Aus der Presse – Berliner Blas-Orchester zu Gast im Palmengarten

In unserem schönen, jetzt prächtigsten Blütenschmuck aufweisenden Palmengarten eröffnete am gestrigen Sonntag das Berliner Philharmonische Blas-Orchester ein auf mehrere Tage berechnetes Gastspiel. Die Kapelle, die noch von ihrem Hiersein vor drei Jahren (damals unter Franz von Blons Direktion) bei vielen Besuchern des „Palmengartens“ in bestem Andenken stehen dürfte, wird jetzt von Kapellmeister Robert Moser geleitet und erzielte unter dessen bestimmter und anregender Führung nicht geringeren Erfolg als früher.

Die Berliner Gäste bieten eine sehr gute Harmoniemusik, die, schneidig und präzis, doch von aufdringlichen Kraftäußerungen sich fernhält, wohl aber eine in allen Bläsergruppen gleich tüchtige, durch tonlichen Schliff wie durch exaktes Zusammenspiel sich rühmlich hervortuende Besetzung erkennen läßt. Nicht nur straffe Marschrhythmen, auch die wiegende Grazie eines Walzers, desgleichen Stücke von lyrisch-getragener Art wie Reineckes Vorspiel zu „König Manfred“ und Aufgaben wie Wagners „Tannhäuserouvertüre“ werden von der Kapelle in sehr lobenswerter, den Charakter der verschiedenen Tonwerke verständnisvoll berücksichtigender Weise zu Gehör gebracht. Wagner war in dem gestrigen Nachmittagskonzerte nochmals, nämlich durch eine Fantasie aus „Lohengrin“, vertreten, zwei andere Opernfantasien (aus Verdis „La Traviata“ und Bizets „Carmen“) erfuhren ebenfalls eine zug- und schwungvolle Darbietung. Auch Mendelssohns Ouverture zu „Athalia“ und Chopins A dur-Polonaise zierten das Programm und wurden sehr befriedigend wiedergegeben, diese mit dem nötigen Glanz und Feuer, jene mit Würde und eindringlichem Ernste.

Kein Wunder, daß das sehr zahlreich erschienene Publikum, welches, da das Konzert der kühlen Witterung zufolge nicht im Feien stattfinden konnte, den großen Saal samt seinen Nebenräumen dicht gefüllt hatte, den Dirigenten und seine Musiker durch lebhaften Beifall ehrte. Für diejenigen, die das „Berliner Philharmonische Blas-Orchester“ bisher noch nicht hören konnten, ist dazu jetzt täglich nachmittags und abends Gelegenheit, und zwar bis zum 21. d. Mts., an welchem Tage die Kapelle, die im Sommer in England, Schottland und Irland konzertiren wird, sich von Leipzig verabschiedet. —o— Leipzig, 18. Mai 1903.


Kunst und Wissenschaft. Musik., in: SLUB Dresden. Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 19. Mai 1903, S. 3627.


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