als 4000 Concerte in den Hauptstädten der Vereinigten Staaten und Canadas gegeben. Auf der Weltausstellung in Chicago, den Industrie-Ausstellungen in St. Louis, Missouri und Pittsburg war die Sousa-Capelle das officielle Ausstellungs-Orchester. Durch seine überaus anziehende Dirigirungskunst ist Sousa der Liebling des amerikanischen Volkes geworden, und die ersten Kritiker haben die Leistungen seiner Capelle als ganz vorzügliche anerkannt. Für die Pariser Weltausstellung ist die Sousa-Capelle als officielle musikalische Vertretung der amerikanischen Regierung erwählt worden, und diesem Umstande dürfen wir auch nur die interessante Bekanntschaft mit dieser Capelle verdanken. Der Erfolg, den Sousa bei seinem Auftreten in Paris und seit einigen Tagen in Berlin, wo er täglich im Neuen königlichen Operntheater, früher Kroll, spielt, zu verzeichnen hat, ist ein bedeutender. [4]

Am Sonntag Vormittag trifft der amerikanische Componist und Dirigent John Philip Sousa mit seinem Orchester hier ein, um bereits an demselben Tage sein erstes Concert im Palmengarten zu geben. Wie zu der Berlin im Neuen Königlichen Operntheater und zu Hamburg in Ludwig‘s Concerthaus, so veranstalten die Amerikaner auch hier ihre Concerte, welche bekanntlich von Sonntag, den 10. bis einschließlich Mittwoch, den 13. Juni, stattfinden, auf eigene Rechnung. Es macht sich deshalb nothwendig, an den genannten 4 Tagen von Nachmittags 2 Uhr ab die Giltigkeit der Dauerkarten des Palmengartens aufzuheben. Die Abonnenten genießen jedoch den Vortheil, daß ihnen von 2 Uhr ab der Zutritt zum Garten und damit auch zu den Sousa-Concerten gegen Bezahlung von 50 pf. Für Erwachsene und 25 pf. Für Kinder zusteht. Inhaber von Actionärkarten haben kein Eintrittsgeld zu entrichten. Für Personen, welche weder Actionäre, noch Abonnenten des Palmengartens sind, beträgt das Eintrittsgeld am Sonntag, den 10. Juni 1 Mark, Kinder 50 pf.; am Montag, Dienstag und Mittwoch dagegen bis 2 Uhr Nachmittags 1 Mark, Kinder 50 pf., nach 2 Uhr 1,50 Mark für Erwachsene und 75 pf. für Kinder. Mit welch gewaltigen Unkosten Sousa‘s großartige Concert-Unternehmung verbunden ist, dürfte daraus hervorgehen, daß allein die an die einzelnen Künstler zu zahlenden Honorare zwischen 35 und 200 Dollar für die Woche schwanken, was einen recht stattlichen Gegenetat darstellt. Die letztgenannte, für europäische Verhältnisse enorme Gage beziehen acht Capellmeister, welche der Sousa-Capelle als Solisten angehören und, wie Mr. Clarke und Mr. Pryor, fast ausschließlich eigene Compositionen zum Vortrag bringen. [5]

Morgen Sonntag eröffnet das amerikanische Orchester unter Leitung John Philip Sousa‘s sein auf 4 Tage berechnetes Gastspiel im Palmengarten. Die Programme werden außer den Perlen europäischer Tonkunst auch eine Auslese der beliebtesten Compositionen Sousa‘s enthalten und sicher auch hier mit demselben großen Beifall ausgenommen werden, wie dies in Berlin und Hamburg der Fall war. [6]

Nun hat der musikalische Tageslöwe der Amerikaner, John Sousa, mit seiner Capelle auch in der Musikstadt Leipzig debutirt und, wie gleich von vornherein erwähnt sein mag, eine freundliche Aufnahme gefunden. Der Palmengarten, in dem die Capelle concertirt, war bei ihrem gestrigen Auftreten überaus zahlreich besucht und das Sonntagspublicum war offenbar der transoceanischen Capelle gegenüber in sehr beifallsfreudiger Stimmung. Den Musikfreunden freilich haben die Leistungen der Sousa‘schen Capelle nicht in dem Maße entsprochen, wie man nach ihren mit allen Mitteln moderner Reclame geförderten Rufe hätte erwarten dürfen. Der naheliegende Vergleich mit unseren heimischen Capellen, die auf gute volksthümliche Musik den Hauptwerth legen, fällt zu Gunsten unserer Capellen aus, jedenfalls leisten die Amerikaner nicht viel Besseres, als so manches unserer Musikcorps, die weniger die „Werbetrommel des Ruhmes“ zu rühren verstehen. Und doch gewährt es einen eigenthümlichen Reiz, „Sousa and his Band“ zu hören. Sousa ist Musiker durch und durch und offenbar mit Leib und Seele Dirigent. Ueber dreihundert Compositionen sind seiner Feder entflossen und viele Kinder seiner Muse haben in aller Welt Anklang gefunden, ja, die „Washington Post“, die bekanntlich gegenwärtig auf der musikalischen Tagesordnung steht, hat eine Popularität erlangt, die fast beängstigend erscheint. Kein Wunder, daß man in Leipzig, wo alle musikalischen Neuerscheinungen mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt werden, auch dem Auftreten Sousa‘s mit Spannung entgegensah. Angenehm berührte die Art und Weise, wie er dirigirt, die Sicherheit und das Ungezwungene, ja das Graziöse seines Auftretens. Andererseits führt gerade diese Nonchalance dazu, manche der schwierigeren Musikstücke „auf die leichte Achsel“ zu nehmen; ganz eigenartig war zum Beispiel gestern die Aufführung der „Tannhäuser-Ouverture“ und der 14. Ungarischen Rhapsodie von Liszt, auch die Wiedergabe verschiedener Tonsätze aus Leoncavallo‘s „Bajazzo“ hätte künstlerisch vollendeter sein können. Unbedingt Sieger blieb die Capelle in der Aufführung Sousa‘scher Compositionen, in denen übrigens auch besondere Effecte, wie das Abschießen einer Pistole und das Pfeifen im Chor nicht verschmäht wurden. Die Mitglieder der Capelle sind vortrefflich geschult, nicht sowohl in künstlerischer Ausbildung, als vielmehr auch durch die Gewohnheit, vorwiegend Musik einer Richtung zu cultiviren. Daß auch Solisten von großem künstlerischen Vermögen in der Capelle sich befinden, das bewiesen Herbert Clarke, Arthur Pryor, Frank Hell und Walter Rogers, von denen namentlich der letztere durch den überaus zarten und innigen Vortrag des Liedes „Erinnerung an Neapel“ auf dem Piston die Zuhörerschaft erfreute. Alles in Allem genommen: die Capelle rechtfertigt zwar nicht die außerordentlichen Anforderungen, die man nach den vorausgegangenen Riesenreclamen zu stellen berechtigt war, aber sie zählt doch zu den hervorragenderen internationalen Concert-Unternehmungen; wir dürfen der Direction des Palmengartens nur dankbar sein, daß sie uns auch mit dieser musikalischen Neuerscheinung bekannt gemacht hat – g. [7]

(Eingesandt.) Die Verwaltung des „Palmengartens“ hat für die Zeit der „Sousa“-Concerte die Benutzung der Dauerkarten nur durch Zahlung eines Extra-Eintrittsgeldes möglich gemacht. Wenn schon der Inhaber einer Dauerkarte nach den ihm bekannten Bedingungen bei besonderen Vereins-  ec. Festlichkeiten auf den freien Besuch des Gartens, der ganz oder theilweise gesperrt wird, verzichten muß, so ist es doch unbillig, weil eine etwas theurere Capelle spielt, ein Sondereintrittsgeld zu erheben und damit den Werth der Dauerkarten herabzudrücken. Spielen Capellen nicht anders als auf eigene Rechnung, nun dann sollen sie eben im Palmengarten nicht auftreten, oder die Verwaltung des Palmengartens muß anderweite Vorkehrungen treffen, damit die Dauerkarteninhaber nicht extra bezahlen müssen. [8]

Wohl selten hat eine Capelle so rauschenden Beifall gefunden, wie die amerikanische, die seit Sonntag unter John Philip Sousa’s Leitung mit erheblichem Erfolge in unserem beliebten Vergnügungs-Etablissement, dem Palmengarten, concertirt. Nicht weniger als 12 000 Personen haben am ersten Concerttage den eigenartigen Darbietungen der Sousa-Capelle mit größter Aufmerksamkeit gelauscht, und auch an den Wochentagen versammelte sich ein überaus zahlreiches Publicum vor der Musikhalle und wurde nicht müde, dem interessanten Dirigenten und seinen wohlgeschulten Künstlern nach jeder Nummer des reichhaltigen Programms durch stürmischen Applaus seine Sympathien zu bekunden. Auffallend stark war auch der Besuch der Concerte aus der näheren und weiteren Umgebung Leipzigs, insbesondere aus Chemnitz, Plauen, Zwickau u.s.w., Städte, welche wegen der Unkosten, die Sousa’s Unternehmen verursacht, von dieser Capelle nicht berührt werden können. Es ist vorauszusehen, daß die Betheiligung der musikliebenden Kreise unserer Stadt auch gelegentlich der heutigen Abschieds-Concerte eine ganz ungewöhnliche sein wird. [9]

Eine Klage gegen den „Marschkönig“ Sousa. Das Staats-Obergericht von Pennsylvanien bestätigte am 8. d. Mts. in dem Proceß von Frau Ada Blakely gegen den bekannten amerikanischen „Marschkönig“ John Philip Sousa die Entscheidung der unteren Instanz. Blakely war vor seinem Tode, der im November 1896 erfolgte, Geschäftsführer und Eigenthümer von Sousa‘s Capelle. Nach Blakely‘s Tode setzte Sousa die Concerte unter seiner persönlichen Leitung fort und beanspruchte die Bibliothek, das Inventar der Capelle und die Tantièmen aus den „Copyrigts“ als sein ausschließliches Eigenthum. Die Blakely-Erben widersetzten sich dieser Forderung und machten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche durch Frau Blakely eine Klage anhängig. Hierbei erhoben sie Ansprüche auf die ganze Bibliothek, auf die Hälfte der Tantièmen aus den „Copyrighted“- Musikstücken, die von Sousa componirt worden waren, und auf die Hälfte der Concerteinnahmen bis zum 1. August 1900. In dem Erkenntniß des Gerichts wurden alle Forderungen zu Gunsten der Blakely-Erben entschieden, nur wurde der Anspruch auf die Concerteinnahmen nach dem 23. Mai 1897 abgewiesen. Der Hauptstreit wurde um die Tantièmen geführt, die sehr werthvoll sind. Dieselben beziffern sich bis jetzt auf 400 000 Mark. Frau Blakely‘s Ansprüche auf die Hälfte dieser und aller zukünftigen Tantièmen Sousa‘s sind jetzt endgiltig zu Gunsten der Familie Blakely entschieden worden. [10]


[1] Vom Leipziger Palmengarten, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 22. März 1900. Frühausgabe, S. 2390.

[2] Örtliches, in SLUB Dresden: Dresdner Journal vom 8. Mai 1900. Abendausgabe, S. 889.

[3] Concerte im Leipziger Palmengarten, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 9. Mai 1900, 5. Beilage. Frühausgabe, S. 3851.

[4] Sousa-Concerte im Leipziger Palmengarten, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 3. Juni 1900, 3. Beilage. Sonntagausgabe, S. 4573.

[5] Vom Leipziger Palmengarten, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 8. Juni 1900. Frühausgabe, S. 4683.

[6] Sousa-Concerte im Leipziger Palmengarten, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 9. Juni 1900, 2. Beilage. Frühausgabe, S. 4711.

[7] Musik, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 11. Juni 1900, 1. Beilage. Abendausgabe, S. 4781.

[8] Leserbrief, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 11. Juni 1900. Abendausgabe, S. 4779.

[9] Musik, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 13. Juni 1900. Frühausgabe, S. 4824.

[10] Eine Klage gegen den „Marschkönig“ Sousa, in SLUB Dresden: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 22. Oktober 1900. Frühausgabe, S. 8336.


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