Gespräch mit Experten – Daniela Neumann zum Palmengarten

Daniela Neumann forscht seit 2016 zur Geschichte des Leipziger Palmengartens. In Ihren Rundgängen durch die Parkanlage vermittelt sie die fast vergessene Kulturgeschichte der einst „vornehmsten Erholungsstätte“ in Leipzig. Nicht viele Leipziger kennen die Anfänge und das Ende des Palmengartens. Im Interview zählt sie Gründe auf, warum es lohnenswert ist, die alte Parkanlage bei einem Rundgang neu kennenzulernen. Frau Neumann, Sie beschäftigen sich sehr intensiv und leidenschaftlich mit der Geschichte des Leipziger Palmengartens. Wie kamen Sie dazu? Ich wohne und arbeite in der Nähe der Parkanlage und irgendwann ist mir der Begriff Palmengarten aufgefallen, mit dem ich zunächst überhaupt nichts anfangen konnte. Erst seit 2011 wird ja der Palmengarten auch wieder so genannt, bis dahin war das Palmengartenwehr das einzige, das zumindest vom Namen her noch an die Vorgeschichte der nahe gelegenen Grünanlage erinnerte. 2015 wurden in der Käthe-Kollwitz-Straße die „Villen am Palmengarten“ fertiggestellt, und da habe ich mich dann endgültig gefragt, was es mit dem Palmengarten auf sich hat. Ich begann, im Internet zu recherchieren, landete bei historischen Postkarten und war fasziniert von der prächtigen Geschichte des Palmengartens und gleichzeitig auch überrascht, wie wenig davon doch öffentlich bekannt war. Es macht mir viel Spaß, z.B. auf Postkarten etwas über die frühere Gestaltung des Palmengartens herauszufinden. Inzwischen habe ich schon über 200 verschiedene Ansichtskarten vom Park, aber gewiss gibt es noch viele Dinge, die zu entdecken sind. Mein Interesse am Palmengarten rührt also nicht so konkret vom Palmengarten selbst her, sondern entstand deshalb, weil meine Neugier geweckt war, weil ich mir die Informationen dazu selbst beschaffen musste. Ähnlich geht es mir inzwischen mit dem Clara-Zetkin-Park, der ja aus der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung von 1897 hervorgegangen ist, was heute auch nur wenigen bekannt ist. In dem Sinne gehört meine Leidenschaft eigentlich allen Dingen, die in unserer Stadt geschehen aber zu wenig bekannt sind, und die aus dem Vergessen geholt werden sollten. Sie erwähnten die STIGA 1897, spielte diese bei der Errichtung des Palmengartens eine Rolle? Gibt es noch Relikte aus dieser Zeit im heutigen Palmengarten zu sehen? Konkret zu sehen ist nur noch der eiserne Pavillon auf dem Hügel an dem Teich mit der Fontäne. Ich vermute, dass es sich hierbei um ein Ausstellungsstück handelt, das ursprünglich in einer der Hallen der Gewerbeausstellung gestanden hat, weil ich ihn auf offiziellen Fotos der Außenanlagen nie entdecken konnte. Es gibt aber weitere Zusammenhänge: Die Architekten des Gesellschaftshauses im Palmengarten waren die Leipziger August Hermann Schmidt und Arthur Johlige, die auch für den Entwurf der palastartigen Industrie- und Gewerbehalle, dem Wahrzeichen der Ausstellung von 1897, verantwortlich gewesen waren. Beim Vergleich von Fotos der Bauten lassen sich einige Parallelen erkennen. Durch den Rückbau des Ausstellungsgeländes konnte Baumaterial für das Gesellschafts- und das Palmenhaus wiederverwendet werden. Dem Lindenauer Gärtnermeister Otto Moßdorf, der 1897 an der Gestaltung der Außenanlagen der Gewerbeausstellung beteiligt war, wurde die komplette gärtnerische Gestaltung des Palmengartens übertragen, trotzdem der Sieger der Ausschreibung eigentlich ein Gärtner aus dem Frankfurter Palmengarten war und Moßdorf nur den zweiten Platz belegt hatte. Es ist auffällig, dass bei der Umsetzung diverser „Großprojekte“ damals immer auf die Kompetenz vor Ort zurückgegriffen wurde. Sie sprechen den Frankfurter Palmengarten an. Warum gab es in Leipzig überhaupt den Wunsch, einen Leipziger Palmengarten aufzubauen? Den Palmengarten in Frankfurt gab es seit 1871, und er entstand aus einer privaten Initiative heraus. In Leipzig wurde das Projekt von Bürgermeister Otto Georgi initiiert, der mit einigen Dutzend Mitstreitern eine Aktiengesellschaft zur Errichtung und Betreibung eines Palmengartens gründete. Ich denke, über das Verhältnis der zwei Messestädte Frankfurt und Leipzig muss ich nicht viel sagen. Der Leipziger Oberbürgermeister hatte aber mehr im Blick als nur mit Frankfurt gleichzuziehen, denn die Stadt hatte eine Vervielfachung der Einwohnerzahl zu bewältigen (1871: 107.000, 1899 450.000) und war eine aufsteigende Industriestadt. Der Bedarf an Erholung und Entspannung außerhalb der Fabriken und der engen Stadtmitte, die um die Jahrhundertwende eher einer Großbaustelle glich, war sehr hoch. Das gesellschaftliche Leben der Stadt war sehr vielfältig, es brauchte auch Raum für Veranstaltungen von Vereinen, Unternehmen, Studentenverbindungen, Chören, Logen u.v.a. mehr. Von Vorteil für die Umsetzung der Idee war auch, dass die geplante Fläche durch die Gartenbauausstellung von 1893 bereits größtenteils erschlossen war, und auch die Baumaterialien von der Gewerbeausstellung von 1897 wiederverwendet werden konnten. Man musste sozusagen nicht von Null anfangen. Von Anfang an hat die Stadt Leipzig dem Projekt wesentliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Es ging dem Bürgermeister aber ganz klar auch um die Aufwertung der Stadt als lohnendes Besuchsziel für auswärtige Gäste. Ich habe eine ganze Reihe von Postkarten, auf denen der Palmengarten gemeinsam mit dem Alten Rathaus, der Thomaskirche, dem Mendebrunnen, der Kongresshalle am Zoo und vielen anderen Sehenswürdigkeiten, die wir größtenteils heute noch kennen, abgebildet ist. Der Palmengarten war eine Attraktion nicht nur für die Leipziger. In den 30er Jahren ist z.B. auch der Stummfilmstar Henny Porten im Palmengarten gewesen und hat Autogramme gegeben. Der Park hat aber auch ausländische Besucher angezogen. In meinem Besitz sind Ansichtskarten, die in Englisch, Französisch, Niederländisch und sogar Japanisch geschrieben wurden! Würden Sie sagen, dass die Geschichte des Leipziger Palmengartens vergessen ist? Gibt es Gründe warum wir sie nicht vergessen sollten? Das kommt auf die Perspektive an. Für mich ist sie inzwischen kein Fragezeichen mehr und durch die regelmäßigen Führungen versuche ich meinen Beitrag dafür zu leisten, dass dieses Stück Stadtgeschichte in Erinnerung bleibt. Unbestritten ist das Potential vorhanden, im Park selbst die Vergangenheit ins Heute zu holen. Dabei denke ich nicht zwingend an Informationstafeln, sondern der bisher noch kaum konzeptionell gestaltete Park könnte als Modell für einen ganz modernen Park des 21. Jahrhunderts werden: interaktiv, multimedial. Ich habe zum Beispiel woanders schon Parkbänke gesehen, die auf Knopfdruck Musik spielen oder kleine Räume, in denen man per Augmented Reality in die Kostüme der Zeit schlüpfen kann. Die Aneignung von Geschichte muss nicht langweilig sein. Modernes Ausstellungsdesign kann hier vielfältige Anregungen bieten. Die Stadt Leipzig könnte in die Fußstapfen von Otto Georgi treten und einen Park kreieren, der wieder zum Anziehungspunkt nicht nur für Leipziger sondern auch auswärtige Gäste wird. Das wäre gleichermaßen eine … Weiterlesen

Gespräch mit Experten – Dr. Enrico Ruge-Hochmuth zur STIGA

Dr. Enrico Ruge (vorm. Hochmuth) beschäftigt sich seit den 1990er Jahren mit den Themen der Industriekultur und speziell mit den Gewerbeausstellungen in Sachsen. Sein Buch gibt erstmals einen Gesamtüberblick über das sächsische Ausstellungswesen bis ins 20. Jahrhundert hinein und ordnet diese in einen regionalen, nationalen und internationalen Kontext ein. Dr. Ruge, Sie beschäftigen sich mit den Gewerbeausstellungen in Sachsen. Was erzählen Sie Jemandem, der noch nichts über die Gewerbeausstellungen gehört hat? Welche Bedeutung würden Sie der STIGA 1897 in Leipzig zusprechen? Das es ab dem frühen 19. Jahrhundert viele Schauen gab, die zu Volksfesten wurden. Sie verbanden Industrie und Kultur miteinander und prägen unser Konsumverhalten bis heute. Denn dort wurde diskutiert und ausgezeichnet, was „schön“ oder was „funktionell“ ist, die Gesellschaft für den Umgang mit Design sensibilisiert. Auch regionale Produktmarken, wie „Plauener Spitze“, „Bautzner Senf“ oder „Glashütter Uhren“ wurden durch diese Veranstaltungen nachhaltig verfestigt. Aber der Bildungsaspekt spielte auch eine Rolle, um Ängste vor der technisierten Welt abzubauen. Der Industriemensch tickt anders und sollte gut funktionieren. So konnte das Produkt und oft auch dessen Herstellungsweise direkt erfahren und manchmal auch in kulturelle Zusammenhänge eingebettet erlebt werden. Die während der Ausstellung täglich erscheinende Ausstellungszeitung druckte man beispielsweise vor den Augen der Besucher auf einer neuartigen Rotationsdruckmaschine. Heute tanzen Menschen nach dem Sound der Maschinen „Techno“ und betrachten maschinell hergestellte Massenprodukte als Kunstform, die zumeist trivial anmutenden Massenprodukte werden bis heute zum einzigartigen Kulturerlebnis stilisiert. Warum gab es so viele Preise? So viel Aufwand im Auf- und Abbau für einen Ausstellungszeitraum von sechs Monaten? Die Aussteller waren zumeist kleine und mittelständische Produzenten und Gewerbetreibende. Sie wollten neue Konsumenten gewinnen und Ausstellungsmedaillen bekommen. In vielen Kategorien wurden solche Preise vor Ort vergeben, um sie anschließend werbewirksam für den Verkauf einzusetzen. Schauen Sie mal auf eine Becks- oder Radeberger-Flasche, da finden Sie auf dem Etikett noch heute die Medaillen. Die Besucher aus dem näheren und weiteren Umland kamen freilich auch, weil ihnen Superlative und außerordentliche Erlebniswelten versprochen wurden. So wurde das „Thüringer Dorf“ mit Kapelle, Friedhof und allem was so dazu gehört nachgebaut und von kostümierten Schaustellern bevölkert, im Ausstellungsteil „Deutsch-Ostafrika“ wurden sogar – auch damals schon war das nicht unumstritten – „echte Eingeborene“ zur Schau gestellt. Für die Besucher war das Reisen durch inszenierte Welten, die sie in der Realität kaum hätten erleben können, ein Highlight. Gibt es Parallelen zum heutigen Streben nach überregionalem Prestige? Der urbane Wettstreit hat in den letzten einhundert Jahren nicht abgenommen. Leipzig will sich nach wie vor als Handels- und Kongressmetropole überregional etablieren und sucht Wege und Möglichkeiten sich international zu profilieren. Trotz aller Virtualität existieren noch immer kleinere, thematisch sehr fokussierte Formate, die genauso direkt auf das Konsumverhalten abzielen. Die „Eventisierung“ spielt dabei nach wie vor eine große Rolle. Vordergründig wollten die Bürger, da hat sich bis heute nichts geändert, gut unterhalten werden. 2022 begeht Leipzig das 125-jährige Jubiläum der Gewerbeausstellung. Sollten wir diesem Gedenken? Was steht für Sie dabei im Vordergrund? „Gedenken“ klingt immer so nach Friedhof. Hier würde ich für ein aktiveres Fortschreiben plädieren. Generell sollten wir Tradition und Zukunft miteinander verbinden. Die Ausstellungen waren ja damals auch ein Ort des öffentlichen Diskurses, beispielsweise über modernes Wohnen, innovatives Bauen, Freizeit oder Hygiene. Heute sollten wir vielleicht Tradition und Zukunft verbinden und uns an den Orten über unser Arbeits- und Freizeitverhalten, den Umgang mit Realität und Virtualität oder ähnlichen Themen auseinandersetzen. Dies konsequent weiterführen. Insofern könnte der heutige Clara-Zetkin-Park, das ehemalige Ausstellungsgelände, einen spannenden Rundgang bergen, der den Bogen vom Gestern zum Morgen schlägt. Welche Chancen sehen Sie für die Kommunikation mit Parkbesuchernm wenn es eine Erinnerungskultur (z.B. ein Parkjubiläum) geben würde? Die immer wieder im Park stattfindenden Feste aber auch das Freizeitverhalten der Leipziger zeigen doch, dass der Park angenommen wird. Die Frage wird sein, wie man die Historie in die Gegenwart einbettet und Schlüsselreize zur Auseinandersetzung schafft. Da gibt es aber viele Möglichkeiten, so kann eine historische Bildprojektion die Gegenwart überlagern. Die sommerlichen Kinovorführungen auf der „Warze“ und die Sommerkonzerte am Musikpavillon knüpfen im Übrigen schon jetzt an das Erbe des Ausstellungstheaters und jene Musikpavillons an, die 1897 aufgebaut wurden. Mehr Informationen können Interessierte in meinem Buch erfahren. Aktuelles: www.stiga-leipzig.de © 2017 is licensed under CC BY-NC-SA 4.0 Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen

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