Als wir vor acht Tagen an dieser Stelle über das wohlgelungene Gartenfest des Albert-Zweigvereins berichteten, das eine schier unübersehbare Menge von Besuchern in den Palmengarten gelockt hatte, da konnten wir nicht ahnen, daß wenige Tage darauf der einzig schöne Platz wiederum einen Besuch ausweisen würde, den die Theaterdirektoren schmunzelnd als „ausverkauftes Haus“ zu bezeichnen pflegen. Und doch war es so: Am letzten Mittwoch war der Leipziger Palmengarten zu dem Wiener Gartenfest vielleicht noch voller als am Sonnabend vorher, und was die Hauptsache war: Es herrschte eine brillante Stimmung im Publikum, vom frühen Nachmittag an bis spät in die Nacht hinein. Da sage einer noch, daß unser Leipziger Publikum kühl und zurückhaltend ist! Nur ein wenig Stimulation bedarf es und hellen Sonnenschein, dann schwinden alle amtlichen, kaufmännischen und familiären Sorgen, und selbst der gestrengste Familienvater kann es, wenn er auch selbst vielleicht daheim bleibt, seinen Töchtern und seiner Frau nicht abschlagen, den herrlichen Palmengarten zu besuchen. Wie das auf der Promenade vor dem Gesellschaftshaus auf- und abwogte, wie fröhliche Gesichter man dort sah und wie energisch die Koriandolischlacht geschlagen wurde. Hier still und heimlich aus dem Hinterhalt, dort in breiter Offensive, dort wieder in kleinen Ausfallgefechten, aber immer mit einer — Versöhnung, d. h. mit einem lustigen Lachen von Freund und Feind endend. Man möchte es kaum glauben, wenn es nicht wahr wäre, daß von den winzigen bunten Papierschnittchen, die viel besser sind als die italienischen Konfetti, mehrere Zentner in der heißen Schlacht verbraucht worden sind. Natürlich gehört zu einem Wiener Gartenfest auch echte Wiener Musik und auch für diese war von der Direktion des Palmengartens in ausreichendem Maße gesorgt worden. Auf einem Podium vor dem Palmenhause konzertierte das Original Wiener Orchester „D‘ Prater-Spatzen“, ein Ableger des Willy Wolf-Orchesters unter Leitung des Herrn Konzertmeister Schmidt. In der Konzertmuschel am Anfang des Parkes konzertierte Kapellmeister Günther Coblenz à la Edi Strauß mit der Geige in der Hand, und mitten im Garten das Willy Wolf-Orchester, das in einer schier endlosen Reihe Wiener Walzer, Wiener Märsche und herzige Weaner Lieder darbot. Als dann die Konturen des Gesellschaftshauses im Glanze des bunten elektrischen Lichtes und der ganze Garten im anheimelnden Lichte von Illuminationslämpchen und bunten Lampions erstrahlte, da staute sich die buntbewegte Menge der flanierenden Palmengartenbesucher vor dem Willy Wolf-Orchester und trotzte dem Kapellmeister immer neue Zugaben ab. Der Beifall wollte schier kein Ende nehmen, als Willy Wolf die „Schöne blaue Donau“ spielen ließ. Wie es scheint, hat sich der junge Kapellmeister bereits in das Herz der Leipziger und besonders aller Leipzigerinnen hineingespielt und wir können ihm dazu nur Glück wünschen. — Der Bal-champètre auf dem Tanzboden, der noch vom Fest der vergangenen Woche stehen geblieben war, war andauernd so stark besucht, daß die einzelnen Tanzpärchen mit dem denkbar bescheidensten Plätzchen vorlieb nehmen mußten, die Kegelbahn fand regen Zuspruch und in der Würstchenhalle gingen die „heißen Wiener“ reißender ab als etwa die Depeschen vom russisch-japanischen Kriege. Sogar einen wunderschönen Vers gabs am Würstchenzelt zu lesen, nach dessen Qualität man über die Güte der Würstchen unbedingt beruhigt sein konnte. Wer so dichten kann, muß auch unbedingt gute Ware liefern! — Dunkle Nacht breitete sich über den Wipfeln der alten Bäume des Palmengartens aus, als die letzten Gäste den Festplatz verließen. Alle waren sich darüber einig, ein entzückendes Fest mitgemacht zu haben und alle schieden in der Hoffnung, bald wieder zu einem ähnlichen Feste im Palmengarten einkehren zu dürfen.
Leipziger Palmengarten, in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Sonntagsausgabe, 2. Beilage vom 12. Juni 1904, S. 9.